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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 06.09.2015

Predigt zu Lukas 17:11-19, verfasst von Rainer Stahl

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Schaut Ihr auch – wie die zehn Männer in unserem Evangelium – auf Heilungserlebnisse zurück? Ich denke: mit Gewissheit, ja. Jede und jeder von uns ist schon krank gewesen. Weniger schlimm. Oder vielleicht sogar lebensgefährlich. Als Folge eigenen Fehlverhaltens. Oder völlig überraschend und ganz unverständlich.

 

Wir leben in einer Zeit, in der zumindest für die meisten von uns unvorstellbare Chancen an Therapien bereitgehalten werden. In der Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger Erstaunliches leisten. In der Medikamente vorgehalten werden, die Krankheiten besiegen oder wenigstens ein gutes und beinahe symptomfreies Leben mit Krankheiten möglich machen. In der Versicherungen – zumindest für die normalen Menschen in Deutschland – die finanziellen Risiken von Krankheiten einschränken oder kalkulierbarer sein lassen. In der die meisten von uns auch so geschützt sind, dass Krankheiten Arbeit und Verdienst beeinflussen, aber nicht grundlegend gefährden – jedenfalls im Normalfall.

 

Allerdings muss ich hier eine ernüchternde Beobachtung einschieben: Auch in Deutschland ist die Situation für viele nicht so unproblematisch, wie das auf den ersten Blick scheint. Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade Krebspatienten auf Grund lang dauernder Therapien in echte Finanzprobleme geraten können: Zwar zahlt die Krankenkasse die Therapiekosten, aber die Patienten sind oft so lange krank, dass die Krankengeldzahlungen und das reduzierte Monatsgehalt auslaufen und sie neben allen Sorgen starke Verluste bei den monatlichen Einnahmen verkraften müssen – ganz abgesehen davon, ob sie ihren Beruf überhaupt noch werden ausüben können. Hier gibt es große, zum Teil sehr verdeckte Probleme![1]

 

Alle diese Zusammenhänge sind in unserer Geschichte gebündelt, in skizzenhaften Strichen gegenwärtig, wenn es über die Kranken heißt: „…begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne […] sprach er zu ihnen: »Geht hin und zeigt euch den Priestern!«“ (Verse 12.14). Also: Gar keine medizinische Betreuung. Keinerlei soziale Absicherung. Sondern Ausgegrenztsein. Sondern Stigmatisiertsein. Aber dann, nach der Wende: Offizielle Feststellung der Heilung. Offizielle erneute Aufnahme in die Gesellschaft.

 

In unserer Erzählung wird dabei nicht über Zeiträume nachgedacht. Es entsteht der Eindruck, dass alles sehr plötzlich und schnell geht: Gerade noch vom Leiden gezeichnet und deshalb ausgegrenzt – und schon wieder ohne Symptome und aufgenommen.

 

Ich denke aber, wir gehen nicht falsch, wenn wir annehmen, dass auch langwierige Prozesse von Therapien und Genesungsabläufen mitgemeint sind. Christus hat einen Prozess angestoßen, an dessen Ende die Heilung stehen wird. Er wirkt auch in längeren Phasen der Genesung mit. Leistet Hilfe bei Rückschlägen und Schwächeperioden. Bringt dabei zwei Dinge auf den Weg: Wiedergewinnen alter Kraft und Dynamik. Aber auch Umgehen Lernen mit bleibenden Mängeln, mit dem Zurückgehen von Kraft und Agilität.

 

Darauf möchte ich das Gewicht legen: So berechtigt die Sehnsucht nach Heilung ist, so sehr müssen wir auch damit umgehen lernen, dass manche Funktionen unseres Körpers nie wieder so werden, wie sie einmal waren, dass wir anfällig bleiben.

 

Hier deute ich ein persönliches Erleben an: Mit 12 Jahren hatte ich einen Unfall, bei dem Splitter meines Brillenglases in das linke Auge eingedrungen sind, die Hornhaut zerschnitten haben, die Linse zum Auslaufen brachten. Trotzdem hat damals der Arzt in der Augenklinik des Meininger Krankenhauses das Auge gerettet. Aber ich hatte keine Linse mehr, die Iris, die Regenbogenhaut, war nicht mehr veränderbar, die Hornhaut war vernarbt. Versuche mit einer Haftschale, die mir in Karl-Marx-Stadt, heute wieder: Chemnitz, angepasst wurde, brachten keine wirkliche Verbesserung. Als ich von Anfang bis Mitte der Achtziger Jahre in Genf beim Lutherischen Weltbund gearbeitet habe, konnte ich mich zweimal operieren lassen: Transplantation einer Hornhaut eines anderen Menschen, Einsetzen einer künstlichen Linse. Aber durchschlagende Erfolge hat das auch nicht gebracht. Ich habe mich innerlich mit dieser Lage – ich sage nicht: Mangel – abfinden müssen und habe gelernt, mit ihr zu leben.

 

Auch in solchen Fällen – nicht nur bei echter Genesung –, können wir die Haltung aufbringen, die in unserem Evangelium von dem Samaritaner berichtet wird, und die das Ziel der gesamten Erzählung ist: „…kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. […] Und er sprach zu ihm: »Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen«“ (Verse 15-16.19).

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Ich habe aus diesem Evangelium eine ganz neue Dimension des Glaubens gelernt. Spontan dachte ich: Weil er dem Wort Christi glaubte, hat er sich den Priestern gezeigt, ist er den Weg von Diagnose und Therapie gegangen – um es modern zu sagen, denn auch heute können wir ohne Glauben einen solchen Weg nicht gehen. Und dann hat er auch noch nicht vergessen, Christus „Danke!“ zu sagen.

 

Nein, ganz anders „wird ein Schuh aus der Sache“: Der Dank ist Ausdruck des Glaubens. Beide gehören eng zusammen. Unser Evangelium „zielt auf den rettenden Glauben, der dort festgestellt wird, wo Gott gelobt wird“ (wie der siebenbürgische Neutestamentler Hans Klein vor neun Jahren festgestellt hat[2]). Der Dank ist der „Lackmustest“ des Glaubens. Deshalb sagt Christus: „dein Glaube hat dir geholfen.“

 

Das ist der Unterschied zwischen dem einen Mann und den anderen neun Männern: Alle werden sie gesund. Es heißt: „Und es geschah, als sie hingingen [sich den Priestern zu zeigen], da wurden sie rein“ (Vers 14). Aber nur bei einem ist dies verbunden mit Glauben. Bei den anderen wird das so nicht diagnostiziert. Ja, indem sie nicht zurückkehren und nicht danken, zeigen sie, dass sie die Heilung ohne Glauben haben an sich geschehen lassen.

 

Warum? Wieso? Worauf zielt das? Weshalb ist das wichtig?

 

Ich denke mir Folgendes: Die neun sind Juden wie auch Jesus. Sie erfahren an sich ein Wunder, auf das sie Anspruch erhoben haben, das ihnen ihrer Meinung nach zustand:

 

            „Er wird dich mit seinen Fittichen decken,

            und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.

            Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

            dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,

            vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

            vor der Pest, die im Finstern schleicht,

            vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt“ – wie Psalm 91 bekennt (Verse 4-7).

 

Das Wunder, das Christus an ihnen getan hatte, war für sie die ihnen längst zustehende Wende. Ihnen längst zustehender Beweis der Zuwendung Gottes. Ihnen längst fällige Hilfe. Sie antworteten nicht glaubend, sondern sie antworteten mit einer Anspruchshaltung.

 

Der Samaritaner aber hat zweierlei erlebt: Einmal, dass ihm Christus geholfen hat. Und dann, dass sich ihm der Jude Jesus zugewendet hat. Er erlebte seine Genesung als überraschende Integration in die ihn sonst ablehnende und ausgrenzende, ihn auch als Gesunden ausgrenzende jüdische Gemeinschaft. Deshalb wächst in ihm Glaube. Deshalb wächst in ihm die völlig überraschende Erkenntnis: Ich bin von dem Juden Jesus, ich bin von Christus, ich bin von Gott angenommen – ohne jede Leistung meinerseits. Das begreifen, heißt glauben!

 

Von dieser Einsicht her verstehen wir erst richtig, was Psalm 91 verspricht:

 

            „Denn er hat seinen Engeln befohlen,

            dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

            dass sie dich auf den Händen tragen

            und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“ – (Verse 11-12).

 

Und gewendet als wörtliche Rede Gottes, wie sie Christus den Aussätzigen hätte zusprechen können:

 

            „Sie lieben mich, darum will ich sie erretten;

            sie kennen meinen Namen, darum will ich sie schützen.

            Sie rufen mich an, darum will ich sie erhören;

            ich bin bei ihnen in der Not,

            ich will sie herausreißen und zu Ehren bringen.

            Ich will sie sättigen mit langem Leben

            und will ihnen zeigen mein »Heil«“ – wiederum Psalm 91 (Verse 14-16).

 

So weit, so offen ist die religiöse Überlieferung der Juden! In sie kann sich dieser Samaritaner hineinbergen. In sie können wir uns hineinbergen. In sie kann sich jede und jeder von uns in diesem Gottesdienst hineinbergen. So wird mir gesagt, so wird jeder und jedem von Euch gesagt:

 

            „Du liebst mich, darum will ich Dich erretten;

            Du kennst meinen Namen, darum will ich Dich schützen.

            Du rufst mich an, darum will ich Dich erhören;

            ich bin bei Dir in der Not,

            ich will Dich herausreißen und zu Ehren bringen.

            Ich will Dich sättigen mit langem Leben

            und will Dir zeigen mein »Heil«.“

Amen.

 

 

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“

 

[1]   Vgl. die diesbezügliche Sendung „nano“ in 3sat am 13.7.2015 ab 18.30 Uhr.

[2]   Das Lukasevangelium, KEK I/3, 10. Auflage, Göttingen 2006, S. 563.



Pfarrer Dr. Rainer Stahl
Erlangen
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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