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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres - Ewigkeitssonntag, 25.11.2007

Predigt zu Matthäus 25:31-46, verfasst von Johannes Værge

Es geht im Predigtext für den heutigen Sonntag, den letzten Sonntag des Kirchenjahres, um das Gericht - und das war mir natürlich klar, als ich beschloss, dass das Lied vor der Predigt heute ein Lobgesang sein sollte, ein Ausdruck der Freude und Dankbarkeit. Aber wäre bei dem Gedanken, dass wir vom Gericht hören sollten, nicht eine etwas andere Tonlage passender gewesen? Hätte die Ouvertüre zur Predigt nicht etwas weniger hell und heiter sein, hätte sie nicht eher einen ernsteren, vielleicht geradezu düsteren Ton haben sollen?

            Nein, möchte ich behaupten - wenn die Sache mit dem Gericht wirklich sinnvoll sein soll, dann hat das auf dem Hintergrund zu geschehn, dass wir uns zuerst einmal klargemacht haben, wie bedeutungsvoll das Leben ist, wie großartig, freigebig und reich an Möglichkeiten es geschaffen und uns geschenkt ist - also, dass es so vieles gibt, wofür wir zu danken haben, worüber wir uns freuen dürfen. Wenn dagegen das Leben mit seinen Möglichkeiten nicht als etwas Besonderes betrachtet würde, wenn es uns nicht kostbar vorkäme, dann gäbe es ja in Wirklichkeit keinen richtigen Grund, eine Gerichtshandlung etwas reinigend fortwischen zu lassen um eines anderen willen. Es gäbe dann ja nichts Besonderes, worüber Gericht zu halten wäre. Aber weil da so vieles in Verwunderung und Verantwortung und Dankbarkeit entgegenzunehmen ist, weil uns Menschen so viel Großes und Kostbares anvertraut ist und auf dem Spiele steht, deswegen...

            Habe ich gesehen, was ich sehen sollte? Habe ich getan, was ich konnte?

In der Bibel ist die Rede von der Entscheidung, auf die wir und unsere irdische Welt zusteuern, auf unterschiedliche Weisen, mit unterschiedlichen Bildern. Unterschiedliche Ausdrücke dafür, dass in der irdischen Welt eine Begrenzung niedergelegt ist - im Unterschied zu der verborgenen, ewigen Wirklichkeit dahinter, zu der Wirklichkeit, die in Jesus leuchtet. In mehreren Zusammenhängen ist die Rede vom Gericht verknüpft mit Schilderungen des Untergangs der wohlbekannten, alten Welt bei der Wiederkunft Jesu- mit Schilderungen eines äußeren, dramatischen Geschehens. Ausdruck einer Umwälzung, bei der das, was Tod und Finsternis in sich trägt, vom Gericht getroffen wird, untergeht, dem weichen muss, was Ewigkeit und Licht in sich birgt. Aber in anderen Zusammenhängen - am deutlichsten im Johannesevangelium - wird das, worum es beim Gericht geht, ganz ohne derartige äußerliche Umwälzungen dargestellt. Dort konzentriert sich der Blick auf dasjenige am Menschen, was erneuert werden soll. Das schließt den Gedanken an einen besonderen Tag des Gerichts am Ende aller Zeiten nicht aus, aber das Gewicht wird sozusagen auf das Jetzt vorgezogen: ein Gericht, das nicht an Zeit und äußerlichen Ort gebunden ist, sondern das stattfindet, wann immer der Mensch in der geklärten Begegnung mit Christus demjenigen gegenübersteht, von dem das Leben im tiefsten Sinne lebt - demjenigen, woran Hoffnung geknüpft ist.

            Es geht um die Erfahrung, dass wir in der Begegnung mit Christus dem wahren Menschenleben gegeübergestellt sind, das Bild des Menschen und Gottes in einem sehen, unsere tiefste Bestimmung sehen, die Hingebung an das Menschliche in seiner Ausgesetztheit und zugleich an das Göttliche in seiner lichterfüllten Wahrheitskraft. Und genau darin, in dieser Begegnung, wird das Falsche, das Böse enthüllt, die Abweichungen von dem, was wir eigentlich tun sollten und könnten, wenn wir einen Blick dafür hätten, was wir Menschen in Gemeinschaft nötig haben; Enthüllung des Aufgeblasenen, des Geschminkten. Dessen, was nicht hält, weil Finsternis und Leere darin wohnen.

            Das Gericht, das hierdurch von selbst eintrifft, ist mit anderen Worten das Gericht über das, woran sich keine Hoffnung knüpft.

            Auf diese Weise Möglichkeit von Gericht heute für den einen, für einen andern morgen, vielleicht im Ernst erst nach dem Tode für einen dritten.

 

Steht das Gericht also im Gegensatz zur Dankbarkeit für das Leben, zur Freude über die Möglichkeiten des Lebens? Nein, die Tatsache, dass Gericht ist, ist eine gute Botschaft, ist lebensbejahend, denn sie bedeutet, dass dem Bösen nicht Tür und Tor geöffnet sind. Es wird eine Barriere errichtet, eine Grenze gezogen. Dass Gericht ist, das ist Ausdruck dafür, dass Gott demjenigen gegenüber, was die Größe und Freude des Lebens beeinträchtigt und zerstört, etwas Größeres bereit hat, so dass, was nicht von Gott ist, entfernt wird. Was das Leben verdreht und zerstört, ist nicht von Dauer. Gott sei Dank!

            In der Lesung von heute aus dem Propheten Jesaja (Kap. 65,17-19) wurde uns die jubelnde Vision geschildert, wie eine Wirklichkeit, die im Verborgenen hinter dem Altbekannten sich nähert, durch die Schöpferkraft Gottes hervorgerufen wird. Ein neuer Himmel und eine neue Erde, ein neuer Segen über das Leben der Menschen, eine gereinigte, lichtvolle Lebensgrundlage.

            Das war es, womit Jesus mehrere Jahrhunderte später hervortrat und was er bestätigte: Eine größere Güte, aufgehoben für uns, imstande allem Bösen die Macht über uns zu nehmen. Im Vertrauen auf Gott, in der Hoffnung, in der Liebe sind wir bereits mit dieser neuen Welt, mit ihren lichtvollen Kräften verbunden. Christus begegnet uns als die Öffnung und Einladung dazu, und das Gericht besteht darin, dass dasjenige, was sperrt, entfernt wird.

 

Hiermit ist allerdings keineswegs gesagt, dass wir uns die Begegnung mit dem Gericht als eine schmerzlose Übung, geschweige denn als ein Spiel vorzustellen hätten. Je nachdem, inwieweit ich mich mit Bosheit und Finsternis vereint habe, muss der Reinigungsprozess des Gerichts entsprechend hart sein - kann es überhaupt anders sein?

            Je entschiedener ich mich selbst auf falsche Grundlagen gestellt habe, desto erschütternder wird es sein, die Grundlage verschwinden zu sehen.

            Das Gericht muss auch bedeuten, dass ich mit den Situationen des Versagens und mit den Neigungen in mir selbst, die ich zu verbergen versucht habe, konfrontiert werde, weil es zu unangenehm wäre, dass ich mich zu dieser Seite von mir bekenne. Das Gericht ist also die Auseinandersetzung und der Prozess, der Erfahrung mit sich selbst bringt wie nie zuvor, der die Wahrheit enthüllt. Oftmals sicherlich nur möglich sich in Etappen anzueignen, ein Tag des Gerichts in Etappen, bis zu dem Punkt, bis zu der Klärung, dass wir mit allem, was in uns ist, imstande sind, ja zu sagen zu einer gereinigten, erneuerten Wirklichkeit, einer neuen Welt.

            Aber wie gesagt, das Gericht ist - sei es, dass es im großen, äußerlichen Maßstab geschildet wird, sei es, dass sich der Blick auf das konzentriert, was im Menschen umzustürzen ist - das Gericht ist unter allen Umständen an die Begegnung mit Christus geknüpft. Die enthüllende Begegnung mit dem, was in ihm leuchtet. Ich bin also nicht allein, wenn das Gericht über mich geschieht. Ich bin nicht mir selbst überlassen. Er ist da - nicht als der, der mir Strafe auferlegt, das kann ich sehr gut selbst in dem Sinne, dass mein eigenes Versagen und Betrug auf mich selbst zurückfällt. Er ist da als das Licht, das das Ganze, auch das Verborgene, so zeigt, wie es ist. Aber in dem Licht ist zugleich etwas anderes, mehr als Enthüllung, auch eine andere Eigenschaft: Es ist auch das Licht der Schöpfung, das er in sich hat, das, was neues Leben hervorruft, das, was stärker ist als die Finsternis und Verdammnis, imstande, das Gottesbild selbst aus dem tiefsten Versteck in einem verlorenen Menschen hervorzurufen.

            Ich bin nicht allein, wenn das Gericht über mich geschieht. Da ist auch eine Liebe, die einen umgreift. Sie ist auch in dem Licht in der Begegnung mit ihm.

            Und dann zeigt sich, dass er die ganze Zeit da war, auch vorher, auf dem ganzen Weg. Wenn die Klarheit des Gerichts uns geschenkt wird, stellt sich Verwunderung ein, wie nahe er war: Warst du es, den ich übersah, als ich an dem Meinigen genug hatte, in meinem Eigenen verloren war? Warst du in dem Menschen, der nach einem Besuch verlangte, nach einer Hand, einem freundlichen Blick - der meine Gegenwart verlangte? Und auf der anderen Seite: warst du es, dessen ich mich einfach so annahm, ohne näher darüber nachzudenken?

            Auf diese Weise geht die Trennungslinie sicherlich nicht so sehr zwischen zwei Sorten von Menschen als vielmehr durch jeden einzelnen - aber da gehört dann auch die Seite der klärenden Begegnung mit Christus dazu, in der der Winkel geändert ist:

            Dann warst auch du es, Christus, der vorborgen in einem Mitmenschen zu mir kam, als ich in Not und verloren war. Du warst es also, der Menschen schickte, durch sie tröstete, oder zornig war und die Dinge in Ordnung brachte, als es eben darum ging. Du hast ermuntert, Einsicht geschenkt, mir zu sehen geholfen, wo es einen Weg gab. Du hast mir geholfen, unterdrückten Tränen freien Lauf zu lassen, so dass ich wieder festen Boden unter den Füßen und offenes Land vor mir hatte, in das ich mich begeben konnte. Du hast mich das Lachen gelehrt.

            Er war es also, der uns auf dem ganzen Weg gesehen hat. Da war, da blieb - da bleibt. Die Liebe, von der wir abhängig sind und von der wir leben. Auf dem Wege in das Gericht und nach dem Gericht: Grund zu danken. Amen.



Pfarrer Johannes Værge
Hellerup, Dänemark
E-Mail: johs.v(a)mail.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier



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