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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2015

Sorget nicht!
Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Rolf Koppe

Liebe Gemeinde!

Seht die Vögel unter dem Himmel, schaut die Lilien auf dem Feld an! Sie säen nicht und sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Darum sage ich, Jesus, zu euch: sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet.

In der Bergpredigt malt der Evangelist Matthäus ein Bild aus der Natur vor Augen, das den Eindruck der Leichtigkeit erweckt: ihr braucht euch nicht zu sorgen: seht die Vögel unter dem Himmel, schaut die Lilien auf dem Felde. Sorget nicht. Seid Ihr Menschen denn nicht viel mehr wert als die Vögel und die Lilien? Ja, natürlich. Der Mensch ist mehr wert. Er steht im Mittelpunkt. Wie könnt ihr daran zweifeln!

Jesus, der Wanderprediger, der nicht weiß, wo er abends sein müdes Haupt hin betten wird, liebt die Eindeutigkeit: sorget nicht! Aber geht das denn: sorget nicht um euer Essen und Trinken und um eure Kleidung? Unser gesunder Menschenverstand hält eine grundsätzliche Sorglosigkeit für verantwortungslos. Allenfalls gibt es frei gewählte Extremsituationen, in denen sich Stars und Sternchen unter Beobachtung durch Fernsehkameras den Gefahren des Dschungels aussetzen.

Generell den Armen zu zuzurufen: sorget nicht! wäre doch zynisch. Im Gegenteil: seit einigen Jahrzehnten gilt in der Entwicklungszusammenarbeit zwischen Reichen und Armen die Devise: „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Organisation Oikocredit vergibt zum Beispiel Minikredite für Frauen, die sich eine Nähmaschine anschaffen und durch den Verkauf von Kleidern ihre Familie unterhalten können. Für Männer gibt es inzwischen auch entsprechende Programme. Dieses Vorgehen leuchtet doch ein. Ich bin ein begeisterter Anhänger dieser Art zu helfen. Es verschafft den Aktiven ein größeres Selbstbewußtsein und den Gebern das Gefühl, auf sinnvoll Art und Weise zu helfen.

Aber will uns der Text mit seiner radikalen Forderung nicht doch etwas Grundsätzlicheres vermitteln? Ohne Sorgen zu leben, war ja immer das Privileg der Oberschicht. Sei es im Alten Ägypten oder im römisch besetzten Jerusalem. Jesus sagt: diese Art, ohne Sorgen zu leben, ist für alle da, auch für die, die nichts haben: „Und Euer Vater im Himmel ernährt sie doch“. Das gilt doch für alle!

Die radikale Forderung des christlichen Glaubens hat im Laufe der Geschichte zum Bruch mit dem bürgerlichen Leben bis hin zum Mönchstum der verschiedensten Schwierigkeitsgrade geführt. Erst Martin Luther hat dem Streben nach Vervollkommnung durch gute Werke die Spitze genommen, indem er den Glauben an die erste Stelle setzte, aus dem heraus sich die guten Werke ergeben. Außerdem hat Luther den Menschen nach dem Gesamtzeugnis der Bibel für gerecht und sündig zugleich gehalten. Es gibt keine absolute Gerechtigkeit vor den Menschen.

Wenn man unseren Text vom Schätze sammeln und Sorgen unter diesem Gesichtspunkt liest, dann stehen die absoluten Forderungen Jesu aus der Bergpredigt unter den Vorbehalt des von ihm verheißenen Reiches Gottes, das noch in Spannung zu der Welt steht, in der wir leben.

Seit Jahrzehnten wird uns von politisch Verantwortlichen versprochen, dass die Armut in der Welt beseitigt werden kann oder dass die Halbierung der extremen Armut durch die sogenannten Milleniumsziele in diesem Jahr beschlossene Sache ist. Und was passiert? Die Gewaltanwendung nimmt zu und die Zahl der Flüchtlinge steigt weltweit an. Europa ist hilflos. Liegt das auch am Zusammenprall verschiedener Kulturen? Könnte es sein, dass der Evangelist Matthäus, der wohl in Syrien geschrieben hat, schon im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt ein Gespür dafür hatte ? Daran, dass die Vögel unter dem Himmel, die Lilien und das Gras auf dem Felde zum Vorbild genommen werden und nicht, wie es die jüdische Tradition will, dass der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen soll als Antwort auf die Fragen: was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Das bleibt eine offene Frage.

In diesem Sommer kommt das von der EKD entsandte Pfarrerehepaar Stalling nach sechs Jahren Dienst in der Gemeinde Lissabon nach Deutschland zurück. In einem Rückblick heißt es:”Heute werden in der Innenstadt von Lissabon täglich rund 500 Mahlzeiten für bedürftige Menschen gekocht... Es sind jeden Abend etwa 20 Leute, die in ihren privaten Autos losziehen...und auf fünf Routen übriggebliebene oder gerade abgelaufene Lebensmittel abholen...” Und weiter schreibt unser Pastor: “Was mich an diesem ehrenamtlichen Engagement so fasziniert, ist, dass es so herrlich unkompliziert und gut portugiesisch funktioniert. Da gibt es keinen Plan für morgen oder gar für eine Woche. Man vertraut darauf, dass genügend Helfer und Autos kommen – und es klappt so seit 10 Jahren”. Und dann zieht er doch noch den unvermeidlichen Vergleich: ”In Deutschland hätte man schon lange einen Masterplan für den kommenden Monat aufgestellt. Alle wären ordentlich versichert, alle bekämen eine Einführungseinheit in den Dienst”. Pastor Stalling will das gar nicht ironisch verstanden wissen. Er sagt ausdrücklich: ”Ich möchte das nicht bewerten...Viele Portugiesen blicken nicht ohne Neid nach Alemanha”. Er schließt mit dem Satz: ”Ich nehme eine ordentliche Portion Gelassenheit und Gottvertrauen mit nach Hause”.

Ich finde seine Haltung, die ja gerade unter Protestanten weit verbreitet ist, gleichzeitig richtig und nicht richtig. Natürlich könnten wir von Südeuropäern, Afrikanern oder Südamerikanern mehr Ruhe und Gelassenheit lernen. Aber eine Frage hätte ich doch bei dem Lobpreis von Gelassenheit und Gottvertrauen: woher kommt es eigentlich, dass wir gerade im Norden der Erde wirtschaftlich so erfolgreich sind, dass wir viel abgeben können und dennoch so unvernünftig sind, dass wir die Ressourcen der Erde schon so weit aufgebraucht haben, dass wir eigentlich eine zweite Erde nötig hätten? Eine Umkehr ist nötig. Aber ist sie auch möglich?

Jesus spricht uns zu, dass wir Menschen mehr wert sind als die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde. Von dieser hohen Messlatte muß man die große Verantwortung ableiten, die wir Menschen für die Bewahrung der Schöpfung haben. Und dass wir für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller arbeiten müssen. Das heißt, dass wir die Welt auch zum Positiven verändern könnten. Wir Christen müssen nicht alles sorglos konsumieren, was uns angeboten wird. Und Schätze müssen wir nicht sammeln.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen



EKD-Auslandsbischof em. Dr.h.c. Rolf Koppe
Göttingen
E-Mail: koppe.hartmann@gmx.de

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