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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2015

Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Hellmut Mönnich

Liebe Gemeinde,

„Macht euch keine Sorgen, wie ihr satt werden könnt und was ihr zum Anziehen habt …“ fordert Jesus in der kleinen Redeeinheit, die jetzt unser Thema sein soll. Matthäus hat sie überliefert, in der Bergpredigt - die ja genau genommen keine Predigt in einem Stück, sondern eine Zusammenstellung von Reden und kurzen Sätzen Jesu ist. Offenbar spricht Jesus in der jetzt zu bedenkenden Rede zu den Menschen, die mit ihm unterwegs sind, und nicht zuletzt zum Kreis seiner engsten Anhänger. In der Evangelien-Lesung eben haben wir die ganze Redeeinheit gehört.

„Heutzutage ist das doch uninteressant, was da gesagt ist. Wieso sollte uns das heute noch etwas angehen?“ hat vielleicht eben gleich am Anfang der Lesung der eine oder die andere gedacht. „Man braucht doch nur über einen Wochenmarkt zu gehen oder sich vor Augen zu führen, wie viele Lebensmittel in Deutschland täglich entsorgt, also einfach weggeworfen werden, um zu wissen, dass die meisten von uns mehr als genug zu essen und zu trinken haben. Und mehr Kleidung, als man wirklich braucht. Nein. Heutzutage braucht sich in dieser Hinsicht hier niemand mehr solche Sorgen zu machen.“

Jesus - und seinen mit ihm wandernden Anhängern in Galiläa - ging es allerdings damals nicht so wie uns heute: Ohne festen Wohnsitz waren sie damals unterwegs; ohne ausgeübten Beruf - und also ohne verdientes Geld; die Nächte verbrachten sie mal hier, mal dort: Unter dem Dach von Sympathisanten, auch unter freiem Himmel – da konnten jeden Tag Sorgen ums tägliche Brot und um Kleidung wieder da sein. Und das wusste Jesus natürlich auch, als er seine Mitwanderer aufforderte: „Macht euch keine Sorgen, wie ihr satt werden könnt und was ihr zum Anziehen habt …“ und damit meinte er auch: Angst braucht ihr nicht zu haben!

Vielleicht ist manchem ja eben schon die Bitte aus dem Vater-Unser eingefallen „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Zeigt diese Bitte nicht, dass es zur Zeit Jesu dort in Palästina nicht wenige Menschen gab, für die jeden-Tag-satt-zu-werden alles andere war als eine Selbstverständlichkeit? Tatsächlich will Jesus mit seiner Aufforderung, sich nicht Sorgen zu machen, aber schließlich auf etwas anderes hinaus.

Zunächst jedoch lenkt Jesus in seiner Rede den Blick auf die bunt leuchtenden Blumen an den Berghängen Galiläas - z.B. Lilien - und die am Himmel fliegenden Vögel. Kaum, dass es nach der Trockenheit des Sommers geregnet hat, zeigen sich dort die schönsten Blumen in bunter Pracht. Und wie selbstverständlich fliegen die Vögel - vielleicht Mauersegler und Schwalben. Die Blumen und die Vögel kann man als sichtbare Hinweise verstehen, dass Gott selbst das alltägliche Kleine und Unspektakuläre immer wieder aufleben lässt und mit eigener Schönheit ausstattet.

Allerdings: es wäre absurd, wollte man heute - 2000 Jahre später - von uns Christen verlangen, ebenso zu leben wie damals Jesus und seine mit ihm durch Galiläa wanderden Anhänger! Seine und ihre Lebenspraxis kann man nicht einfach in unsere Zeit übertragen, in unsere Zeit mit ihren eigenen Sorgen. Sorgen, die man sich - das eigene Leben betreffend – vielleicht macht: Finden die Kinder nach der Schule eine Stelle? Wird man selbst arbeitslos? Wird man als älterer Mensch überhaupt noch genommen, wenn einen die Firma „freistellt“ - wie es oft beschönigend heißt? Oder: was folgt aus einer nicht guten ärztlichen Diagnose, die mir oder jemandem aus der Familie oder aus dem Freundeskreis gestellt wird? Und - von einem selbst einmal abgesehen: Wer kann nicht die Sorgen der Menschen in den heutigen Terror-, Kampf- und Kriegsgebieten verstehen: In Syrien und im Irak mit der Terrorherrschaft des IS. In Palästina - vor allem im Gazastreifen. In den Terrorregionen Afrikas und in Afghanistan. Und hier in Europa im Osten der Ukraine. Wirkt die Aufforderung Jesu „Macht euch keine Sorgen“ - wenn wir sie auf unsere Zeit beziehen - nicht geradezu weltfremd?

Damals forderte Jesus seine mit ihm Wandernden auf, sich nicht von Sorgen lähmen zu lassen, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit auf Gott zu richten und auf das, was er will. Und das hieß auch: frei zu werden aus der angstvollen Fesselung, aus dem nur noch Kreisen um den Grund der Sorge.

Jesus allerdings will in seiner Rede über das „sich-Sorgen-machen“ auf etwas ganz Bestimmtes hinaus: auf einen vom Sorgen unterschiedenen, ganz anderen Orientierungspunkt. Dieser neue Orientierungspunkt bedeutet eine neue Einstellung zum Leben und bestimmt die Existenz der Jesus Nachfolgenden! Dazu lädt Jesus ein, wenn er sagt: „Euch muss es vielmehr um Gottes Reich – oder anders und besser übersetzt: um Gottes <Herrschaft> - gehen und um seine Gerechtigkeit“. Von jetzt an – will Jesus sagen – soll Gott und sein Wille euer Leben und Verhalten, eben eure Existenz bestimmen. Und das geht uns auch 2000 Jahre später etwas an! Dabei geht es nicht um eine Theokratie, also eine Herrschaft, in der Priester und Theologen auch im weltlichen Bereich in der Politik das Sagen haben und behaupten, als Vertreter Gottes zu handeln.

Blättert man in der Bergpredigt ein, zwei Seiten zurück, dann findet man das Vater-Unser-Gebet. Wer kennt daraus nicht die Bitten: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe“? Ungewohnt - aber vielleicht etwas verständlicher - übersetzt: Deine Herrschaft soll (endlich) sichtbar beginnen, dein Wille soll endlich gelten“. Vielleicht fragt jetzt jemand: Was meint Jesus hier mit „Herrschaft“? Sein Reden vom Reich Gottes, von Gottes Herrschaft, war es ja gerade, die Jesu Predigen vor allem anderen kennzeichnete. Und wie mögen das seine Zuhörer damals verstanden haben?

Damals, zur Zeit Jesu, sehnten sich viele Juden in Palästina in der dort durch Fremdherrschaft gekennzeichneten Zeit nach einer anderen, guten Herrschaft: Denn der römischen Besatzungsmacht, die damals das Land beherrschte, ging es darum, aus dieser Provinz möglichst viel Steuergeld herauszuziehen. Und zusätzlich zur Besatzungsmacht erlebten nicht wenige Juden bedrückende Wirtschaftssituationen: Großgrundbesitzer hatten vor allem den eigenen Gewinn im Auge, während die auf den Feldern und in den Weinbergen arbeitenden Tagelöhner - die sich ja täglich Arbeit suchen mussten! - am Rande des Hungers lebten, nicht anders als manche Kleinbauern. Ja, selbst die Jerusalemer Priester und Leviten schienen nicht immer und ohne „wenn und aber“ nach dem Willen Gottes zu leben - die von Lukas überlieferte Beispielerzählung von „barmherzigen Samariter“ lässt das erkennen.

Den Juden nun, die Jesus zuhörten, brauchte man nicht zu erklären, was Gottes Herrschaft oder Reich bedeutete. Wer z.B. den Psalm 145 betete, sprach „Dein Reich ist ein ewiges Reich, und deine Herrschaft währt für und für.“ Und wenige Zeilen weiter: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit“. Da spricht sich doch das Vertrauen darauf aus, dass Gott nicht verhungern lässt und dass Gottes Reich oder Herrschaft nicht vergleichbar ist mit den täglich erlebten Herrschaftsverhältnissen.

Im 18-Bitten-Gebet der Juden wird gebetet: „ … sei König über uns, du allein“, also: Herrsche du über uns wie ein guter König - statt der erlebten Herrscher. Und im Kaddischgebet der Juden wird gebetet: „ … sein Reich erstehe in eurem Leben und in euren Tagen und dem Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in naher Zeit!“ Diese Bitten zeigen, dass zur Zeit Jesu die Herrschaft Gottes gepriesen und zugleich intensiv gebetet wird, dass sie nun endlich die Gegenwart bestimmt.

Die uns geläufigen Vater-Unser-Bitten „Dein Reich komme, dein Wille geschehe“ werden - wie wir uns eben schon deutlich gemacht hatten – gebetet angesichts einer erlebten Wirklichkeit, die dem Willen Gottes nicht entsprach. Gottes Wille, wie sie ihn verstanden, stand der erfahrenen Wirklichkeit diametral entgegen. Denn Gott will für sein Volk „Schalom“ – ein Wort, das nur unvollkommen mit „Frieden“ übersetzt wird. Das hebräische Wort „schalom“ meint „Friede und Freundlichkeit“ und ebenso „Wohlergehen und Gedeihen“, mit anderen Worten: alles, einfach alles Gute will Gott für sein Volk. Das ist Gottes Wille. Und wo und wann das Leben entsprechend dem Willen Gottes gelebt wird – da „herrscht“ (um es so auszudrücken) Gottes Wille. Da istGottesherrschaft“, da bestimmt Gottes guter Wille das Leben - und nicht die egoistische, vielleicht sogar skrupellose Art derer, die Macht haben, seien es politische Machthaber oder z.B. Herren als Arbeitgeber in der Landwirtschaft.

An anderer Stelle der Bergpredigt liest man, dass Jesus sagt: „Nicht jeder, der zu mir sagt <Herr, Herr> gehört zur Gottesherrschaft, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21). D.h. doch: Gottes Herrschaft ist da und dann zu finden, wo und wenn das Tun, das Handeln, dem Willen Gottes zum schalom entspricht

Tatsächlich wurde über den Willen Gottes und das entsprechende Handeln der Menschen des Gottesvolkes noch zur Zeit der Verfasser unserer Evangelien diskutiert. Lukas schreibt dazu z.B. die eben schon angesprochene Geschichte vom barmherzigen Samariter: Ein Schriftgelehrter – das waren damals Theologen, die die Anweisungen Gottes zum Leben seines Volkes in den fünf Mosebüchern  studiert hatten und auslegten - also: ein solcher Schriftgelehrter wollte Jesus auf die Probe stellen. Er fragte ihn, was er selbst tun müsse, um das ewige Leben zu bekomme - , um also in Gottes Wirklichkeit zu kommen. Jesus fragte zurück: „Was liest du in der Tora?“ Die Antwort kennt wahrscheinlich jeder: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und mit deinem Willen. Und: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.“ Dieses sog. Doppelgebot der Liebe wird von drei Evangelisten überliefert. Es ist offenbar elementar und kennzeichnend für Jesus und meint jedes Handeln, das dem entspricht, was Gott will.

Jesus hatte auf das zitierte Doppelgebot der Liebe geantwortet: „Halte dich daran und du wirst leben“. Diese Antwort allerdings veranlasste den Schriftgelehrten zu einer neuen Frage: „Wer ist denn mein Mitmensch?“ Und diese Frage beantwortet Jesus dann mit der Beispielgeschichte von dem Reisenden aus dem verachteten, sozusagen ausländischen Samarien, der im Gegensatz zum vorbeikommenden Priester und dem Leviten hilft. In diesem Augenblick der Hilfe wird der Wille Gottes erfüllt! In diesem Augenblick ist Gottes Herrschaft Gegenwart.

Was kann das für uns heute heißen? Wie kann das heute aussehen? Es ist nicht zu übersehen, dass unsere Worte und Taten heute oft dem liebenden, fürsorglichen, vergebenden, zum Frieden und zur Hilfe rufenden Willen Gottes widersprechen. Wenn wir Christen und Christinnen uns entsprechend unseren Kräften und Fähigkeiten orientiert an Gott verhalten und handeln - dann wird Gottes Herrschaft, Gottes Reich Wirklichkeit! (Das muss ich eigentlich noch einmal und ganz langsam sagen!)

Ich las z.B. von einer Frau, die Christin geworden war, nachdem sie Menschen kennengelernt hatte, „für die die Kirche und für die ihr Glauben von essentieller Bedeutung waren“ wie sie es ausdrückte. Die Kraft, die diese Menschen aus ihrem Gottesverhältnis zogen, hätte auch sie geprägt. Und die Frau fuhr fort: „Nicht alles hinnehmen und geschehen lassen, sondern Verantwortung übernehmen – für mich selbst und für meine Familie und für die Gesellschaft.“ Und dann erklärte sie, was sie unter Verantwortung versteht: „Ich möchte helfen, diese Welt ein Stück weit gerechter und lebenswerter zu machen. Ich will dabei helfen, die Lasten der Schwächeren zu tragen und diejenigen mahnen, die es besser haben und andere nicht daran teilnehmen lassen.“

Als ich das gelesen habe, habe ich mich konkret gefragt: wie sollen wir Christenmenschen in Deutschland z.B. mit den Asyl suchenden aus Syrien und dem Irak umgehen, die aus der Not und dem fürchterlichem Terror und Krieg dort ihr Leben in Deutschland retten wollen und bitten, hierher kommen zu dürfen? Wir dürfen uns doch nicht einfach vom Unglück dieser Menschen abwenden! Erheben wir unsere Stimme in den Gemeinden? Schreiben wir einen Leserbrief? Treten wir Menschen entgegen, die behaupten, dass diese Geflüchteten nur Schmarotzer unseres Sozialstaates seien? Sind wir Fürsprecher für diese armen Menschen in den Asylunterkünften?-

„Warum soll ein Unternehmer ethisch handeln, wenn er dadurch ein Geschäft verliert?“ las ich. Ist tatsächlich die Antwort in Ordnung: „Geschäft geht vor. Ist doch klar“? Sich an Gott und seinem Willen zu orientieren heißt beispielsweise auch hier: Die Stimme erheben und widersprechen!

Haben Sie, liebe Gemeinde, Beispiele für christliches Handeln und Engagement, das sich an Gottes Willen orientiert? Wer wüsste nicht, dass die Zahl der Christen in Deutschland zurückgeht und sie oft nur noch eine Minderheit sind. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir Christen nicht durch unsere Stimme und unser Handeln positiv auffallen – unterschieden vom Mainstream. Und zwar besonders durch unser Handeln, dass ja überzeugender sein kann als Worte. Und: denken wir genug darüber nach und diskutieren wir genug, wie Leben und Handeln aussieht, das sich am Willen Gottes orientiert? Der Sorge um uns selbst, um das eigene Leben steht die Orientierung am Willen Gottes und seiner Gerechtigkeit gegenüber! Und jedes Mal und überall, wo wir in unserem Handeln und Reden dem Willen Gottes entsprechen – wird Gottes Herrschaft Wirklichkeit. Ich habe den Eindruck, dass entsprechendes ethisches Handeln in unserem Glauben und Nachdenken eine viel zu kleine Rolle spielt! Hatte nicht schon Bonhoeffer das „Tun“ der Christen gefordert? D.h.: auch, dass es auf das gesellschaftliche Engagement der Christen heute ankommt. Es ist schade, dass wir dem jetzt nicht weiter nachgehen und darüber diskutieren können! Liebe Gemeinde: Unser Hören auf den kurzen Redetext aus der Bergpredigt heute kann nicht mit dem Ende dieses Gottesdienstes zu Ende sein! „Gottesdienst“ – sagte einer meiner Lehrer – „findet im Alltag in der Woche statt.“ Und nun gilt es, dass wir uns am Willen Gottes orientieren und leben!

Amen



P.i.R. Hellmut Mönnich
Göttingen
E-Mail: moenninch.goettingen@t-online.de

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