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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag d. Erzengels Michaels und aller Engel/Michaelistag, 29.09.2015

Predigt zu Lukas 10:17-20, verfasst von Thomas-Michael Robscheit

Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen!

 

Heute ist ein besonderer Tag liebe Gemeinde. Michaelistag! Heute wird des Erzengels Michael gedacht. Es ist einer der wenigen Tage im Jahr, an dem auch die evangelische Kirche einen Namenspatron hat. Einen besonderen Gruß deswegen an alle Michaels und Michaelas und an die Großromstedter, denn ihre Kirche trägt Michaels Namen!

Dieser Engel Michael entspricht keineswegs dem Bild, das wir oft von Engeln haben: kleine niedliche Putten. Er ist kein traurig-melancholisches Kindergesicht auf einem Grab. Nein, Michael ist ein Kämpfer, er ist bewaffnet. Michael wird mit dem Schwert oder Spieß dargestellt. In der Bibel, genauer gesagt in der Offenbarung des Johannes, wird beschrieben, wie der Engel mit dem Drachen, der sinnbildlich für den Teufel, das Böse, steht, kämpft. Nach der Überlieferung ist er es auch, der vor dem Paradies Wache hält. Michael steht Daniel bei, hilft Israel am Schilfmeer und Mose. Ein engagierter, kämpfender Engel, der Gewalt nicht scheut. Er nimmt den Kampf zwischen Gut und Böse an.

In diesen Kampf schickt Jesus 70 (oder 72) Jünger. Sie sollen das Evangelium verbreiten. Die Geschichte im Lukasevangelium wird nicht angenehm gradlinig erzählt, sondern es wird neben dem Gelingen auch das Scheitern und das Zurückgewiesenwerden mit in den Blick genommen. Schwierigkeiten werden thematisiert. Die Stimmung ist apokalyptisch. Während die Männer noch unterwegs sind, klagt Jesus über drei Städte und verkündet deren Strafgericht.

 

Dann kommen die 72 zurück und sind begeistert. Sie haben eine ungeahnte Fähigkeit entdeckt! Sie können über üble Geister befehlen! Die gehorchen ihnen, sie werden ihnen dienstbare Geister. Das ist doch, liebe Gemeinde, eigentlich eine schöne Sache. Ich kann mir richtig vorstellen, wie die 72 zurückkamen und völlig fasziniert davon waren, dass sie Einfluß in der unsichtbaren Welt der Engel, Geister und Dämonen hatten. Leider teilt Jesus ihre Begeisterung nicht."Freut euch lieber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!" Wie Kinder, die ein schönes neues Spielzeug bekommen haben und es wieder abgeben müssen, so werden die Jünger enttäuscht gewesen sein. Wäre doch so schön gewesen!

Unsere Vorstellung der Welt ist oft nüchterner. Mit Geistern rechnen wir eher nicht. Und doch ist das heutige Evangelium auch für uns mehr als nur eine fromme Geschichte. Sie stellt nämlich die Frage, ob man sich aller Geister bedienen darf, deren man sich bedienen könnte. Ist es legitim, schlechte oder böse Kräfte zur Umsetzung meiner Ziele zu nutzen? Die Jünger haben festgestellt, dass sie auch Einfluß auf die bösen Geister haben. Bei uns heute sieht das nicht anders aus. Auch ich kann Böses oder Falsches für ehrenwerte Ziele einsetzen. Wie ist das, wenn Anträge zur Restaurierung eines Abendmahlskelches sehr phantasievoll ausgefüllt werden? Ist es richtig, Gesetzeslücken zu suchen, um Interessen einer Kirchengemeinde voranzutreiben? Darf Folter angedroht oder vollzogen werden, um das Leben eine anderen zu retten? Wird das Gute, das ich beabsichtige korrumpiert, wenn ich dafür unlautere Mittel einsetze?

"Ja!", werden einige vielleicht antworten. Möglicherweise zitieren sie Adornos wohl berühmtesten Satz, "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen!"[1] Aber ist das so denn tatsächlich so?

Adorno kritisiert unter dem Eindruck des Dritten Reiches den Kapitalismus. Letztlich läuft seine Schrift darauf hinaus, dass "richtiges" Leben oder Handeln in einer durchweg falschen Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Doch später päzesiert er diesen Satz, dass man aber so leben solle, als wäre man im Richtigen. Er grenzt sich von dem zynischen Verständnis dieses Satzes ab: Wenn es kein Richtig gibt, dann ist es auch egal, wie ich mich verhalte. Es geht Adorno darum, sich nicht selber durch das System in falsches Handeln hinein manövrieren zu lassen. Wie schnell das passieren kann, hat das 20. Jahrhundert zur Genüge gezeigt! Zum Beispiel, wenn aus dem Anspruch, eine gerechtere Welt zu schaffen eine neue, ungerechte Gesellschaft hervorgegangen ist. Also bleiben wir bei der Antwort: die Bösen Geister und Kräfte dürfen nicht für das Gute eingesetzt werden. Gewalt oder Mißachtung der Gesetze für eine bessere Gesellschaft geht nicht.

 

Liebe Gemeinde, darf man das wirklich so radikal ablehnen? Was ist mit dem Tyrannenmord? Läßt sich nicht doch durch böse Kräfte größeres Übel verhindern und damit doch eigentlich Gutes erreichen? Was ist mit den tausenden und abertausenden kleiner oder größerer Notlügen? Was ist, wenn einem Kranken Hoffnung und damit Lebensmut gegeben werden kann, wo doch alle irdische Hoffnung längst vergeblich ist?

Zu all dem stellt sich auch noch die Frage, wer oder was sind denn eigentlich die bösen Geister heute? Sie werden sich ja nicht nur auf pure Gewalt beschränken lassen! Was ist mit Gentechnik, Atomkraft, moderner Kommunikation? Sind dieses Geister unserer Zeit gut oder böse? Läßt sich das überhaupt so klar festlegen und trennen? Bergen nicht alle Geister, die ich rufe, immer die Gefahr, sich meinem Einfluß zu entziehen? Kann nicht jede dieser Kräfte gleichermaßen Gutes und Böses bewirken?

 

Heute ist Michaelistag, wir denken an den Kampf des Engels Michael mit dem Widersacher. Dieser Engel Michael steht für den Kampf des Guten gegen das Böse - und für den Sieg des Guten, aber nicht für die Wahl der Waffen!

Wie auch schon zu Zeiten der 72 Jünger ist es auch heute nötig, die Geister, mit denen wir es zu tun haben zu unterscheiden: Was dient dem Guten und was eben nicht! Welche Mittel, welche "Waffen" dienen der guten Sache und welchen torpedieren sie, ganz gleich mit welcher Absicht sie eingesetzt werden? Der ewige Kampf des Guten mit dem Bösen ist und bleibt eine Herausforderung für menschliche Ethik und Moral. Für uns als Gesellschaft wie auch für jeden einzelnen!

Am Michaelistag können wir uns daran erinnern und darauf vertrauen, dass das Gute mächtiger ist als das Böse und das Leben stärker als der Tod!

Amen.

 

 

[1] Adorno, minima moralia, 1951



Pfarrer Thomas-Michael Robscheit
Apolda & Kapellendorf
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