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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres - Ewigkeitssonntag, 25.11.2007

Predigt zu Matthäus 22:23-33, verfasst von Wolfgang v. Wartenberg

23An demselben Tage traten die Sadduzäer zu ihm, die lehren, es gebe keine Auferstehung, und fragten ihn 24und sprachen: Meister, Mose hat gesagt (5. Mose 25,5-6): «Wenn einer stirbt und hat keine Kinder, so soll sein Bruder die Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen erwecken.» 25Nun waren bei uns sieben Brüder. Der erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder; 26desgleichen der zweite und der dritte bis zum siebenten. 27Zuletzt nach allen starb die Frau. 28Nun in der Auferstehung: wessen Frau wird sie sein von diesen sieben? Sie haben sie ja alle gehabt. 29Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes. 30Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel. 31Habt ihr denn nicht gelesen von der Auferstehung der Toten, was euch gesagt ist von Gott, der da spricht (2. Mose 3,6): 32«Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs»? Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden. 33Und als das Volk das hörte, entsetzten sie sich über seine Lehre.

Liebe Gemeinde,
1.
am heutigen Sonntag wird in vielen Gemeinden der Menschen gedacht, die in diesem Jahr gestorben sind. Was ist das für eine traurige Erfahrung, einen geliebten Menschen zu verlieren -  für die Partner, die Kinder, die Eltern, die Geschwister, die Freunde! Wir wissen es unser Leben lang, dass wir sterben müssen, aber dann, wenn es denn eintrifft, ist es unbegreiflich.
 
„Meine Seele ist übervoll an Leiden, und mein Leben ist nahe dem Tode. HERR, ich rufe zu dir täglich; ich breite meine Hände aus zu dir. Wirst du an den Toten Wunder tun, oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Wird man im Grabe erzählen deine Güte und deine Treue bei den Toten?" (Psalm 88)
Wir können diese Fragen und Klagen aus den Psalmen, auch Anklagen gegen Gott mit eigenen Worten fortsetzen: Warum das große Leid? Mein Gott, siehst du nicht, dass ich den Vater, die Mutter, den Mann, die Frau liebe, immer noch liebe? Wie nur kann ich weiter leben? Mancher hadert nun mit Gott sein Leben lang.

Ich denke allerdings auch an die Worte eines Vaters, der die Zeit der Trauer noch einmal anders erlebte. Er sagte: „Nach dem Tod meines Kindes war ich hell wach. In jeder Minute achtete ich auf Zeugnisse dafür, dass unser Leben mehr ist als das alltägliche Erleben, achtete ich auf Spuren einer göttlichen Geborgenheit, die uns weit übersteigt. Denn dieser Raum, der sich da auftat, das war doch der Raum, so stellte ich mir das vor, wo mein Kind zur Ruhe, ein Zuhause finden würde. Das gab mir Kraft, weiter zu leben, verlieh mir Frieden."

In vielen Fällen sind die häuslichen Pflichten, die Sorge für die Kinder, für andere, für die wir verantwortlich bleiben, das Geländer, das uns den einzigen Halt gibt in Zeiten der Trauer und Einsamkeit. Viele verstummen. So wunderbar dieses Leben ist- dass es Sterben, Trennung und Tod gibt, das stellt alles in Frage, lässt uns an Gott und Welt verzweifeln.
 
Liebe Gemeinde,
jeder stirbt nicht nur seinen eigenen Tod, wie es ein Dichter (Rilke) einmal formuliert hat. Jeder, jede geht auch seinen oder ihren ganz eigenen Weg der Trauer.
 
Manche, mancher beginnt erst jetzt, wenn er einen Menschen durch den Tod verloren hat, sich der Frage nach der Auferstehung, dem Weiterleben nach dem Tod zu stellen. Vorher mag man es für unsinnig, für kindisch, für frömmelnd halten und naturwissenschaftlich für unvorstellbar, sich mit solchen Vorstellungen zu beschäftigen. Dann aber, im Schmerz der Trauer erleben viele, wie diese Frage unaufhaltsam in ihnen wächst.
„Es ist," so sagte es eine jüngere Frau, „als würde eine Tür aufgestoßen, und ich dachte viel darüber nach, ob und wie solch eine Auferstehung vorstellbar wäre. Mir schien plötzlich möglich, was mein Verstand vorher ausgeschlossen hatte."

2.
In der Geschichte, liebe Gemeinde, die wir gehört haben, kommen Menschen auf Jesus zu und fragen ihn, wie er es mit der Auferstehung halte.
An demselben Tage traten die Sadduzäer zu ihm, die lehren, es gebe keine Auferstehung, und fragten ihn und sprachen: Meister, Mose hat gesagt (5. Mose 25,5-6): «Wenn einer stirbt und hat keine Kinder, so soll sein Bruder die Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen erwecken.» 25Nun waren bei uns sieben Brüder. Der erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder; 26desgleichen der zweite und der dritte bis zum siebenten. 27Zuletzt nach allen starb die Frau. 28Nun in der Auferstehung: wessen Frau wird sie sein von diesen sieben? Sie haben sie ja alle gehabt.

Liebe Gemeinde, Angehörige fragen immer wieder: Komme ich mit meinem Partner, mit meinen Kindern wieder zusammen, die mir in den Tod voraus gegangen sind? Die Frage der Sadduzäer ist uns nicht unbekannt.

Was diese Gesprächszene, die wir gehört haben, allerdings als so unredlich erscheinen lässt, ist die Spitzfindigkeit der Fragenden. Dazu muss man wissen, dass die Sadduzäer die damalige Tempelaristokratie in Jerusalem repräsentierten. Im Unterschied zu der Gruppe der Pharisäer glaubten sie nicht an die Auferstehung, weil sie nicht in der so genannten Tora, in den fünf Büchern Mose bezeugt sei. Was von Auferstehung bei den Propheten überliefert sei, sei in späteren Zeiträumen gesagt worden und darum nicht ernst zu nehmen. Ja, es hat den Eindruck, sie wollen die Pharisäer lächerlich machen und mit einem Schlag auch noch Jesus mit einer Fangfrage hereinlegen. Darum konstruieren sie den Fall der so genannten Schwagerehe, die in vielen Völkern, so auch in Israel aus ganz verschiedenen Gründen verbreitet war. Der Fall der einen Frau mit den sieben Brüdern war zwar nicht undenkbar, aber doch irgendwie abstrus.
Wie nun reagiert Jesus?
 
Liebe Gemeinde, Jesus hält der Frage stand. Er nimmt sie ernst, obwohl sie vermutlich gar nicht so ernst gemeint war. So hören wir:
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes.
„Ihr irrt!" Liebe Gemeinde, das ist ein mutiger und noch dazu harscher Widerspruch: „Ihr, die ihr euch eurer Schriftkenntnisse rühmt und damit eure  Autorität begründet, ihr kennt weder die Schrift noch die Kraft Gottes."
Dann geht Jesus auf den Inhalt der Frage ein.
Denn in der Auferstehung werden sie, die Männer und die Frauen, weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel.
 
Mit diesen Worten, liebe Gemeinde, setzt sich Jesus nicht nur von seinen Gesprächspartnern, den Sadduzäern ab, sondern auch von anderen Gruppen, die sich das Leben der vom Tode Auferstandenen damals sehr konkret, allzu konkret ausmalten - wie das viele Gläubige ja auch heute noch, auch in anderen Religionen, etwa im Islam tun.

Nicht wahr, liebe Gemeinde, manchmal denkt man schon darüber nach, wie das wohl sein könnte nach dem Tod.
Was aber sagt Jesus dazu? Jesus sagt Ja zu der Auferstehung, aber, das fügt er gleich hinzu, das Leben in der Auferstehung sei nicht einfach eine Fortsetzung des hiesigen Lebens. Er verwendet ein uns vertrautes Bild: Sie, die Auferstandenen, sind wie Engel im Himmel. Mehr sagt er nicht. Er wahrt offensichtlich die Grenzen, die uns Menschen gesteckt sind.

Dann begründet Jesus seine Sicht der Dinge durch einen Schriftbeleg aus eben den Büchern, die den Sadduzäern hoch und heilig waren, aus den fünf Büchern Mose.
Er erinnert an die Geschichte, als Mose die Schafe seines Schwiegervaters hütete und sich ihm Gott in einem brennenden Dornbusch mit den Worten offenbarte:
 «Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs»?  (2. Mose 3,6)
Daraus müsse man doch folgern, das will dieses Zitat sagen, dass Abraham und Isaak und Jakob, obwohl schon vor langer Zeit verstorben, bei Gott leben.
 
Darauf, liebe Gemeinde, folgt ein Satz, den wir gleichsam als eine Summe dessen sehen können, was Jesus von Gott denkt, wie er sich Gott vorstellt, was er glaubt:
Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.
Daran, liebe Gemeinde, hängt offenbar alles - daran, dass Gott ein Gott der Lebenden ist. Weil er selbst ein lebendiger Gott ist. Dass wir einmal auferstehen, liegt nicht daran, weil wir besondere geistige oder andere Fähigkeiten haben, sondern daran, dass wir an Gottes Lebenskraft teil bekommen. Auch über den Tod hinaus. So sagt es Jesus.

3.
Liebe Gemeinde, können uns die Worte Jesu weiter helfen in einer Zeit der Trauer und des Schmerzes? 
Ich meine: Ja.
Was ich heraus höre aus seinen Worten ist dies:
Wir sind alle keine Waisen. Wir haben einen Vater.

Der Weltenraum, der uns in der Nacht so gewaltig und, wenn der Himmel klar ist, voller Sterne, aber kalt entgegen strahlt, ist nicht leer, ist nicht ohne Gott. Unsere Verstorbenen verlieren sich nicht in ein Nichts. Gott ist da. Er ist auch da, wo wir mit unserem Wissen, mit unserer Fürsorge nicht mehr hinlangen, im Tod. Da sorgt Er für unsere Verstorbenen. Sie werden nicht vergessen, auch dann nicht, wenn wir nicht mehr sind. Wie tröstlich ist diese Vorstellung, dass sie bei Gott sind!

Gott ist ein Gott der Lebenden. Für Jesus ist es offensichtlich unvorstellbar, dass Gott, der soviel Leben schafft, der möglich macht, dass wir uns freuen, dass wir uns lieben, uns in den ewigen Tod fallen lässt. Sein Gott ist ein Gott, der mächtiger ist als der Tod, ein Gott, der den Tod überwindet.

Liebe Gemeinde, manchmal ist unser Leben wunderschön. Dann geht unser Herz auf vor Dankbarkeit und Glück. Vermutlich haben wir alle es erleben dürfen mit den Menschen, die von uns gegangen sind. Ein Glück, das manchen von uns, wie ich annehme, auch im Nachhinein, auch im Schmerz noch beschwingt, mit großer Dankbarkeit erfüllen und Frieden schenken kann. Augenblicke von erlebter Nähe, von Liebe tragen wir dann in uns wie einen kostbaren Schatz.

Ob es uns möglich ist festzuhalten, dass nicht nur das Glück, sondern auch das Unbegreifliche, dass wir durch den Tod getrennt werden, das unendlich Traurige in das Geheimnis Gottes mit hinein gehört?

Jesus räumt zwar mit der Vorstellung auf, als würden sich die Menschen im Himmel freien und heiraten. Aber dass wir verbunden bleiben mit unserem Partner, mit unseren Kindern, mit den Menschen, die uns vertraut sind - daran dürfen wir festhalten. Die Verbindung zu Gott schließt eine tiefe Verbindung zu den Menschen, denen wir vertraut sind, die wir lieben, nicht aus, sondern ein. Kann man es so sagen: Gott ist der Garant unserer Verbindung auch über den Tod hinaus?

Ist das ein Trost für uns? Ist das eine Perspektive für uns, die Hinterbliebenen? Können wir darauf vertrauen, dass unsere Verstorbenen bei Gott sind, dem himmlischen Vater? Ich meine, wir können es.

Jesus, seine Worte, sein Gottvertrauen zeigen uns, was uns in der Auferstehung erwartet.
Jesus ermutigt uns, von Gott als von einem Vater zu sprechen, der auf uns wartet wie der Vater auf seinen verlorenen Sohn. Wer einen Zugang zu diesem Glauben gefunden hat, liebe Gemeinde, darf zuversichtlich sein auch über den Tod hinaus. 

Diese Zuversicht spiegelt sich in den Worten der Johannes Offenbarung:
Gott, wird bei ihnen sein.
Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. (
Kap.21)

Liebe Gemeinde, unser Leben ist trotz allem, was dagegen spricht, ein Wunder. Wir können es nicht begreifen. Wir leben in einem Raum, der uns ein großes Geheimnis ist. Alles ist umgeben von Gottes heiliger und bergender Hand. Amen



Wolfgang v. Wartenberg
Krankenhauspfarrer in Stuttgart
E-Mail: w.wartenberg@katharinenhospital.de

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