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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 06.09.2015

Ein Wunder an der Grenze - oder: Wie Danken und Denken zusammengehören
Predigt zu Lukas 17:11-19, verfasst von Dieter Splinter

Und es geschah auf der Wanderung nach Jerusalem, als Jesus längs der Grenze zwischen Samarien und Galiläa hinzog, da kamen ihm beim Betreten eines Dorfes zehn aussätzige Männer entgegen, die in der Ferne stehenblieben. Und sie erhoben ihre Stimme und riefen: Jesus, Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht und zeigt euch den Priestern! Und es begab sich, während sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber von ihnen, der sah, das er geheilt worden war, kehrte zurück, indem er mit lauter Stimme Gott pries, warf sich aufs Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm; und das war ein Samaritaner. Da antwortete Jesus und sprach: Sind nicht die Zehn rein geworden? Wo sind aber die Neun? Haben sich keine gefunden, die zurückgekehrt wären, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf und geh hin! Dein Glaube hat dir geholfen!

I.

Liebe Gemeinde!

Ein Wunder geschieht am Wegesrand. Es geschieht irgendwo unterwegs an der Grenze zwischen zwei Regionen: Samarien und Galiläa. Die Menschen, die in diesen beiden Gebieten leben, unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Glauben. In Samarien wohnen jene, die nur die fünf Bücher Mose als ihre Bibel anerkennen. Auf einen Messias aus dem Geschlecht Davids, wie ihn so mancher Prophet verheißen hat, warten Sie nicht. Sie hoffen nicht auf den, der Israel erlösen wird. Den wahren Juden, die in Galiläa und den anderen Gegenden Israels leben, gelten die Samaritaner darum als Heiden. Was das bedeutet, können die Juden in einem Auslegungsbuch zu ihren heiligen Schriften (im Jerusalemer Talmud) nachlesen. Dort heißt es über die Samaritaner: „Sie haben kein Gebot, auch nicht die Reste eines Gebots, und sind daher verdächtig...“.

Wer eine andere Religion hat, der ist schnell verdächtig. Dem wird dann auch so manches unterstellt, was gar nicht stimmt. Natürlich kannten die Samaritaner die Zehn Gebote. Sie waren ja im zweiten und im fünften Buch Mose nachzulesen. Doch wenn einmal ein Verdacht besteht, lässt er sich oft nicht mehr aus der Welt schaffen. Was und wer einem verdächtig ist, von dem grenzt man sich ab. Wer verdächtig ist, wird häufig ausgegrenzt. Das war schon damals so...

Nur – Krankheit kennt keine Grenzen. Sie macht vor keiner Religion halt. Zehn Männer begegnen uns in der Geschichte. Wohl neun Juden und ein Samaritaner. So legt es die Geschichte nahe. Sie sind alle krank. Die zehn Männer sind Aussätzige. Heute würde man sagen: Leprakranke. Ihnen faulen bei lebendigen Leib Gliedmaße ab. Die heutige Medizin kennt Mittel dagegen. Damals wusste man sich nur so zu helfen, dass man die von dieser Krankheit Befallenen aus der Gemeinschaft ausschloss. So sollte vermieden werden, dass die Gesunden sich anstecken. Zudem galt der vom Aussatz Befallene als ein von Gott wegen seiner Sünden Bestrafter. Der Kranke war darum nicht bloß wegen der Ansteckungsgefahr ausgegrenzt worden. Er galt in einem doppelten Sinn als unrein – wegen seiner Sünde und wegen seiner Krankheit. Wer Aussatz hatte, den umgab immer eine unsichtbare Grenze, die er nie überschreiten durfte – es sei denn er wurde geheilt.

Zehn Männern, die alle hinter dieser unsichtbaren Grenze leben, begegnet Jesus irgendwo an einer tatsächlichen Grenze. Oder besser – an einer Grenze, die für eine solche gehalten wird: an der Grenze zwischen Samarien und Galiläa. Die Ausgegrenzten rufen von ferne: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Die Geschichte schildert den Fortgang dann ganz lapidar: „Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.“

Das Wunder geschieht dort, wo Jesus die Macht der unsichtbaren Grenze und die Macht der tatsächlichen Grenze entmachtet. Er tut es, indem er diese Grenzen einfach nicht mehr gelten lässt. Er tut es, indem er die Ausgegrenzten zu den Priestern schickt. Die sollen ihres Amtes walten. Die Priester waren es ja, die zuvor die Unreinheit der Kranken festgestellt hatten. Sie sollen nun feststellen, dass die Kranken wieder gesund sind und erneut in die Gemeinschaft aufgenommen werden können. Das Wunder Jesu geschieht so dort, wo der Mensch in den Vordergrund und die Grenzen jedweder Art in den Hintergrund treten.

 

II.

Aber nur einer kehrt zurück, um seine Dankbarkeit dem Gott zu zeigen, der ihm in Jesus begegnet ist. Und der, der zurückkehrt, um Gott mit lauter Stimme zu loben, ist ein Samaritaner – also einer, der für einen strenggläubigen Juden ein Heide und Ausländer war. Was aber war mit den anderen? Sie sind doch ebenfalls geheilt worden. Sie werden nicht mehr ausgegrenzt. Sie hätten doch ebenso Grund zur Dankbarkeit. So sind die Fragen Jesu nur zu verständlich: „Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?“

In einer vierten Grundschulklasse wurde einmal folgende Aufgabe gestellt: Was hätten die neun Geheilten in einem Interview wohl auf die Frage geantwortet, warum sie nicht mehr zu Jesus gegangen sind, um sich zu bedanken? Die Schülerinnen und Schüler haben diese Antworten gefunden:

Wie ich es mit dem Danken halte, hat im wesentlichen damit zu tun, wie ich über das Gute denke, das mir widerfahren ist. Was die Schülerinnen und Schüler zusammengetragen haben, hätten Erwachsene so auch tatsächlich antworten können: „Ich habe ein Recht auf Gesundheit – warum soll ich dafür danken?“ „Ich habe für alles hart gearbeitet – da muss ich nur mir selber für das Erreichte danken!“ „Es war zu viel los – da bin ich gar nicht mehr zum Danken gekommen!“ „Ich wollte nicht mehr an die Krankheit denken, deshalb habe ich auch nicht für die Heilung gedankt!“ „Ich habe mir erst über das Danken Gedanken gemacht als ich mitbekommen habe, dass ein anderer Danke gesagt hat!“

Sich über das Danken Gedanken machen. Darum geht es. Denken und Danken gehören zusammen. Das eine gehört zum anderen – vor allem dann, wenn wir an Grenzen stoßen, Grenzerfahrungen machen. Lebensbedrohliche Krankheiten erinnern uns an die Grenze, die unserem Leben gesetzt ist. Wollen wir gesund werden, müssen wir unser Leben dem anvertrauen, der uns heilen kann.

Für Glaubende ist das nicht bloß der Arzt oder die Ärztin, der oder die über das Wissen verfügen, das uns hilft. Für Glaubende ist Gott selber der Empfänger ihres Dankes. Wer Gott dankbar ist, lebt anders. Er weiß: so wie ich mich in der Vergangenheit auf Gott verlassen konnte, werde ich es auch in Zukunft tun können. Wer Gott dankbar ist, lebt zuversichtlicher. Wer Gott dankbar ist, für den ist Glück nicht einfach bloß ein schöner Zufall. Darum sagt Jesus zu dem Samaritaner am Ende unserer Geschichte: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ Man könnte es auch so sagen wie es ein Ausleger unserer Tage getan hat: „Glauben ist die Gabe, Glück in Dankbarkeit gegen Gott zu verwandeln.“ (Gerd Theißen: Die offene Tür. Biblische Variationen zu Predigttexten, München 1990, S. 102)

 

III.

Ein Wunder geschieht am Wegesrand. Es geschieht an einer Grenze. Zehn kranke Männer werden gesund. Aber nur einer kehrt um, um Gott zu danken. Die Geschichte wird von Lukas erzählt, damit wir es halten wie dieser eine.

Die Geschichte stellt fest, dass neun der Geheilten Gott keine Dankbarkeit gezeigt haben. Sie trifft diese Feststellung ohne Vorwürfe. Zum Danken gehört das Denken, das Sich-Erinnern. Und das kann schmerzlich sein: „Ich habe nicht Danke gesagt: Die Zeit als Kranker war so schlimm. Da wollte ich lieber nicht mehr daran denken.“ Doch gerade so nimmt man sich Zuversicht für die Zukunft. Gott für erfahrenes Glück zu danken, schafft neuen Mut für die Zukunft. Glauben ist immer die Gabe, Glück in Dankbarkeit gegen Gott zu verwandeln.

In unserer Geschichte tut das nur einer. Er ist Gott dankbar für seine Heilung. Der Gesunde muss nun nicht mehr hinter einer unsichtbaren Grenze leben. Manchmal – und das führt über unsere Geschichte hinaus – hat ein ganzes Volk Grund dankbar zu sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa war es uns möglich, zwölf Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufzunehmen und zu integrieren. Das gibt Zuversicht auch mit jenen helfend umgehen zu können, die derzeit als Flüchtlinge in unser Land kommen (und dafür schon zahlreiche Grenzen überwinden mussten),

Dankbarkeit jedenfalls, vor allem die Dankbarkeit gegenüber Gott, schenkt Mut für die Zukunft. Und so sendet Jesus den dankbaren Samaritaner hinein in ein Leben voller Aufgaben. Er tut es mit Worten, die uns ebenso gelten: „Steh auf, geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!“

Amen.

 



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
Freiburg
E-Mail: Dieter.Splinter@ekiba.de

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