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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 27.09.2015

Predigt zu Lukas 14:1-11 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Michael Wagner Brautsch

Dieses Evangelium handelt u.a. von der Kunst der Demut. Und es scheint, als habe der moderne Mensch Schwierigkeiten mit diesem Begriff. „Demütig“ sein. Das Synonym-Wörterbuch stellt das Wort in eine Gruppe mit Begriffen wie untertänig, hündisch, einschmeichelnd, gehorsam oder gar wie ein Köter. Und wenn man an diesen Bedeutungen festhält, dann zerrinnt der Sinn des heutigen Textes wie Sand zwischen den Fingern.

Der Sinn ist nicht, dass wir uns wie Köter verhalten sollen, dann werden wir erhöht. Der Sinn ist eher, dass wir uns selbst an die Stelle der Niedrigsten setzen sollen. Das heißt sich demütigen im evangelischen Sinne.

„Welcher unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt, und der nicht alsbald ihn herauszieht am Sabbattage?“ Wie so oft wendet sich Jesus gegen die Sklaverei der Gesetzlichkeit. Nicht das Jesus gekommen wäre, das Gesetz abzuschaffen, denn lieben bedeutet auch Grenzen setzen, er ist vielmehr gekommen und das Gesetz und die Menschen in ein rechtes Verhältnis zu setzen: Der Sabbat, also der Ruhetag, ist um des Menschen willen geschaffen, nicht umgekehrt, sagt er. Aber damit stellt er ja die Zuhörer in ein Dilemma.

Denn die Einhaltung des Sabbatgebotes war für die Pharisäer eines der wesentlichsten Kennzeichen des jüdischen Volkes. Sollte es geschehen, dass alle Juden nur ein einziges Mal vermochten, den Sabbat in allen Einzelheiten einzuhalten, dann würde der Tradition zufolge der Messias kommen.

Deshalb ist dies der Nerv selbst in der Gesetzesknechtschaft, mit der sich Jesus hier auseinandersetzt. Dass der Sabbat um des Menschen willen sein soll, und nicht für Gott, das war für die Pharisäer Nonsens. Für Jesus aber machte es keinen Sinn, von den Geboten Gottes zu reden, ohne vom Willen Gottes mit den Menschen zu reden.

Jesus wendet sich dagegen, das Sabbatgebot als ein Prinzip aufzufassen. Nicht gegen den Sabbat selbst. Denn wir sollen des Sabbattages, unseres Ruhetages, gedenken, wie es eines der zehn Gebote vorschreibt. Wir sollen einen Tag in der Woche für Vertiefung und Dank verwenden. Einen Tag ohne unnötige Arbeit; einen Tag, an dem wir daran denken, dass es nicht die Dinge sind, die uns besitzen, sondern wir, die die Dinge besitzen. Und darin die Fürsorge Gottes für den Menschen spüren: dass der Ruhetag für den Menschen da ist.

Wenn man nicht am Tag des Herrn, dem Sabbat, seine Arbeit machen darf, was dann, wenn dein geliebtes Kind einen rasche Hilfe von Dir braucht? Ist das Gesetz dann höher als die Liebe? Natürlich nicht. Gesetz und Evangelium sollen einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Einander unterstützen.

Die große Erzählung von Gott und Mensch wirft hier ihr Licht auf uns, so dass wir unsere menschliche Liebe und unsere Beziehungen zu einander im Lichte der ewigen Liebe sehen können, die alles vermag.

„Welcher unter euch, dem sein Sohn in den Brunnen fällt, und der nicht alsbald ihn herauszieht am Sabbattage?“ Jesus spricht hier vom Feind des Lebens. Das Böse, die Sünde und der Tod sind der Brunnen, in den wir alle gefallen sind. Es ist das gemeinsame Schicksal der Menschheit und die eigene Schuld eines jeden Menschen.

Und nun kommt Jesus und zieht uns heraus. Er muss ganz tief hinabsteigen in die Tiefe, um uns herauszuholen. Abner er tut es. Denn er ist der Mensch, der immer stehen bleibt. Er bist der Nächste, der nie vorbeigeht, und eben deshalb können wir ihn ihm einen Funken des ursprünglichen Lebens erblicken, so wie es sein würde ohne das Böse und die Sünde und den Tod, die also ein Teil des Ganzen geworden sind.

Als der, die nie an einem Menschen in Not vorbeigeht, ist Jesus ein Vorbild für uns alle. Was er uns zeigt, ist die Kunst, sich für seinen Nächsten zu demütigen. Sich an die Stelle der Niedrigsten setzen. Wie der Hochzeitsgast, der sich im Festsaal untenan hinsetzen soll und damit die Möglichkeit erhält, geehrt zu werden. Der Abschnitt im Evangelium, in dem der Gast gebeten wird, sich nach vorne zu setzen, zeigt uns, wie wir leben sollen. Die echte Demut, die auf die vornehmsten Plätze verzichtet.

Jesus Christus selbst verzichte auf den vornehmsten Platz: Gott gleich zu sein. Er demütigte sich, und deshalb erhielt er den Ehrenplatz, wo er vor allen Gästen geehrt wurde. Deshalb sollen sich beugen aller Knie und jede Zunge bekennen zur Ehre Gottes: Jesus Christus ist der Herr.

Aber wenn auch die Aufforderung zur Demut ergeht, so ist diese Disziplin nicht nur etwas, für das man sich so beim nachmittäglichen Kaffee entscheiden kann. Man kann sich nicht zur Demut zusammenreißen. Man kann sich nicht Demut antrainieren, denn Demut beginnt woanders: In dem Erlebnis, von etwas Ursprünglichen ergriffen zu sein; etwas, worüber man nicht selbst verfügt, in einer Erfahrung, von etwas Guten und Großem umfangen zu sein.

Deshalb beginnt es nicht damit, dass wir nun beschließen, demütig zu sein, sondern damit, dass wir Augen und Ohren, Herz und Sinne öffnen.

Wir haben wohl alle erlebt, dass wir demütig gemacht wurden. Vielleicht als wir b ei einer Taufe am Taufbecken standen. Vielleicht als jemand zu mir kam und die Hände auf meine Schulter legte an dem Tag, als die Freude mir abhandenkam. Die Demut in der großen Freude. Die große Freude, die zugleich von außen und von innen kam. Wo ich erlebte, in eine Welt zu gehören und in mein eigenes Leben, ohne an Vorbehalte zu denken und Forderungen zu stellen.

Aber ich wurde auch demütig, als ich die große Trauer erlebte. Als wir zuhause oder in der Kapelle standen und ein Gebet sprachen. Als der Sarg in die Erde gesenkt wurde. Wo wir klein waren und hilflos, einer Wirklichkeit ausgeliefert, die größer ist als wir. Die Stunde des Abschieds kann eine wertvolle Zeit sein, wenn wir zu ihr etwas Abstand gewinnen.

Demut ist eine Weise zu leben, wenn wir uns an der Grenze befinden zwischen dem, was wir können, und dem, was wir nicht vermögen. Denn wir dürfen in der Demut wir selbst sein, und wir brauchen dann nicht daran zu denken, wo unser Platz am Tisch des Daseins ist – ob wir einen Platz ganz hinten haben oder ganz oben.

Die Worte Jesu im heutigen Evangelium, Worte, mit denen wir nie fertig werden, sind in erster Linie eine Verkündigung von ihm selbst. Wer sich demütigt, soll erhöht werden. Der Gekreuzigte wurde der Auferstandene. Im Glauben an ihn kann die Demut sich ganz von selbst einfinden. Wie ein Schaudern in einem demütigen Herz, mit dem wir in Jesu Namen schließen und beginnen. Amen.



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK-2000 Frederiksberg
E-Mail: mwb(at)km.dk

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