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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 27.09.2015

Vom betenden Glauben
Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Peter Schuchardt

Liebe Schwestern und Brüder,

stellt euch vor: Ihr begegnet Jesus. Ihr begegnet ihm selbst, unserem Herrn. Was würdet ihr ihn fragen? Was würdet ihr ihm sagen? Würdet ihr ihn um etwas bitten? Oder würdet ihr nur stumm vor Glück oder vor Ehrfurcht dastehen und ihn an euch vorübergehen lassen? Ja, ich weiß: Mancher denkt im Herzen: „Also, wenn ich dem Jesus mal treffen könnte, dem würde ich was erzählen!“ Ich weiß, dass mancher dann von Kriegen und Hunger auf der Welt und von der Ungerechtigkeit erzählen würde, von den ganzen von Menschen gemachten Problemen. Und Jesus würde nur dastehen und sagen: „Und du? Was machst du dagegen? Und, was viel wichtiger ist: Was hast du wirklich auf dem Herzen?“ Wenn wir Jesus begegnen, wird er nach unserem Herzen fragen. Und das heißt: Er wird nach unserem Glauben fragen. Denn dort wohnt ja unser Glaube. Dort ist das zu finden, worauf wir unser Leben bauen, worauf wir unsere Hoffnung setzen. Glaubst du an die Jugend, die Schönheit, die Gesundheit, Erfolg, Macht und Geld? Das kannst du, natürlich, aber wird dich das trösten in Krankheit, im Alter, in Schuld und Kummer? Oder glaubst du an Gott, den Vater aller Menschen, an den Gott, der die Liebe ist? Wie stark, wie beharrlich, wie sehnsuchtsvoll ist dein Glaube? Was erwartest du, was erhoffst du von Gott?

Wir lesen von vielen Menschen, denen Jesus begegnet. Er ist offen für sie und für ihre Fragen. Er geht zu ihnen und nimmt sich Zeit für sie. Er richtet sie auf und heilt sie. Manchmal, bei seinen Gegnern, den Pharisäern und Schriftgelehrten, verwickelt er sie in ein Gespräch und weist sie zurecht. So wird er einmal gefragt (Mt 15 1-20), warum seine Jünger sich nicht die Hände vor dem Essen waschen. Für die gelebte jüdische Religion ist das Gebot der Reinheit ganz wichtig. Doch Jesus nimmt die Frage auf und führt sie ins Grundsätzliche. „Fangt ihr doch erst einmal an, Gottes Gebote zu halten“, so sagt er ihnen. „Ihr baut eine Grenze auf, die doch gar keine Grenze ist. Ein Mensch wird unrein vor Gott durch das, was aus seinem Herzen kommt, durch böse Gedanken und Verleumdungen. Ungewaschene Hände aber machen ihn nicht unrein. Ihr wollt eine Grenze von außen ziehen – aber das könnt ihr doch gar nicht. Die Grenze verläuft in euch, in eurem Herzen!“ Viele beeindruckt Jesus mit seinen Worten. Ja, so kennen wir ihn. „Gott ist barmherzig“, so sagt er es immer wieder, „er sieht in euer Herz und erkennt dort die Wahrheit. Vertraut ihm euch doch an!“

Aber nun lesen wir von einer Begegnung mit Jesus, die anders scheint:

Jesus zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Was ist das? Jesus, der barmherzige, er scheint hier so abweisend, so böse, so arrogant zu sein. Aber, liebe Schwestern und Brüder, es ist doch immer noch der barmherzige Jesus, der alle menschengemachten Grenzen überschreitet. Die Begegnung mit Jesus wird jeden verändern. Das ist nicht immer leicht. Wie stark, wie beharrlich, wie sehnsuchtsvoll ist dein Glaube? Das sind die Fragen, die Jesus uns stellt, wenn wir ihm begegnen. Und erstellt sie auch dieser Frau aus Kanaan. Sie ist eine Heidin, eine Frau, die einen anderen Glauben hat als die Juden. In der Religion Kanaans spielen die Fruchtbarkeit, das Wachsen, die Stärke eine große Rolle. Doch nun ist ihre Tochter krank, von einem Dämon besessen, sagt sie. Ihre Tochter ist schwach, nicht mehr Herrin ihres Lebens und ihres Herzens. Die Stärke, das Wachstum, das, was in Kanaan wichtig ist, das hilft der Tochter nichts. Ihre Mutter hört von Jesus. Sie hört von seiner Barmherzigkeit. Sie hört von der grenzenlosen Liebe Gottes. Und so kommt sie voller Sehnsucht und Hoffnung zu ihm. Ja, sie redet ihn sogar an wie eine Frau, die in ihm den Sohn Gottes sieht, als eine, die erkennt: In diesem Mann kommt Gott selbst zu uns. „Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ Sie schreit alle ihre Sehnsucht heraus. Denn sie weiß doch niemand sonst, der ihr helfen könnte. Aber Jesus antwortet nicht. Das erscheint uns hart und unbarmherzig. Die Frau aber lässt nicht locker. Sie will vom Herrn alles. Denn ihre Tochter liegt ihr so am Herzen. Würden wir so inständig bitten und beten, würden wir so inständig nach Gott schreien? „Anholen deit kriegen“, so sagt man bei uns auf Plattdeutsch, wenn du beharrlich dabei bleibst, wirst du bekommen, was du willst. Das nimmt sich die Frau zu Herzen und schreit und schreit immer wieder nach Jesus. Sie schreit so lange und so laut, dass die Jünger völlig genervt sind. „Jesus, nun geh doch zu ihr, sie nervt doch nur und hört nicht auf zu schreien!“ Jesus aber, der barmherzige, ist auf dem Weg mit der Frau. Das sehen die Jünger nicht, und sie weiß es auch noch nicht. Jesus geht mit der Frau den der Weg des Gebets. Wer schnell aufgibt, wird nie die Erfüllung seiner Sehnsucht erleben. Das gilt beim Erlernen eines Hobbys, eines Instruments. Noch mehr gilt das beim Erlernen des Glaubens! Die Sprache des Glaubens ist die Sprache der Liebe. Sie ist es auch hier. Ich weiß ja, und mancher von euch hat es schmerzhaft erlebt: Viele Beziehungen scheitern, weil sie nicht beharrlich an die Kraft der Liebe glauben, weil sie in einer Krise nicht beieinander bleiben, sondern sich voneinander abwenden. Paare, die das Fest ihrer Goldenen, ihrer Diamantenen Hochzeit feiern dürfen, erzählen mir oft: „Ja, wir hatten auch schwere Zeiten, aber wir sind beieinander gebelieben. Und diese schweren Zeiten haben uns einander noch näher gebracht. Sie haben uns immer mehr das Herz dafür geöffnet, was wir aneinander haben!“

Diese Frau aus Kanaan hat einen starken, einen sehnsuchtsvollen Glauben. Glaube heißt im Neuen Testament immer Vertrauen, Vertrauen zu Christus. Diese Frau, mit ihrem fremden Glauben, hat dieses Vertrauen zu Christus, den sie Herr nennt. Darum schreit sie so sehr nach Jesus. Würden wir das tun? Worauf setzen wir unser Vertrauen in den Krisen unseres Lebens?

Jesus antwortet zuerst nicht auf ihr Rufen. Bevor wir jetzt zagen: „O, wie hartherzig von ihm!“, gebe ich euch eines zu bedenken: Das kennen wir doch von so manchem Gebet, das wir zu Gott geschickt haben. Wie simpel denken wir uns einen Gott, der wie ein Automat sofort unser Gebet erhört. Wer sind wir, dass wir über ihn zu bestimmen haben! Geben wir dann auf – oder beten wir weiter und weiter? Beten wir so lange, bis wir eine Antwort bekommen? Die Frau bekommt eine Antwort. Doch es ist es nicht das, was die Frau - und auch die Jünger – gern hören möchte. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“, sagt Jesus. Das klingt hart und abweisend. So klingt auch in unseren Ohren manches Wort der Schrift hart und abweisend. Doch diese Frau aus Kanaan hat ja einen beharrlichen und sehnsuchtsvollen Glauben. Obwohl Jesus so abweisend klingt, kommt sie ganz nahe zu ihm und wirft sich vor ihm nieder: „Herr, hilf mir!“ Sie bleibt dabei, Jesus zu bitten. Durch ihr Niederwerfen zeigt sie ihm: Ich gebe mich ganz und gar in deine Hand. Würden wir das tun?

Und Jesus? Er antwortet auf die Bitte der Frau wiederum mit einem Satz, der hart in unseren Ohren klingt: „Es ist nicht richtig, den Kindern das Brot weg zu nehmen und es den Hunden zu geben.“ Das Brot ist natürlich das Evangelium, das gute Wort Gottes, und das soll zu Kindern Israels. Denn natürlich ist Jesus zu dem Volk Israel gesandt. „Ja“, sagt die Frau, „das stimmt, und das will ich auch gar nicht. Aber es fallen doch immer Krümel von dem Brot herunter, und diese Krümel reichen mir doch schon.“ Die Frau stört sich nicht an dem vermeintlich harten Wort mit den Hunden, sie hat das wundervolle Brot, das Evangelium, die Liebe Gottes vor Augen, und da langen ihr schon ein paar Krümel. Denn da ist doch so viel drin. „Selbst dieses wenige reicht doch für mich, Herr.“ So viel Vertrauen spricht aus den Worten der Frau. „In diesen Brotkrumen ist so viel Gnade, Hilfe und Leben, das reicht voll und ganz für mich.“ Das ist ihr tiefer Glaube, ihr großes Vertrauen mit dem sie so beharrlich zu Jesus kommt. Jesus ist diesen Weg mit ihr gegangen. Ein Weg, auf dem er scheinbar abweisend erscheint. Ein Weg aber, auf dem er das Herz dieser Frau für das gute Wort Gottes, das Evangelium, öffnet. Nun erkennt die Frau: „Gottes Liebe kennt keine Grenzen!“ Jesus überschreitet die Grenzen, die die Menschen setzen. Diese Frau mag aus Kanaan sein, ihr mögt sie eine Heidin, eine Ungläubige nennen. Aber sie ist doch auch ein Kind Gottes, die sich voller Vertrauen an ihren Herrn wendet. Und ihr Vertrauen wird belohnt: Ihre Tochter wird gesund. Das ist der Weg des Gebets. Wir kommen mit dem, was wir auf dem Herzen haben, langsam zu Gott. Immer wieder sagen wir ihm, was uns bewegt, und warten auf Antwort. Wir geben uns endlich ganz in seine Hand. Wir hören auf sein Wort. Und wir sprechen mit Gott. Bis er uns das Herz öffnet.

Wenn wir Jesus begegnen, werden wir verändert. Die Grenzen öffnen sich. Er öffnet und überwindet die Grenzen, die zwischen uns sind. Diese Frau aus Kanaan erlebt die Weite des Glaubens. Sie erlebt Heilung, Freude und neues Leben. Das ist der Raum, den der Glaube an Christus uns öffnet. Oft haben Grenzen ihren Sinn. Aber wenn es um das Leben, wenn es um Gott geht, den Vater aller Menschen, dann dürfen wir auf Gottes grenzenlose Liebe vertrauen.

Das dürfen wir allen sagen, die in ihren engen Grenzen des Denkens und des Herzens gefangen sind: Hier ist Gott. Hier ist sein Wort. Hier ist Leben – für jeden, der sich voll Vertrauen an Christus wendet. Das ist unser Glaube. Unser Glaube, unser Vertrauen zu Gott wird unser Herz weit machen. Wir werden sehen: So weit reicht seine Barmherzigkeit, dass unsere Grenzen alle fallen. An diesen Gott glauben wir. Auf ihn vertrauen wir. Und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt und alle ihre Grenzen überwunden hat. Dieses grenzenlose Vertrauen zu Gott wünsche ich euch von Herzen. Amen



Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: Peter Schuchardt

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