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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 06.09.2015

Predigt zu Lukas 17:11-19, verfasst von Niels Henrik Arendt

Wir legen Wert darauf, so zu sein wie die meisten anderen. Soll es etwas geben, wodurch wir auffallen, dann jedenfalls etwas, das unserer Eitelkeit schmeichelt. Ansonsten wollen wir gern sein wie die meisten. Man kann viele gute Gründe haben, sich in der Menge zu verbergen. In einem Bericht aus den KZ’s während des zweiten Weltkrieges erzählt ein Gefangener (Viktor E. Frankl), wie wichtig es war, dass man nicht auffiel, wenn man in den langen Apellen aufgestellt wurde. Wenn man aus irgendeinem Grund auffiel, lief man Gefahr, sich den Zorn des Wachpersonals zuzuziehen, und dann wurde es wirklich schlimm. Es ging darum, sich der großen grauen Masse anzupassen. Er erzählt weiter, wie man sich zugleich glücklich schätzen konnte und als Feigling, voller Scham, wenn einige der anderen vor allen hervorgeholt wurden, um bestraft zu werden.

Die meisten von uns sind eitel genug, um gerne Beachtung zu finden. Aber wir sind auch Herdentiere genug, dass wir uns nicht gerne allzu sehr von der Masse unterscheiden wollen. Und dies nicht nur, weil es gefährlich sein kann, sich zu unterscheiden, wollen wir am liebsten so sein wie die anderen. Wir tun es oft, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen. Vor nichtsehr langer Zeit standen in einer dänischen Zeitung eine Reihe kurzer Interviews mit Autoren, die zu einem Festversammelt waren und mitten in allen Festlichkeiten gefragt wurden, was Dänemark ihrer Meinung nach angesichts der völlig unüberschaubaren Flüchtningssituation um das Mittelmeer tun solle. Es war deutlich, dass die Autoren am liebsten eine Antwort verweigern wollten, wie wir sicher alle auch – weil niemand Lust hat, seine Ratlosigkeit und Ohnmacht zu offenbaren, weil niemand Lust hat, daran erinnert zu werden, , dass wir einfach weiterleben, als wäre nichts geschehen, während andere Menschen furchtbar leiden. Dann lieber sich in der Menge verstecken. Ich weiß nicht, was wir tun sollen, und das ist nicht meine Verantwortung, sagen wir. So verhalten wir uns auch in Bezug auf Probleme, die uns näher liegen. Ich bin nicht verantwortlich für die verbreitete Einsamkeit, ich bin nicht dafür verantwortlich, dass das Familienleben des Nachbarn schief läuft usw. Ich bin ja nur einer von vielen.

Man kann sich auch danach sehnen, nicht aufzufallen, wenn man sich aus irgendeinem Grunde dennoch anders verhalten hat als die meisten. Wenn man z.B. von Leid und Unglück betroffen ist und auf die Anteilnahme anderer angewiesen ist – oder vielleicht deren Neugier ausgesetzt, dann kann man sich danach sehnen, einer von vielen zu sein. Und man kann es als Erleichterung empfinden, wenn man dann wieder zurückkehren kann zur täglichen Routine, die bewirkt, dass man nicht mehr besonders beachtet wird.

So kann man eigentlich auch gute verstehen, dass die neun Aussätzigen, von denen im Lukasevangelium erzählt wird, zu den Priestern eilten, um als gesund erklärt zu werden nach der bösen Zeit als Aussätzige, wo alle auf sie sahen – statt zu Jesus zurückzukehren. Beim ihm würden sie ja noch immer anders sein als die anderen – es waren ja nicht die ordentlichen Menschen, die Jesus folgten. Die Priester, die die Leute für rein erklären konnten, waren eine Art Grenzwächter, die die Grenze zwischen der menschlichen Gemeinschaft und der Öde draußen bewachten, wo sich die Schuldigen befanden. Die Priester verkündigten nämlich, dass nur Schuldige durch den furchtbaren Aussatz betroffen waren. Auch deshalb gehörten die Aussätzigen nicht zu den ordentlichen Leuten.

Die zehn war ausgestoßen. Sie waren daran gehindert, ein ganz normales Leben zu leben. Sichtbar für alle trugen sie die Wunden, von denen sie wussten, dass sie nicht in die Gemeinschaft der Menschen gehörten. Nun erhielten sie die Möglichkeit, nur so zu sein wie die anderen, sich in der Menge zu verbergen, die Geborgenheit zu spüren, dass es nun andere waren, die vertrieben waren, denen man sein Herz verschloss und nach denen man Steine warf.

Einbezogen sein in die Gemeinschaft, das war es, wonach sie sich sehnten – in der Zeit ihrer Krankheit. Die neun eilen zu den Priestern und dann direkt in die Gemeinschaft. Das ist verständlich. Dennoch wundert sich Jesus. In seinen Augen zogen sie nicht die richtigen Konsequenzen aus dem, was ihnen widerfuhr.

Einer aber kehrte ja um; einer ging nicht zu den Priestern. Als sich die anderen aufmachten zusammen mit ihm, vergaß er einen Augenblick, dass er ja zur Gruppe gehörte. Er war ein Samaritaner. Damit war er noch immer einer der Ausgestoßenen. Wäre er zu den Priestern gekommen, hätten die ihm erzählt, dass sie keine Priester für Samaritaner waren. Daran dachte er. Und er kehrte um. Er wusste tiefer als die anderen, was es heißt, ausgeschlossen zu sein. Während die neun wie die anderen wurden, war er immer noch anders.

Aber das Verwunderliche ist, dass er nicht zu Jesus zurückkehrt voll von Bitterkeit. Er dankt, wird erzählt. Wo man erwarten könnte, dass er Bitterkeit gegenüber Gott empfindet, weil die Beseitigung eines seiner Handicaps nur ein anderes „Handicap“ um so deutlicher werden ließ, dass er als Samaritaner geboren war, und dafür gab es keine Heilung – da kehrt er statt dessen in tiefer Dankbarkeit zu Jesus zurück. Warum? Ich glaube, weil die Gesellschaft, in die die Priester ihn eventuell hätten entlassen können, das nicht wirklich wert war. Für die neun war der große Unterschied, ob sie ausgeschlossen waren oder mit in der großen Gemeinschaft.

Die Frage ist: Geht es wirklich vor allem darum, nicht anders zu sein als alle die anderen? Zu sein wie die anderen? Den Preis müssen die bezahlen, die draußen stehen. Wie oft pflegen wir nicht unser eigenes Glück auf Kosten leben akls der, der anderer! Aber das Christentum handelt nicht davon, so zu sein wie die anderen- es handelt vielmehr davon, gesehen zu werden. Gesehen zu werden mit seiner Trauer, seiner Schuld und seinem Schmerz, seiner Angst, seiner Ohnmacht und Ratlosigkeit.

Einer kehrte um. Er empfing mehr aus dem, was geschehen war, als die neun. Denn er hatte erkannt, dass die Gemeinschaft der Menschen gar nicht das war, was die Priester ihm geben konnten. Die richtige menschliche Gemeinschaft ist dort, wo ein Mensch nicht sich in die Menge flüchten muss, um seine Sünde zu verbergen, seine Verantwortung und sein Elend, und wo er nicht schamhaft seine Augen vor denen verschließen, die betroffen sind. Die Grenze, die die Priester aller Welt bewachen, ist nicht die, auf die es wirklich ankommt. Jesus trat an die Stelle der Priester –als der, in dessen Nähe nicht unser Glück auf Kosten anderer zu stehlen braucht. Jesus gegenüber dürfen wir die sein, die wir sind – ganz gleich wie elend wir uns fühlen.

Der Samaritaner kehrte zurück zu Jesus. Er wollte nicht vermeiden, aufzufallen, er wollte vielmehr weiter leben als der, der gesehen ist – von Gott. Er stand außen vor, und tat es noch immer. Aber Gott hatte ihn gesehen. War das nicht wichtiger als alles andere?

Wir möchten uns noch immer nicht gerne von den anderen unterscheiden. Und wir haben selbsternannte Richter, die mit messerscharfem Blick jede Anomalität aufspießen und am allerliebsten die Leute in die Wüste schicken. Wir sind noch immer nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen lieber mit dem etwas verkommenen Glück leben, das allein darin besteht, das wir uns mit den anderen vergnügen und die Augen vor dem Elend anderer verschießen. Aber wir sollten lieber dankbar daran denken, wenn wir hart getroffen werden, sieht uns Gott.

Die wahre menschliche Gemeinschaft ist etwas anderes als das, was wir allzu oft erstreben. Im Christentum wird sie oft das Himmelreich genannt, Es steht uns offen. Es besteht aus all denen, die Gott sieht: all den Elenden, den hart Betroffenen, den Verfolgten, den Bestraften, all den Kranken, all den Einsamen, all den Ausgestoßenen. Die sind auf dem Wege zur Freude.

Die Gemeinschaft der Menschen – sie steht uns offen. Wenn wir nur aufhören, uns abzuwenden, wenn wir anfangen, die anderen mit demselben Blick zusehen, mit denen Jesus sie sah. Amen.



Pastor Bischof Niels Henrik Arendt
DK-6990 Ulfborg
E-Mail:

Bemerkung:
Niels Hendrik Arendt verstarb 2 Tage, nachdem er die Predigt fertig gestellt hatte. Er ruhe im Frieden Gottes!


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