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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2015

Predigt zu Matthäus 6:24-34, verfasst von Peter Fischer Møller

 

Heute geht es um Sorgen, gute und schlechte Sorgen und darum, wie wir sie voneinander trennen, so dass die Sorge um uns selbst und das, was wir haben, nicht die Freude erstickt und unser Engagement behindert.

Der dänische Nationaldichter Benny Andersen nimmt unsere schlechten Sorgen aufs Korn, wenn er schreibt: „Was nützt es, mit einer schusssicheren Weste herumzulaufen, wenn der Tod aus dem Herzen kommt?“

Mit den schusssicheren Westen wollen wir uns vor den Bedrohungen schützen, die von außen kommen. Die schusssicheren Westen können viele Formen annehmen.

In Europa sind es der Flüchtlingsstrom aus dem vom Bürgerkrieg geplagten Syrien und die Armutsflüchtlinge aus Afrika, die uns Sorgen machen und einige veranlassen, hohe Zäune an den Grenzen aufzurichten, währen andere die Leistungen für Asylbewerber kürzen in der Hoffnung, den Zustrom zu verringern. Die Politiker möchten nationale Interessen wahrnehmen, laufen aber Gefahr, in Zynismus zu enden, wenn man die Flüchtlinge allein als Problemfälle sieht und keinen Blick dafür hat, dass es sich um Mitmenschen handelt.

Auf der internationalen Szene heißt die Sorge noch immer Terror. Wir begegnen ihr in Form von extra Personenkontrollen in den Flughäfen und Zügen, die angehalten werden, weil man ein herrenloses mystisch aussehendes Paket gefunden hat. Wir können sie im Fernsehen beobachten im Nachrichtenstrom aus dem Nahen Osten, und wir merken sie in mehr Überwachung und mehr Geschlossenheit. Und es ist ja wirklich wichtig, Terror zu vermeiden, Terroristen sollen nicht das Leb en anderer zerstören dürfen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir mit unseren Sorgen nicht selbst das zerstören, was wir verteidigen wollen: unsere offene demokratische Gesellschaft. Im persönlichen Bereich kennen wir die schusssichere Weste als ein extra Schloss an der Tür, Alarmanlagen, Sparen für die Pension, fettarme Kost und tägliche Motion. All das kann ja sehr richtig sein. Abner es ist, als gerate all das außer Kontrolle. Wenn wir nervös die Deklarationen auf den Lebensmitteln betrachten als handele es sich um gefährliche Giftstoffe, mit denen wir es zu tun haben. Wenn Jogging zur Pflicht wird und der Wertzuwachs im Aktiendepot der Pensionsrücklagen zwanghaft wird. Wir sind so sehr damit beschäftigt, dieses Leben hier abzusichern, dass wir ganz vergessen, es zu leben. Während sich der Glaube an das ewige Leben bei Gott bei vielen verflüchtigt, kämpfen wir immer verzweifelter darum, uns ewig jung zu erhalten, um die Schwächung, das Alter und den Tod auf Distanz zu halten. Das erinnert ein wenig an die Frau, die so sehr besorgt war, dass ihr Schmuck gestohlen werden könnte, während sie im Urlaub war, dass sie ihn an einer richtig guten Stelle versteckte. Als sie aber zurückkam, hatte sie vergessen, wo sie die Sachen versteckt hatte, und dann hatte sie noch mehr Sorgen, nach dem Schmuck zu suchen und darüber nachzudenken, ob sie ihn versteckt an einem Ort hatte, wo er vielleicht durch einen Zufall weggeworfen werden könnte.

All dies darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die Sorge an sich ein gutes und kreatives Gefühl ist. Wir haben sie von Gott. Gott hat sie selbst. Gott sorgt sich in der Tat um uns und die übrige Schöpfung. Wir sind als Menschen im Bilde Gottes geschaffen mit der Sorge im Herzen, damit wir uns um einander und die Welt um uns sorgen. Das sagt Jesus immer wieder, das liegt im Gebot der Nächstenliebe selbst, dass wir darauf achten sollen, wie es dem Nächsten geht, dass wir die Phantasie, das Gefühl und den Verstand benutzten sollen, die Gott uns gegeben hat, um uns an die Stelle des anderen zu setzen und damit herauszufinden, wie wir am besten helfen können.

Aber es ist ein abgrundtiefer Unterschied zwischen der Sorge um einen anderen Menschen und um die Welt, in der wir gemeinsam leben und die wir gerne für kommenden Generationen erhalten wollen, und unserer nervösen Sorge um uns selbst und was wir haben. Mit uns selbst und unserem Eigentum im Zentrum gehen unsere Sorgen in alle Richtungen wie die Stacheln eines Igels. Und dann gerät das Vorhaben außer Kontrolle, so dass wir unseren Kindern nicht erlauben, Löcher zu graben, das könnte ja gefährlich sein, und sie werden dabei auch noch schmutzig. Dann fahren wir unsere Kinder in die Schule, anstatt sie selbst mit dem Fahrrad fahren zu lassen, denn der Verkehr ist ja gefährlich. Und dann wird der Verkehr ja nur noch gefährlicher mit noch mehr Autos vor der Schule – und die Kinder werden wegen fehlender Bewegung übergewichtig. Das dänische Wort „Bekümmerung“ für Sorge stammt vom deutschen Kummer. Dieser ewige Kummer macht unser Leben beschwerlich und uns selbst engbrüstig und kurzatmig.

Wir sorgen uns, das zu verlieren, was wir haben, auch wenn wir ja sehr wohl wissen, dass wir es trotzdem nicht mitnehmen können, wenn wir sterben. Wir sorgen uns, dass wir es nicht recht machen, obwohl wir ja sehr wohl wissen, dass niemand perfekt ist, dass wir alle gemeinsam unvollkommene Menschen sind.

Mit igelartiger Sorge versuchen wir, unser Leben unter Kontrolle zu bringen. Wir h alten uns selbst zum Narren, wenn wir glauben, wir hätten Macht üiber das Dasein. Aber das ist Blendwerk!

Jesus will, dass wie diese Sorge eines Igels loslassen. Er ärgert uns und will, dass wir über uns selbst lachen, wenn er sagt: „Jeder Tag hat genug an seiner Plage!“ Kannst du das nicht sehen, sagt er. Du kannst ja die Vergangenheit nicht ändern, und die Zukunft liegt außerhalb deiner Reichweite, aber jetzt und hier hast du die Möglichkeit, etwas zu tun. Vielleicht kannst du mit einer Entschuldigung und etwas Umsicht etwas wieder gut machen, was du gestern vermasselt hast, vielleicht kannst du mit Phantasie und Vorausschau in dem, was du unternimmst, dazu beitragen, den morgigen Tag für dich und für andere besser zu gestalten. Aber in erster Linie geht es darum, dass du hier und jetzt gegenwärtig bist. Hier sollst du deine Aufmerksamkeit bewähren und den Tag ergreifen mit seiner Freuden und Möglichkeiten und den Aufgaben und Problemen, die deinen Einsatz verlangen.

Gott weiß, wie viele Stunden, Tage und Wochen wir darauf verwandt haben, zu spekulieren und schlaflos zu liegen aus Sorge über Dinge, auf die wir trotzdem keinen Einfluss haben.

Da sitzen wir besorgt vor dem Fernseher und sehen zum dritten Mal die Nachrichten, während wir zugleich etwas planlos in Reklameblättern lesen und entdecken, dass wir mehr tot als lebendig sind.

Wir merken an unserem eigenen Leibe, dass die Sorge dabei ist, das Leben aus unserem Leib zu nehmen. Dass der Tod, vor dem wir so viel Angst haben und vor dem wir uns mit vielen verschiedenen Sicherheitswesten zu schützen versuchen, dabei ist, uns von innen aufzufressen. Und wir reagieren glücklicherweise mit Unruhe und Midlife Krisen, denn das ist ja nicht zu ertragen. Das war nicht der Wille Gottes mit dem herrlichen Leben und all den Sonnenaufgängen, die er uns gegeben hat, und wir haben auch nicht davon geträumt, so zu leben.

Eben hier begegnet uns Jesus heute. Hier sagt er zu uns: Versuche mal, deine Augen und Ohren zu öffnen, sieh die Blumen und die Vögel. Das Leben ist mehr als Essen und Kleider, mehr als Schweinebraten und Sportkleidung im Sonderangebot in der Zeitung. Jesus sagt uns, dass Gott weiß, dass uns das Leben weh tut, und was uns fehlt. Wir brauchen einen anderen Horizont als den, in dessen Zentrum unser eigener sehr interessante Nabel steht. Siehe den blauen Septemberhimmel, sagt er. Siehe die bunte Welt, die sich vor deinen Fenstern entfaltet. Wir sind keine Schwalben und Lilien, und wir sollen auch nicht v ersuchen, das zu werden. Jesus meint nicht, dass wir sie nachahmen sollen. Aber sie können unsere Augen öffnen, dass wir in einen viel größeren Zusammenhang gehören als den, der mit uns selbst zu tun hat und dem, was uns gehört, dass wir in eine Welt gehören mit Tieren und Pflanzen und Sonnensystemen und Galaxen. Unter hinter der Welt, die wir sehen und in der wir leben, ist Gott, ein Gott der es gut mit uns meint.

Das letzte ist freilich nicht immer leicht zu sehen. Wenn das Leben schwer wird und weh tut, wenn IS Videos von Enthauptungen ins Internetz stellt und wir die überfüllten Boote auf den Wellen des Mittelmeeres schwanken sehen, dann denken wir wohl an das Dasein als ein Schlachtfeld, wo wir mit unseren schusssicheren Westen und Sorgen so gut wie möglich durchschlagen müssen. Deshalb kam Gott selbst in unsere Welt, deshalb wurde er selbst Mensch, um mit uns hier mitten im bunten Leben zu reden. Jesus sagt er klar heraus: Unsere Sorgen und Ängste haben mit dem Tod zu tun. Die ewigen Sorgen sind ein krampfhafter Protest gegen die Wahrheit über uns, dass unser Leben verletzlich und vergänglich ist. Das sorglose Leben, das Jesus uns eröffnen will, finden wir erst, wenn wir es wagen einzusehen, dass wir verletzliche und sterbliche Menschen sind, und wenn wir es wagen zu glauben, dass Gott für uns da ist, auch wo das Leben weh tut und brutal und sinnlos erscheint, auch wenn wir die verlieren, die wir lieben, und selbst sterben müssen.

Das Gegengift gegen unsere Sorgen ist nicht noch mehr Überwachung und noch mehr Zäune, nicht noch mehr Sicherheitsschlösser an den Türen und noch mehr Sparen, sondern mehr Glaube. Glaube an das Leben als ein Geschenk und eine Aufgabe, die uns von anvertraut ist. Glaube an ihn, der dieses offene und aufmerksame Leben wagte, auch wenn es ihn das Leben kosten sollte. Nicht umsonst nennt uns Jesus kleingläubig. Denn die Sorge zeigt, dass wir zwar ein wenig glauben, aber nicht genug.

Und schließlich zurück zu Benny Andersen: Was nützt es, mit einer schusssicheren Weste herumzulaufen, wenn der Tod aus dem Herzen kommt? Was hilft es, sich gegen alles Mögliche nach außen zu sichern, wenn wir uns schließlich dabei in uns selbst einschließen mit dem, was wir haben, und unseren Sorgen. Jesus will die schusssicheren Westen durch Gott ersetzen, denn er beschützt uns von innen, er sagt zu dir: Ich werde mich schon um dein Leben kümmern jetzt und in alle Ewigkeit, so dass dein Herz schlagen kann für das Leben, das sich um dich herum entfaltet, so dass du Mut und Kräfte erhältst, dafür zu kämpfen. Amen.

 



Bischof Peter Fischer Møller
DK 4000 Roskilde
E-Mail: pfm(at)km.dk

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