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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2015

Sorge und Sorglosigkeit
Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Thomas Bautz

 

Liebe Gemeinde!

Seit der Antike ist „Sorge“, „sorgen“ mehrdeutig (ThWNT IV, s.v. „mérimna“, 593-598); das hat sich auch im Deutschen nicht geändert: Sorge im Sinne von Pflege, Fürsorge und Sorge (Verantwortung) tragen, sich kümmern - im Unterschied zum ängstlichen Sorgen, sich Sorgen machen, sich sorgen. Das Gegenstück zum unnötigen, übertriebenen, unbegründeten Sorgen ist die „Sorglosigkeit“ (Griech.: amerimnía.), auch im Sinne von Vertrauen: ein sorgenfreies, sorgloses Leben, mit einer unbesorgten Einstellung, d.h. unbekümmert, unbelastet leben.

Sorglos“ kann im Deutschen allerdings auch eine negative Bedeutung annehmen, dann meint es ein achtloses, fahrlässiges, nachlässiges, pflichtvergessenes, verantwortungsloses Verhalten. Im Griechischen leitet sich das entsprechende Wort nicht von „Sorge“ ab (améleia, amelés).

Man kann anderen Menschen Sorge bereiten. Im Lateinischen gibt es die Ausdrucksweise: „Du gereichst mir zur Sorge“; „Du machst mir Kummer.“ Häufig fällt dieser Satz innerhalb einer Familie; aber auch ein guter Arbeitgeber kann zu einem Mitarbeiter sagen: „Ich mache mir Sorgen über Sie.“ Das zeugt in der Regel davon, dass der Chef seine Verantwortung sieht und überlegt, was er tun kann, um zu helfen. Kollegen können untereinander ebenfalls Sorgen artikulieren, sofern die Atmosphäre am Arbeitsplatz nicht vom Konkurrenzdenken vergiftet ist und man bereit ist, „über Leichen zu gehen“.

Sehr entlastend kann es sein, wenn uns jemand angesichts konkreter Schwierigkeiten sagt: „Lassen Sie das mal meine Sorge sein!“ „Lass das nur meine (unsere) Sorge sein!“ Wir sind in der Tat nicht für alles in unserem Leben verantwortlich, mitunter noch nicht mal zuständig. Ich fürchte nur, dass viele Menschen in der Gesellschaft schon verlernt haben, Verantwortung abzugeben, Aufgaben zu delegieren. Muss die Selbstachtung leiden? Wird das vermeintliche Ansehen im Beruf, am Arbeitsplatz angekratzt? Nur weil man die eigenen Grenzen anerkennt und Mitarbeiter mit ihren zweifellos ebenfalls großartigen Fähigkeiten endlich auch zum Zug kommen lässt?! Vermutlich gewinnt man eher an Achtung, als dass man in ein schlechtes Licht gerät - und wenn doch: zu viele Sorgen schwächen auf Dauer die Leistungskraft.

Wenn ich mir überlege, ob es berechtigte und unberechtigte Sorgen gibt, fällt es mir schwer, dafür eindeutige und allgemein gültige Kriterien zu nennen. Zunächst möchte ich anmerken, dass ich den weit verbreiteten Spruch: „Nun mach Dir mal keine Sorgen!“ für unangemessen halte, zumindest dann, wenn damit ein Problem, ein Mangel, ein Missgeschick, ein Verlust einfach mit diesen Worten vom Tisch gefegt werden sollen. Verdrängung lässt grüßen!

Wir sollten den zu Gehör gebrachten Abschnitt aus der Bergpredigt auch nicht so verstehen, als würde hier einer generellen Sorglosigkeit das Wort geredet. Die Bildworte aus der Tier- und Pflanzenwelt sind selbstverständlich, wie das stets bei Metaphern der Fall ist, keinesfalls wörtlich zu nehmen. Aber sie vermitteln etwas Wichtiges: Was zur Lebenserhaltung nötig ist, dafür ist in der Natur gesorgt; die Grundbedürfnisse sind weitgehend gedeckt. Allerdings sind Behauptung des eigenen Standorts oder Territoriums und die Versorgung mit Nahrung für die jeweilige Spezies in Tier- und Pflanzenwelt durch viele äußere Faktoren und Gefahren nicht gesichert. Vielmehr sind sie Wind, Wasser, Feuer, Erderschütterungen, dem Hunger anderer Lebewesen und vor allem dem Menschen ausgeliefert. Schon früh in seiner Evolution stellt er die größte Gefahr dar. Der Mensch könnte ähnlich relativ unbesorgt leben, hätte er sich nicht ein für alle Mal als Herr und Meister über die Natur erhoben und dabei völlig ignoriert, dass er ein Teil der Natur ist. Als Folge hat er eine Vielzahl an Problemen geschaffen, die ihm nun allemal Sorgen bereiten müssen. Wir wissen alle, worauf ich anspiele.

In der Gemeinde, für die Matthäus schreibt, hat man noch andere, aber für die Betroffenen nicht weniger radikale Sorgen. Um nachzuvollziehen, worin existenzielle Nöte und Sorgen im Palästina des 1. Jh. bestehen, befragt man sozialgeschichtlich die Lage der Landarbeiter und Kleinbauern dort; folgende Situation ist durchaus denkbar (cf. Schottroff/ Stegemann: Jesus von Nazareth, 56; Mt 20,1ff):

Ein Landarbeiter wartet mit Kollegen noch am Vormittag auf Arbeitsaufträge, ohne Aussicht auf Erfolg; die Bauern holen sich die Hilfsarbeiter für den Tag bereits am frühen Morgen. Der Landarbeiter macht sich Sorgen: Was sollen wir als Familie essen? Getreide oder gebackenes Brot ist zwar vor Ort günstiger als in Jerusalem, aber ich kann es nicht bezahlen, wenn ich heute nichts verdiene. Was sollen wir trinken? Selbst das Wasser kostet inzwischen Geld, seitdem die gute Quelle versiegt ist. Womit sollen wir uns kleiden? Wir tragen nur noch die letzten Lumpen am Leib; nicht gerade förderlich für die Selbstachtung, wenn wir uns nicht einmal am Sabbat ordentlich anziehen können. Kleidung ist ohnehin sehr teuer geworden. Passiert es mir während dieser Saison noch ein paar Mal, dass ich für einen ganzen Tag keine Arbeit bekomme, wird meine Familie in arge Not geraten. Dann hält uns der Hunger fest im Griff, und es gibt kein Entrinnen. Und ist man erst unterernährt, wird man bald zum Arbeiten überhaupt zu schwach sein und schneller auf Almosen angewiesen sein, als man je dachte.

Das sind handfeste Sorgen, deren Augenfälligkeit und Berechtigung wohl niemand infrage stellt. Die Tagelöhnern und Landarbeiter müssen sich um ihr Existenzminimum sorgen; es handelt sich um die Sorge, wie man überlebt. Da muten die „Sorgen“ derer, die Nahrung und Kleidung im Überfluss haben, lächerlich an; sie „sorgen sich“ hauptsächlich um Bewahrung, Sicherung ihres Eigentums, um Erhaltung und Förderung ihres Ansehens und Einflusses in der Gesellschaft. Es ist paradox, entspricht aber oft dem Sozialverhalten der wirtschaftlich abgesicherten Existenzen: Je mehr man besitzt, desto mehr sorgt man sich um Wahrung des Besitzstandes. Die Vielzahl der unterschiedlichen Versicherungen bildet das Pendant.

Für Albert Schweitzer (Was sollen wir tun? Predigten, 91f) ist Besitzdenken eng mit Sich-Sorgen verknüpft. Wir sind derart unserem Lebensstil gemäß mit dem Materiellen beschäftigt, davon abhängig, dass wir für das Religiöse, Heilige, Geheimnisvolle allmählich nicht mehr zugänglich sind. Daher ist ganz besonders unserer Generation gesagt (Mt 6,33): „Erstrebt zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere dazugegeben!“

Wahrlich, wir müssen uns keine Sorgen machen um Nahrung und materielle Sicherheit! Wir haben unsere „Schäfchen im Trocknen“. Was uns aber Sorgen bereiten müsste, ist die Lage der vielen Armen in der Wohlstands- und Überflussgesellschaft der reichen Bundesrepublik Deutschland: die vielen Senioren, besonders die Witwen, mit einer beschämend schmalen Rente; die vielen, die zu Wucherpreisen einen Platz im Pflegeheim erhalten und dort häufig nur noch auf den Tod warten. Nicht selten bekennen Altenpflegekräfte: „Hier möchten wir nicht unseren Lebensabend verbringen!“ Natürlich gibt es vorbildliche Pflegeheime mit einem gut organisierten Sozialdienst. Ein Hauptproblem besteht im Mangel an Pflegekräften. Man kann verstehen, dass viele Hochbetagte lieber anonym in ihrer eigenen Wohnung sterben als unter den Folgen des Personalmangels in den Heimen ein „Pflegefall“ unter vielen zu sein.

Wir müssten um die Zukunft vieler Kinder und Jugendlichen besorgt sein: Alkoholabusus, Drogenkonsum - beides führt in starke Abhängigkeit und manchmal zum Exitus; aber auch Vereinsamung, Sinnlosigkeitsverdacht und Verwahrlosung. Mitunter kommen diese Kinder aus gutbürgerlichen Familien. Wir bräuchten mehr Streetworker, Sozialarbeiter; Lehrer, die auch sozialpsychologisch ausgebildet sind. Kirchengemeinden, die sich einen Mitarbeiter für die Jugendarbeit leisten können, bedürften zusätzlich noch ehrenamtlicher Kräfte, die bereit sind zu entsprechenden Weiterbildungen.

Es sollte unsere Sorge sein, dass wir uns angesichts grassierender, dauerhafter Missstände solidarisieren, uns über notwendige Maßnahmen informieren und sie dann wirksam durch die Medien gegenüber politisch Verantwortlichen und Zuständigen vehement vertreten. „Vater Staat“ ist m.E. eine ausgediente Metapher, eine leere Hülse. Wenn ich meinen geliebten Sohn auch nur annähernd so behandelte und in vielen lebenswichtigen Situationen im Stich ließe, hätte ich das Recht auf Vaterschaft faktisch verwirkt.

Nur ein Beispiel: Wohnungen werden immer teurer, verschlingen ein Drittel bis die Hälfte des Einkommens, was dazu führt, dass in sehr vielen Familien beide Elternteile erwerbstätig sind, oder dass junge Paare erst gar nicht erwägen, Kinder einzuplanen. Mächtige Immobilienhaie beherrschen den Wohnungsmarkt, erhöhen die Mieten in kürzesten Abständen. Zwar hat man diese Art der Gewinnmaximierung inzwischen qua Gesetz ein wenig beschnitten, aber leider nicht in ausreichendem Maße. Der Vorstand der Deutschen Annington sagte mir einmal vor ein paar Jahren, er wüsste wohl, dass Wohnen ein starker sozialer Faktor sei, aber Wohnungen seien eben auch ein Wirtschaftsfaktor des freien Marktes. Da war ich aller Illusionen beraubt!

Es sollte unsere Sorge sein, die noch hohe Zahl der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen deutlich abzubauen. Kommunen, Städte, Länder und auch der Bund sollten erfinderischer und mutiger sein beim Schaffen neuer Arbeitsplätze.

Nun kommt eine Sorge auf uns zu, die uns abverlangt, das inzwischen Mode gewordene sog. „globale Denken und Handeln“ ganz konkret einzulösen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlicht sehr hilfreiches, übersichtlich aufbereitetes Informationsmaterial über die Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen von 1953 bis heute: genaue Statistiken mit Angaben über die 10 wichtigsten Herkunftsländer und über die in Deutschland eingegangenen Asylanträge (Erst- und Folgeanträge).

(Im Zeitraum 1953 bis 2014 gab es 4,1 Mio. Gesamtzugänge, davon 1990 bis 2014 insgesamt 3,2 Mio. (77 %). Im vorläufigen Berichtsjahr 2015 wurden annähernd 196.000 Erstanträge vom Bundesamt entgegen genommen; im Vergleichszeitraum des Vorjahres knapp 84.000 Erstanträge; dies bedeutet deutlich mehr als eine Verdoppelung der Zugänge (+133,1 %) im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Folgeanträge hat sich 2015 bisher im Vergleich zu 2014 um 71,4 % auf fast 22.500 Folgeanträge erhöht. Es sind also gut 218.000 Asylanträge im Jahr 2015 beim Bundesamt eingegangen; im Vergleich zum Vorjahr mit gut 97.000 Asylanträgen bedeutet dies mehr als eine Verdoppelung der Antragszahlen.)

Den allermeisten bei uns sind die Sorgen der Elenden, Armen, Hungernden, Verhungernden, Verfolgten bislang fremd - die Angst der Mütter und Väter, nicht zu wissen, ob sie ihre Kinder durchbringen können, ob und wie sie selbst werden überleben können. Im Vergleich zu ihnen haben wir materiell alles; aber haben wir auch ein Herz für sie? Inzwischen scheint sich aber eine enorme Hilfsbereitschaft vielerorts in der Bevölkerung abzuzeichnen.

Kürzlich war ich zunächst etwas verwundert, im Fernsehen auch offensichtlich gesunde, gut aussehende, ordentlich gekleidete Flüchtlinge zu sehen. Ich meine aber, ich hätte kein Recht, über sie zu urteilen und die Berechtigung ihrer Flucht nach Deutschland anzuzweifeln. Sicher sind nicht alle Flüchtlinge aus Militärdiktaturen gleich betroffen von den dort herrschenden, verheerenden Zuständen. Doch allein das Wissen um Bekannte, Freunde, Kollegen, die Opfer von Gewalttaten wie Folter, Vergewaltigung, Mord geworden sind; allein die leise Ahnung, die Befürchtung, die schleichende Angst, dass genau diese Gräueltaten sich der eigenen Familie bemächtigen könnten, lässt Flucht unausweichlich werden.

Wer auf Dauer ums Überleben kämpft, für den erübrigt sich der Gedanke, sich Sorgen zu machen. An ein Dasein der Sorglosigkeit, an ein sorgenfreies Leben, vermag der Mensch schon gar nicht zu denken, noch nicht einmal zu träumen, solange endlose Albträume wie Würgeschlangen ihm die Luft zum Atmen nehmen.

Sorge betrifft Menschen existentiell, wenn sie sich gegenwärtig und zukünftig bedroht sehen von sozialem Unfrieden; Gewalt, Unterdrückung, Hunger in Ländern, woraus Flüchtlinge hunderttausendfach nach Europa fliehen. Kürzlich fragte sich ein Taxifahrer aus dem Nahen Osten, warum eigentlich die USA keine Passagierflugzeuge chartern, um Flüchtlinge in ihr reiches, riesiges Land aufzunehmen. Ich finde diesen Gedanken als ethische Forderung und humanitären Beitrag des guten Willens gar nicht so abwegig. Doch wären gewisse politische Kräfte in den USA sogleich um die meist zitierte „nationale Sicherheit“ besorgt, oder?

In vielen wirtschaftlich und politisch stabilen Ländern sorgt man sich auch um Konflikte und Kriege anderer Völker, weil man um langfristige sicherheitspolitische, wirtschaftliche Folgen weiß. Weil man die bedrohlichen Schäden in der Umwelt kennt, fürchten viele Menschen die weitere Entwicklung des Klimawandels.

Es ist unbegreiflich, dass die Mächtigsten in Industrie und Wirtschaft in der Supermacht USA immer noch nicht willens sind, einzulenken und sich wirksam am Umweltschutz zu beteiligen. Präsident Obama ist ohnmächtig. Oft werden China und Indien als Umweltsünder angeführt. Der Sache nach ist das zwar richtig. Allerdings ist die chinesische Regierung für das immense Problem wenigstens sensibilisiert, und westliche Industrienationen sollten nicht heuchlerisch den moralischen Zeigefinger gegen ehemalige Entwicklungsländer erheben und von ihnen verlangen, dass sie Fehler vermeiden, die allen voran von den USA seit dem Industriezeitalter begangen werden. Diese vielschichtigen Probleme sollten uns Anlass zur Sorge geben!

Sorge kann den einzelnen Menschen hautnah befallen: durch eine unheilbare, todbringende Krankheit; durch den Verlust eines Elternteils in der Familie; durch Verlust der Arbeitsstelle. Wer dann dennoch vertrauensvoll dem noch verbleibenden Leben Sinn abringt; wer es schafft, die Kinder im Wesentlichen allein zu erziehen; wer vorübergehend oder gar für längere Zeit seine Selbstachtung auch ohne berufliche Erfüllung oder Aufgaben behält, der überlässt sich nicht der Sorge. Aber der besorgte Mensch lebt weder sorglos, indem er vernachlässigt, was notwendig ist, noch lebt er sorglos nur im Glauben an „Gott“, dem sich Gläubige unter allen Umständen anvertrauen, was auch immer zum Guten oder zum Bösen geschieht.

Mein Standpunkt ist: Im Grunde gibt es gar kein sorgenfreies Leben; es ist noch nicht einmal erstrebenswert, denn es führe in eine tödliche Langeweile und selbstgefällige Sattheit. Dazu gibt es klischeehafte Vorbilder der Dekadenz aus Herrscherhäusern, Adelskreisen, höherem Bürgertum. Angeödet vom selbsterwählten Schicksal, ersinnt man pompöse Feste und Feiern und lässt sich durch die absurdesten Spiele unterhalten.

Hoch entwickelte Technik ermöglicht dem heutigen Menschen grenzenlose Unterhaltung. Es sollte aber unsere Sorge sein, wer davon in Wahrheit profitiert und immer mehr Einblick in unsere Privatsphäre erhält! Außerdem kann man in Bahn und Bus, auf Straßen und Plätzen und beim Einkauf das Phänomen der unaufhörlichen Kommunikation erleben, von morgens bis abends. Ich habe den Eindruck, auffallend viele junge Leute, aber auch zunehmend ältere können offenbar nicht mehr allein sein. Sie müssen ständig jemanden anrufen; es ist wie eine Sucht. Natürlich gibt es auch notwendige wichtige Informationen, die man miteinander teilt.

Wie hilfreich wäre es für das Sozialverhalten, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn nicht nur Belanglosigkeiten und Infos, sondern mehr Sorgen miteinander geteilt würden. Oft werden Sorgen totgeschwiegen, weil man sie nicht wahrnehmen will, weil ohnehin niemand zuhört. Viele Probleme gehen im Lärm allgegenwärtiger Geschäftigkeit unter; wer sensibel ist, zweifelt an der Ernsthaftigkeit seines Kummers, passt sich der vermeintlichen Stärke seines Umfeldes an, spürt bald die ersten psychosomatischen Symptome als Folge der Verdrängung und wird einer der vielen Kandidaten einer im Grunde vermeidbaren Erkrankung.

Welchen Stellenwert hat die „Sorge“ in unserer Geisteswelt? - In einem der umfangreichsten theologischen Lexika (TRE) gibt es keinen Artikel zum Thema „Sorge“. Dafür rehabilitiert der Philosoph Martin Heidegger die „Sorge“, indem er sie wieder des philosophischen Denkens für würdig und sogar für unser Dasein als elementar erachtet (Sein und Zeit, § 39).

Als Sorge (cura) ist das Sein des Daseins durch Zeitlichkeit bestimmt. Zeitlichkeit ist der Sinn der Sorge. Das Sein ist wesentlich Sorge, die nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgerichtet ist. Das Gewissen gilt Heidegger als Ruf der Sorge. Im Gewissen spricht keine fremde Macht, sondern das Dasein selbst. Das Gewissen ist in der zeitlichen Struktur der Sorge fundiert. In der Sorge erfährt sich der Mensch als eine endliche Existenz. Vor dieser Endlichkeit gibt es kein Entrinnen; sie wird individuell erfahren; in der Endlichkeit bleibt das Einzelwesen allein, weshalb sie auch als etwas Unheimliches erfahren wird.

Die möglicherweise aufkommende Angst wird aber von der Sorge aufgefangen, indem diese sich zur Selbstsorge entwickelt und Anstoß gibt zum Sein-Können - (ich folgere): Ich habe zwar Angst und bin besorgt, etwa weil mich Vergangenes noch bedrückt, weil Gegenwärtiges kaum zu bewältigen erscheint, und weil die Zukunft in vielerlei Hinsicht ungewiss bleibt, aber ich fühle mich herausgefordert, mein Leben neu anzupacken, um für mich und für Menschen zu sorgen, die mir am Herzen liegen und für die ich Verantwortung trage. So verstanden, ist Sorge ein treibender, kraftvoller Lebensmotor, der in der Bewältigung der Alltagspraxis hilft.

Rabbi Jesus von Nazareth blickt auf den Aspekt der Sorge, des Sich-Sorgens, der Menschen eher daran hindert, ihren Alltag erfolgreich zu bewältigen oder gar sorgenfrei zu leben. Für Jesus bzw. für Matthäus ist die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen durch die Güte des „himmlischen Vaters“ eingebunden in dem Suchen/ Trachten des Menschen nach dem Reich der Himmel. Dieses Erstreben der Herrschaft „Gottes“ zeigt sich im Hören auf die weisen Worte des Mannes aus Nazareth. So betrachtet, ist die Bergpredigt ein Programm für alle, die es mit der Nachfolge Jesu ernst meinen und sich für das Reich „Gottes“ engagieren, das dort schon begonnen hat und anderswo beginnen und sich fortsetzen wird, wo man auf die Worte der Bergpredigt baut, und wo man eindeutige Prioritäten setzt.

Nicht zufällig geht der Mahnung vor dem unnötigen Sorgen die tiefgreifende Warnung vor dem Mammonismus voran (Mt 6,24), denn die Geldliebe ist die Wurzel alles Bösen:

Niemand kann (gleichzeitig) zwei (verfeindeten) Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen ergeben sein und den andern missachten: ihr könnt nicht (gleichzeitig) Gott und dem Mammon dienen.“

Amen.

 



Pfarrer Thomas Bautz
53119 Bonn
E-Mail: bautzprivat@gmx.de

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