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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 16.08.2015

Gottesbeziehungen
Predigt zu Lukas 18:9-14, verfasst von Jörg Coburger

Pharisäer und Zöllner. Was lösen diese beiden Gruppenbegriffe bei uns aus?

Welches Wissen oder Unwissen, welche Bilder oder auch Klischees, die wir schon immer so für richtig hielten, bewusst und unbewusst passend machten, mögen jetzt mitschwingen? Vielleicht so: „Pharisäer ist gleich Hochmut. Zöllner ist gleich Betrug, aber auch Demut.“ Was dürfen wir erkennen? Dass Jesus die Pharisäer zu Buh-Männern gemacht habe, zur bloßen negativen Hintergrundsfolie für eine wahre christliche Haltung, ist jedenfalls nicht erkennbar. Wir dürfen aber nicht verschweigen, dass sich schon bei Matthäus die Situation verändert, verschärft hat. Wie tief solche Begriffspaare im alltäglichen Leben eingewurzelt sind, zeigt aktuell ein Bundestagsabgeordneter, der einen anderen in seiner Rede als „Pharisäer“ tituliert, weil er dessen Sichabgrenzenwollen als hochmütig ansieht. Dazu kommt für uns jetzt und hier noch der Wochenspruch aus 1. Pt.5,5. „Gott widersteht dem Hochmütigen

( meint den Pharisäer? ) aber dem Demütigen ( also der Zöllner, der so betet? ) gibt er Gnade“ und alles scheint schnell klar.

 

Kurz: Dass die Zöllner nur die Ausgegrenzten waren, verachtet und als eine Art Mafia mit den Römern galten, ist nicht haltbar. Und dass andererseits die Pharisäer solche Gebets- Unkultur, derartige Gebetstradition in ihren Reihen, geradezu wie eine Karikatur und Parodie, in sich tradiert hatten, ist mit dem Bild aller Evangelien so nicht beschrieben.

 

Sehen wir das Lukasevangelium als Ganzes. Ein Buch, das den Zöllnern überhaupt sehr freundlich ist. Was unser 18. Kapitel nicht sagt und zunächst noch offen lässt, wird dann im 19. Kapitel sogar nicht nur als Funktion der/die „Zöllner“, sondern sogar mit persönlichem Namen Zachäus benannt. Und schon direkt vorher im Kapitel von der Gebetsintensität

( 18, 1-8 ) wird uns eine bittende Witwe für ihr unnachgiebiges, hartnäckiges Gebet vor Augen gestellt. Unser heutiger Abschnitt von der Gebetshaltung ist also schon seit langem

( ab 17,20 ) in einen Gedankengang unter den Thema: „Das Gebet des Gerechten“ gestellt.

 

Es war damals eine Zeit mit diesen zwei politisch, sozial und geistlich überaus wichtigen Gruppen von Zöllner und Pharisäern. Beide Gruppen waren sich dessen wohl bewußt, nämlich VIPs zu sein und standen in ihrer Wichtigkeit miteinander in Konkurrenz.

Beide Gruppen hatten in einer krisengeschüttelten Zeit Israels bewahrende Funktion.

Die einen als ein Brücke zu den Römern, gewiss nicht ohne Begehrlichkeiten für Geld und Karriere, die anderen für den geistlichen Diskurs, als der Tempel zerstört war und aus dem Opfergottesdienst ein Wortgottesdienst werden sollte. Jesus indes hatte zu beiden Gruppen eine ziemliche Nähe. ( Lk.7,34 par.; 13,31-33 )

 

Beide stehen vor Gott. Beide nehmen Gott für sich in Anspruch. Wird es auch aus dem Mund Gottes ein Urteil geben. Wie stehen die beiden VOR GOTT. Also nicht nur, wie sie sich selbst wahrnehmen, sondern sie – und auch immer wir jetzt und hier – sind gültig das, was wir VOR GOTT, in den Augen Gottes sind.

 

Da dürfen wir wissen, schmerzlich und befreiend zugleich, dass der souveräne Herr und Meister sich durch keine Methode, durch gar keine religiösen Tricks einspannen lässt.

Wenn Gott rettet, dann allein aus Gnade. Wenn Gott vergibt, dann nur, um uns in die Buße zu locken und zu treiben. Nur darum kann Paulus sagen: „Christus starb für uns, als wir noch Sünder waren.“ Rm.5,1ff

 

Beider Gebete können überraschend sein. Sie können das aber nur, weil Jesus offenbar mit erzählerischer Hintergründigkeit uns bei unseren Vorurteilen abholen will und sie in etwas Neues verwandeln kann.

 

Doch wo stehen wir denn heute als evangelische Christen? Ist wirklich das Hinausposaunen und die Angeberei mit Gebet und Glauben unser Problem? Ist es nicht eher unser Kleinlautsein, weil wir meinen, wir wollten uns nicht über andere erheben, ist es nicht eher das peinliche Tischgebet, wenn ein nichtchristlicher Gast da ist, weil wir ihn nicht ausgrenzen wollen… Ist es nicht unser Kuschen und, wie es einer böse formulierte, „unsere kirchliche Selbstkastration“? Machen wir vielleicht aus der Not eine Tugend? Schämen wir und des Evangeliums? In den 60iger-70iger Jahren schämten wir uns der Auferstehung Jesu. Derzeit schämen wir uns des Kreuzestodes.

 

Schließlich dürfen wir aufmerksam werden, wenn nicht eine Spielart von Hochmut sichtbar wird, sondern ein leiseres, feineres Angeben und Kokketieren mit der Demut. Um eine Demut aber, die sich zur Schau stellt, eine Demut, wo der Glauben sich selbst beim Glauben zu schaut, und sich um ihre Demut dreht wie eine Ballerina, um diese Demut ist es VOR GOTT nichts mehr. Wenn die Demütigen wissen, dass sie demütig sind, ist es im ihre Demut geschehen. Nicht ein Kleinsein ist falsch, sondern auch ständiges Sichkleinmachen.

Für alle Spielarten mag gelten: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Frömmste im ganzen Land?“ Oder auch: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Distanzierteste, Autonomste im ganzen Land“ Beide, Pharisäer und Zöllner sind nicht außer Gefahr, Gott benutzen zu wollen. Er solle absegnen, so das perverse Verdrehung von „Segen“ was wir draufhaben.

 

Beachten wir das Umfeld, dann ist diese Beispielgeschichte weder den Pharisäern erzählt, noch an die Zöllner gerichtet. Es ist wie eine Jüngerbelehrung. Der Meister Jesus spiegelt ihnen eine Alltagsgeschichte und dabei, das macht sein Erzählen ja so vollmächtig aus, ist es völlig gleichgültig, ob sie so geschehen ist oder nicht. Ihre Wahrheit liegt in unseren menschlichen Abgründen und Versuchungen, Mensch und Gott gegenüber. Wir bekommen im beginnenden Vers 9 eine differenzierte Marschrichtung. „Er sagte aber zu denen, die sich selbst anmaßten, fromm zu sein und verachteten dabei die anderen…“

 

Gott hat nichts gegen Frommsein! Eigenartig, aber wenn ich Gemeindebesuche oder speziell Geburtstagsbesuche mache, diese Sätze begegnen mir oft: „Herr Pfarrer, ich renne zwar nicht gerade jeden Sonntag in die Kirche wie andere…. Und da kenne ich welche, was ich von denen erzählen könnte…, da bin ich vielleicht der viel bessere Christ… „ So habe ich das schon oft anhören müssen. Gott hat nichts gegen Frommsein! Gott duldet nicht die Selbstrechtfertigung der Kirchenprofis und auch nicht die der Distanzierten und die mehr oder minder aufrichtigen Begründungen der Gottesdienstverächter. Wir haben da eine hochspezialisierte Sprache der Selbstrechtfertigung und Verachtung der anderen entwickelt.

 

Wir dürfen die klare und provokante Urteilsbegründung am Ende nicht verwischen.

„Dieser ging gerechtfertigt hinab, nicht aber jener.“ Die Verlockung besteht aber doch in dem Gedanken: Wie wolltest du denn gehen? Und mehr noch: Welcher Blick Gottes auf mein Leben ist mir wichtig? Wie werde ich gerecht vor Gott?

 

Jesus legt uns mit dem Gebet des Pharisäers eine bittere Parodie vor. Das erstaunt mich schon als solches. So kenne ich ihn gar nicht! Diese Variante ruft danach, wie solch ein Dank- oder Buß-Gebet denn wahrhaftig klinge könnte:

 

„Allmächtiger Gott, erbarme Dich Deines Schuldigen, weil ich nicht bin wie Deine unzähligen Diener. Auf Verachtung der Welt bedacht, auf verdiente Gerechtigkeit, auf das Lob engelsgleicher Reinheit, oder auch wie die vielen von denen, die nach öffentlichen Untaten Buße tun und mit Recht demütig sind; der ich, falls ich etwas Gutes durch deine Gnade getan habe, doch nicht weiß, mit welchem Ziel ich dies tue und mit welcher Strafe es von dir bedacht wird.“ (1)

 

Wie werde ich gerecht wieder davongehen? Gerechtigkeit ist immer zuerst Gerechtigkeit VOR GOTT. Dass ich VOR GOTT nichts bringen kann und nicht bringen muss. Epheser 2,8 Im Glauben nehmen wir an, dass wir angenommen sind. Im Glauben gehen wir dann ohne Angst los, unseres Glaubens tätig zu leben ( hab.2,4 ) mit Herzen, Mund und Händen. Ein Glaube ohne Früchte ist tot. Allein im Glauben hört Jesus auf, lediglich das religiöse Sahnehäubchen meines Leben zu sein, sondern Mitte und Alltag, denn ohne ihn können wir nichts tun. Joh.15

( Nach: Confessio Augustana Art.20 )

 

 

( 1) Nach: Kähler, Christoph; Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie. WUNT 78. Tübingen 1995, S.210



Pfarrer Jörg Coburger
09439 Amtsberg/ OT Weissbach
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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