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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 27.09.2015

Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Rainer Stahl

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Zu Beginn der Beschäftigung mit dieser biblischen Erzählung habe ich eine merkwürdige Entdeckung gemacht: In den Jahren, seit ich einen Computer habe, seit 1990, habe ich nicht mehr dieses biblische Ereignis gepredigt. Es ist ja ganz einfach, im Computer eigene Andachten und Predigten aufzubewahren. Ich lege sie immer unter dem Bibeltext ab. Und Matthäus 15 kommt nicht vor! Ich war richtig verwundert.

Als ich aber mein griechisches Neues Testament aufgeschlagen habe, wurde ich beruhigt: Es gibt Unterstreichungen in genau diesem Bibeltext. Ich habe mich also mit ihm schon einmal beschäftigt, habe mir markiert, was mir damals wichtig war.

 

Zum Beispiel: „ελέησόν με, κύριε!“ – „Erbarme dich meiner, Herr!“

Und: „ω γύναι, μεγάλη σου η πίστις“ – „Oh Frau, groß ist dein Glaube!“

 

Das sind Schlüsselsätze, die sozusagen einen Rahmen bilden:

Die Frau erkennt an, dass ihr in diesem Jesus Gott entgegentritt. Sie redet ihn mit der Anrede „Herr!“, „κύριε!“ an. Einer Anrede, die in der damaligen Kultur zu allererst den sich selbst vergottenden Kaisern zustand. Diese hielten sich für „κύριοι“, für „Herren“. Sie forderten religiöse Opfer und Verehrung für sich.

Unsere kanaanäische Frau, unsere Frau aus Südsyrien nimmt schon die Kirche aus den nichtjüdischen Völkern vorweg, nimmt uns Christen vorweg, Euch Ungarn hier in Csonkapapi in Transkarpatien, mich Deutschen. Sie begreift, dass es nur einen wahren Herrn gibt: Jesus, den Christus. Und damit spricht sie allen Möchtegern-Herren das Herr-Sein ab. Dasselbe sollen auch wir tun.

Wir sind damit mitten in unserer Situation und Zeit. Ich denke: Wir sind auch wirklich bei Euch hier in Csonkapapi: Ihr Älteren unter Euch erinnert Euch noch, wie gefährlich es unter sowjetischer „Власть“ – sowjetischer „Macht“ war, Christ zu werden, Christ zu bleiben. Aber auch Ihr Jüngeren und Jungen könnt ein Lied von Auseinandersetzungen und Zweifeln singen. In unserer Moderne wird zwar der Glaube nicht aktiv verfolgt. Aber doch wird er in Frage gestellt. Auch bei uns in Deutschland. Auch bei Euch. Viele Menschen gestalten ihr Leben ohne die Frage nach Gott, ohne die Suche nach dem „κύριος“, nach dem „Herrn“, dem wir unser Leben verdanken. Sie nehmen alles selber in die Hand. Natürlich steht vor uns die Aufgabe – vor jedem Einzelnen, vor jeder Einzelnen von uns –, unser Leben in notwendiger Eigenverantwortung zu führen. Aber zugleich kommt es darauf an, Gott den „Herrn“, den „κύριος“, sein zu lassen. Ich denke, dass gerade Eure evangelisch-reformierte Tradition Euch darauf immer wieder hinweist. Das ist gut so!

Als evangelisch-lutherischer Christ möchte ich Euch heute Sätze von Martin Luther vorlesen. Martin Luther hat sie schon 1529 geschrieben, aber sie sind doch ganz aktuell: „Was heißt, »einen Gott haben«, oder was ist Gott? Antwort: ein Gott heißt das, von dem man alles Gute erwartet und bei dem man Zuflucht in allen Nöten haben soll, so dass »einen Gott haben« nichts anderes ist, als ihm von Herzen trauen und glauben […]. Woran du nun (sage ich) Dein Herz hängst und Dich darauf verlässt, das ist eigentlich Dein Gott“ – so in seinem Großen Katechismus in der Erklärung zum Ersten Gebot.

Martin Luther hat gespürt, dass wir alle in unserem Leben solches Vertrauen aufbringen. Zu gelingendem Leben aufbringen müssen. Er meinte: Jeder vertraut so. Die Frage sei nur, ob wir auf Götzen vertrauen oder auf den wahren Gott. Deshalb hat Martin Luther noch hinzugefügt: „Wie ich oft gesagt habe, dass allein das Vertrauen und Glauben des Herzens beide macht: Gott und Abgott. Sind Glaube und Vertrauen recht, so ist auch Dein Gott recht.“

Solches rechtes, richtiges, gutes Vertrauen wird von Christus anerkannt: „μεγάλη σου η πίστις“ – „Groß ist dein Glaube!“ Das ist viel mehr als gedankliche, intellektuelle Anerkennung von Glaubenssätzen. Sicher gehört dies dazu – dass wir innerlich bejahen, dass Jesus von Gott kommt, uns Gott erschließt. Wie wir mit dem großen Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel bekennen: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.“ Ich kann mir denken, dass diese Glaubenseinsicht für Euch besonders wichtig ist – auf Grund der Nähe zur Orthodoxie, in der Ihr lebt und Kirche seid. Eigentlich aber kommt es darauf an, diese Wahrheit innerlich anzunehmen, sie innerlich zu Vertrauen auf Gott umzuschmelzen – zu Vertrauen auf Christus und darüber zu Vertrauen auf Gott.

Das alles sieht Jesus bei dieser Frau aus Südsyrien. Und das will er heute bei uns sehen. Bei mir aus Deutschland. Bei Euch in Transkarpatien in der Ukraine. „Groß ist dein Glaube!“ Das wird heute jeder und jedem von uns gesagt. Dir. Dir. Auch mir.

Und dazu ist ein zweiter Schritt nötig: Diese große Qualität muss bei uns wirklich ankommen. Wie kann das gelingen?

Dazu habe ich eine Anregung durch die Unterstreichung eines anderen Begriffes in unserer biblischen Geschichte gewonnen. Des Begriffs: Die Frau „προσεκύνει αυτω“ – „fiel vor ihm nieder“. Das ist für uns vielleicht verstörend, ja: ärgerlich. Bei meinem alttestamentlichen Professor in Jena, Rudolf Meyer, habe ich vor 43 Jahren gelernt: Das heißt, auf die sieben Punkte fallen: beide Füße, auf beide Knie, auf beide Hände und auf die Stirn.

Zwei Beispiele für solches Niederfallen heute: Vor vielen Jahren habe ich das bei einem Besuch in einem südindischen Kloster der alten syrischen Kirche erlebt. Da fielen und fallen die Mönche beim Gebet immer wieder in dieser Weise nieder. Und natürlich beten so die muslimischen Menschen – mehrmals jeden Tag. Bei einem Besuch in Jordanien, in Aqaba – ganz im Süden des Landes an der Küste – habe ich einen Mann beobachtet, der am Strand seinen Gebetsteppich auspackte und so in Richtung Mekka betend niederfiel.

Natürlich geht es nicht um die äußerliche Handlung. Es geht um die innere Einstellung, die diese Handlung deutlich macht. Die Frau hat vor Gott alle eigenen Ansprüche aufgegeben. Sie hat zum Ausdruck gebracht: Vor dir, Gott, habe ich keinerlei eigene Leistung oder Fähigkeit oder selbst Erarbeitetes, auf das ich verweisen kann. Vor dir stehe ich mit leeren Händen da. Ganz angewiesen darauf, dass du mir Leben und alles schenkst.

Diese Haltung, diese Einstellung ist wichtiger Bestandteil des „Glaubens“: Zu begreifen, dass wir ganz angewiesen sind auf Gott. Dass wir – um die Formulierung Martin Luthers aufzugreifen – an ihn „unser Herz hängen“. Dass wir uns auf ihn „verlassen“. Dazu lädt uns heute diese nichtjüdische, diese südsyrische Frau, ich darf sagen: diese ungarische, diese deutsche Frau ein!

Verlassen wir uns wie sie ganz auf Gott! Amen

 

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“



Pfarrer Dr. Rainer Stahl
Csonkapapi (Karpatho-Ukraine)
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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