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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 16.08.2015

Ich danke Gott und freue mich - zum 275.Geburtstag von Matthias Claudius -
Predigt zu Lukas 18:9-14, verfasst von Gert-Axel Reuß



Liebe Gemeinde,

in Hamburg auf dem Wandsbeker Markt, wenige Schritte vom Busbahnhof entfernt, steht eine eigenartige Skulptur. Ein Mann setzt an zum Sprung. Er springt über einen auf dem Boden hockenden Jungen. Die Szene soll an den Matthias Claudius erinnern, dessen Geburtstag sich gestern zum 275. Mal jährte (M. C., geboren am 15.08.1740).

Macht sich da jemand lustig über den Dichter? Oder hat sich Matthias Claudius mit seinem „Freudensprung“ selbst der Lächerlichkeit preisgegeben? „Viktoria! Viktoria! Der kleine weiße Zahn ist da …“ – das klingt nach Schüttelversen und Kinderreim, aber nicht nach einem großen Dichter. Der Zahn soll übrigens „Alexander“ heißen und der dichtende Vater wünscht seinem Kind „immer was dafür zu beißen.“

Wenn da nicht das wunderbare Lied „Der Mond ist aufgegangen“ wäre, dann würde man über so viel „Einfalt“ wohl mit Goethe und Schiller die Nase rümpfen oder den Kopf schütteln. Matthias Claudius? Mit diesem kindlichen Narren wollten die eher nichts zu tun haben.

 

Liebe Gemeinde,

wer ist dieser Matthias Claudius? Ein ahnungsloser Poet? Oder ein Lebenskünstler?

Seit Kindertagen ist mir neben dem berühmten Abendlied (Der Mond ist aufgegangen) ein anderes Lied vertraut, aus dem ich einige Strophen zitieren will:

 

1. Ich danke Gott und freue mich wie ’s Kind zur Weihnachtsgabe,

dass ich bin – bin – und dass ich dich, schön menschlich Antlitz habe. …

4. Ich danke Gott mit Saitenspiel, dass ich kein König worden;
Ich wär geschmeichelt worden viel und wär vielleicht verdorben.

5. Auch bet ich ihn von Herzen an, dass ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer reicher Mann und auch wohl keiner werde.

6. Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht, hat mancherlei Gefahren,
Und vielen hat's das Herz verdreht, die weiland wacker waren.

7. Und all das Geld und all das Gut gewährt zwar viele Sachen;
Gesundheit, Schlaf und guten Mut kann's aber doch nicht machen.“

 

Ob Matthias Claudius hier sein Schicksal „schön“ redet? Die ständigen Geldsorgen, die fehlende Anerkennung der führenden Geistesgrößen seiner Zeit.

Oder denkt er wirklich an den unglücklichen dänischen König Christian VII. – seinen Landesherrn – und an die Struensee-Affäre. In deren Haut wollte damals kein Zeitgenosse stecken (Christian gilt als geisteskrank. Kanzler Struensee wird zum Tod verurteilt, weil er eine Affäre mit der Königin hatte).  

 

Liebe Gemeinde,

an dieser Stelle möchte ich unseren Blick weg von Matthias Claudius und hinlenken zu der Geschichte, die wir als Evangeliumslesung gehört haben: das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner.

Leider ist die Geschichte in vielen Köpfen so mit Moralin gesäuert, dass sie einen Schuss Humor gut gebrauchen kann. Ich zitiere deshalb Eugen Roth mit diesem kleinen Gedicht (Der Salto):


Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!

Eugen Roth bringt die Dinge – wie häufig – auf den Punkt: auf die vermutlich tief in uns Menschen verankerte Angewohnheit, die eigene Zufriedenheit durch den Vergleich mit anderen herzustellen.

Ich selbst bin davon leider nicht befreit, was mir gelegentlich schlechte Laune beschert, weil es anderen – vermeintlich ganz unverdient – besser geht als mir selbst. Weil sie mehr Geld verdienen oder mehr Urlaub machen können. Weil sie das größere Auto fahren oder von der Natur begünstigter erscheinen (Schönheit, Sportlichkeit, Gesundheit trotz ungesunden Lebenswandels). Vielleicht erkennen Sie sich auch an der einen oder anderen Stelle wieder.

Lukas geht es allerdings nicht um Eitelkeit oder Heuchelei, also um Fragen der Moral, sondern er stellt eine Verbindung her zwischen der Krankheit des Vergleichens und dem Glauben. Besser und genauer müsste ich sagen: Zwischen dem Vergleichen und dem Fehlen von Glauben.

Da hat es einer nötig, sich in ein besseres Licht zu stellen. Da benutzt einer die dunkle Folie der Verfehlungen anderer, damit der eigene Stern vor Gott um so heller strahlt, anstatt zu singen: „Ich danke Gott und freue mich ...“

Solch ein Verhalten ist – so verstehe ich das Gleichnis – unnötig, sinnlos und ziemlich irdisch.

Es ist unnötig und sinnlos, weil wir doch glauben, dass Gott uns kennt. Uns besser kennt, als wir es selbst tun. Und dass ihn dies ganz und gar nicht davon abhält, uns zu lieben. Im Gegenteil: Er liebt uns, weil wir so sind, wie wir sind.

Gott liebt – so möchte ich unbedingt hinzufügen – uns. Nicht unsere Taten oder unsere Verfehlungen. Wir sind keine Räuber, Betrüger, Ehebrecher in seinen Augen. Nicht deshalb, weil wir so etwas nicht tun; nie gegen seine Gebote verstoßen. Sondern deshalb, weil Gott seine Liebe nicht an unsere Taten oder Verfehlungen bindet.

Gott liebt uns urteilsfrei. Unumstößlich. In Gottes Augen sind wir seine Geliebten. Ob Pharisäer oder Zöllner.

Leider taugt auch der Zöllner nicht als Vorbild. Niemand muss sich klein machen, damit Gott ihn groß machen kann!

Der Zöllner in dieser Geschichte erniedrigt sich nicht, weil man das vor Gott so tut. Sondern er liegt tatsächlich am Boden, er steht vor den Trümmern seiner Existenz. Vielleicht ist ihm seine Frau davongelaufen. Vielleicht wollen die Kinder nichts mehr mit ihm zu tun haben. Vielleicht hat er sich verspekuliert und steht vor dem finanziellen Ruin.

Wir sollten den Bußpsalm, den der Zöllner vermutlich betet, nicht als ein Ritual verstehen, sondern als die Zustandsbeschreibung eines Menschen begreifen, dem sein Leben entglitten ist. Der nichts dringender braucht, als dass Gott ihn aufrichtet, ihn wieder auf die Füße stellt. Ihm einen neuen Anfang schenkt, so dass er wieder beten und singen kann: „Ich danke Gott und freue mich ...“

 

Liebe Gemeinde,

„Ich danke Gott mit Saitenspiel, dass ich kein König worden …“

Matthias Claudius vergleicht sich auch. Mit einem König. Mit einem reichen Mann (vielleicht mit dem Kaufmann und Sklavenhändler Schimmelmann, für dessen Zeitung – den Wandsbeker Boten – er schreibt). Mit ihnen möchte er nicht tauschen. Wo ist der Unterschied? Was können wir von ihm lernen?

Sein Vergleichen hat keinen abwertenden Unterton. Er benutzt König und Kaufmann nicht als, um besser da zu stehen, sondern freut sich darüber, dass er es leichter hat. Deshalb kann er ihnen mit Mitgefühl begegnen und ihnen freundlich ins Gewissen reden (vgl. seinen Neujahrsgruß 1772 im Wandsbeker Boten): „Am Neujahrstag ist mein Patriotismus mausetot, und ‘s ist mir, als wenn wir alle Brüder wären und einer unser Vater im Himmel, als wären alle Güter der Welt Wasser, das Gott für alle geschaffen hat.“

In meinen Kinderträumen wollte ich gerne reich und berühmt sein. Und ein Prinz sowieso. Die in Reime verpackten Ermahnungen des Matthias Claudius habe ich wohl gehört, aber in ihrer Tiefe nicht wirklich verstanden. Was wusste ich von Intrigen und Ränkespielen der Macht? Ich ahnte keine schlaflosen Nächte voraus – schon gar nicht, wenn es mir augenscheinlich weder an Geld noch Gut fehlen sollte.

Erst mit dem Älterwerden habe ich gelernt, dass es auch falsche Freunde geben kann. Und dass einen die Sorge um das Geld die Gesundheit ruinieren und um den Schlaf bringen kann.

Erst als Vater habe ich auf die leuchtenden Augen der Kinder vor dem mit Kerzen geschmückten Weihnachtsbaum (und den Geschenken darunter) geachtet.

So will ich Matthias Claudius das letzte Wort geben, dem lebensklugen Poeten:

Täglich zu singen

1. Ich danke Gott, und freue mich wie 's Kind zur Weihnachtsgabe,

dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz! habe;

2. Dass ich die Sonne, Berg und Meer, und Laub und Gras kann sehen,

und abends unterm Sternenheer und lieben Monde gehen;

3. Und dass mir denn zumute ist, als wenn wir Kinder kamen,

und sahen, was der heil'ge Christ bescheret hatte, amen!

9. Gott gebe mir nur jeden Tag, soviel ich darf zum Leben.

er gibt's dem Sperling auf dem Dach; wie sollt er's mir nicht geben!

 

Amen.

 

 



Gert-Axel Reuß
Ratzeburg
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

Bemerkung:
Wenn möglich sollte das zitierte Lied
„Ich danke Gott und freue mich“
im Gottesdienst gesungen werden.






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