Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 04.10.2015

Erfüllte Zeit
Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Michael Büncker

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Wie in konzentrischen Kreisen gestaltet Matthäus die erste große Rede Jesu in seinem Evangelium, die Bergpredigt. Sie setzt ein mit den Seligpreisungen und endet mit der Verheißung: Wer diese Worte hört und tut hat das Haus seines Lebens nicht auf Sand, sondern auf festen Grund gebaut. Mitten drinnen, im Zentrum des Ganzen, steht das Vaterunser; und in dessen Mitte wieder ist es die vierte von den sieben Bitten, die lautet: Unser tägliches Brot gib uns heute. Um diese Mitte kreist das Ganze, wie die Planeten um die Sonne. Das tägliche Brot, um das Gott gebeten wird, weil er darum gebeten werden muss, denn es ist nicht selbstverständlich, morgen satt zu werden. Und trotzdem heißt es: Sorgt euch nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Wie soll denn das zusammenpassen?

Die Versuche, den Abschnitt durch Auslegung zu domestizieren und irgendwie erträglich zu machen, sind zahlreich. Jesus meine nur die Sorge aus Angst, die Sorge aus Liebe um andere hingegen sei nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Oder: Vorsorge für die eigene Person ist fragwürdig, Fürsorge für andere aber nicht. Er wendet sich nur an ganz wenige unter den Christen, die als Einsiedler leben oder als Aussteiger auf der Suche nach dem alternativen Lebensstil. Oder ganz direkt: Er ist blauäugig, ökonomisch naiv wie übrigens in den Augen mancher Kritiker ja das ganze Christentum bis heute, einschließlich Papst Franziskus. Oder: Er missachte die menschliche Arbeit und leite an zur Faulheit und so weiter und so fort. Unterm Strich kommt immer heraus: Geht uns nichts an. Betrifft uns nicht, hat nichts mit uns zu tun.

Aber worum geht es? Es geht um die Grundsicherung der Existenz. Um Essen und Trinken, um Kleidung und Wohnen. Und es geht um Menschen, die sich damals all dessen nicht sicher sein konnten. Im Gegenteil. Das sind die Zuhörer und Zuhörerinnen der Bergpredigt. Also Menschen, die allen Grund hatten zu beten: Unser tägliches Brot gib uns heute. Unsicherheit macht abhängig und unfrei. Das ist das Schicksal der Armen, dass sie nicht nur materielle Not leiden, sondern auch sozial ausgeschlossen sind und das eigene Leben nicht in die eigenen Hände nehmen können. Ihnen sagt Jesus: Trachtet nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles, was ihr zum Leben braucht, zufallen. Weil es sonst niemand macht, sollen sie nicht kleingläubig sein und die Sache der Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen.

Was heißt das? Meiner Meinung nach zuerst einmal die wahren Ursachen ökonomischer Krisen erkennen, die Ursachen von Arbeitslosigkeit, Sprachlosigkeit, Angst vor dem Fremden und vielem mehr, was heute die Sorgen der Menschen ausmacht. Stattdessen breitet sich nach dem Motto: Wir und die Anderen! weiter aus, dass es Andere gibt, die – obwohl sie selbst noch schlechter dran sind – die Ursache der eigenen Sorgen sind. Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten. Mitten hinein die Botschaft Jesu: Statt auf harte Herzen seht doch die Vögel unter dem Himmel! Statt auf Stacheldrahtzäune auf die Lilien auf dem Feld!  

 



Bischof Michael Büncker
Wien
E-Mail: Michael Bünker

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