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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 04.10.2015

Was soll ich tun?
Predigt zu Lukas 12:16-21, verfasst von Matthias Wolfes

„Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, des Feld hatte wohl getragen. Und er gedachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nicht, da ich meine Früchte hin sammle. Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter; und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wes wird’s sein, das du bereitet hast? Also geht es, wer sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.“ (Jubiläumsbibel 1912)

 

Liebe Gemeinde,

das Christentum ist oft als eine radikal weltabgewandte Religion aufgefaßt worden. Es sei schlechterdings fremd gegenüber allen Dingen des Hier und Jetzt. Der wahre Christ lebe in einer ganz anderen Sphäre. Seine Gedanken hätten nichts zu tun mit dem Suchen und Sammeln; um Nahrung und Kleidung mache er sich nichts zu schaffen. Er sei wie die Vögel des Himmels oder die Lilien auf dem Felde, die sich auch um nichts sorgen, denn er wisse ja: „Der himmlische Vater sorgt für mich“ (Mt 6, 26).

In unserer Parabel vom reichen Kornbauern geht es insofern ähnlich zu als hier die entgegengesetzte Haltung, nämlich das Sichern und Sorgen, ad absurdum geführt wird. Ein reicher Mensch betrachtet seine Güter. Sie bringen ihm großen Ertrag, stellen ihn damit aber vor das Problem der dauerhaften Sicherung. Er macht sich also Sorgen um das Seine und wie er es vor dem zeitbedingten Verfall bewahren könne. Die Lösung lautet: Eine sichere Sammelstätte muß her. Und wenn das geschafft ist, dann möchte er zu seiner Seele sagen können: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut!“ Doch da fährt ihm Gott mitten hinein in seine Planungen. „Du Narr!“, heißt es. Noch in dieser Nacht wirst Du sterben, und was wird dann sein mit all dem Deinen, das Du so sicher bewahrt glaubst? Die Hörer sollen lernen: Wer sich Reichtum schafft und setzt dabei auf sich selbst, seine Einsicht und Entschlossenheit, sein weltliches Geschick, der ist verloren. Wahrhaften Reichtum gibt es nur als „Reichtum in Gott“.

 

I.

Über allem steht der Gedanke: Wer Gott wirklich vertraut, der sorgt sich nicht um sich selbst. Der fragt nicht danach, was er essen soll, was er trinken soll, was er anziehen soll. So fragen doch nur Menschen, die nicht an Gott glauben. Gott aber weiß, was einer braucht. Deshalb gilt alles Fragen des Christen dem, was Gott von ihm fordert. Wer das im rechten Sinne tut, dem wird Gott Kleidung, Nahrung und alles andere schenken (Mt 6, 30-33).

Nun ist wohl jedem von uns bewußt, daß sich auf dieser Basis nicht leben läßt. Für uns selbst mag es ja noch angehen, einem solchen Radikalkonzept zu folgen. Fraglich ist allerdings auch dann, wie weit man damit kommt und welche Abhängigkeiten eben doch bestehen bleiben, ob wir sie nun wahrhaben wollen oder nicht. Weltfeindschaft muß man sich leisten können; umsonst gibt es auch sie nicht.

Wenn es aber um mehr und anderes geht als nur um uns selbst, dann ist die Sache doch ziemlich klar. Wer Verantwortung trägt für andere Menschen, für ein Kind, für einen Lebenspartner, für einen Hilfebedürftigen, der kann sich schlecht auf das Bild von der Lilie berufen, wenn er sein Lebensideal beschreibt. Wenn das Leben anderer Menschen mit dem eigenen verwoben ist, dann verbietet sich eine Haltung der geistlichen Absonderung einfach von selbst.

Ich weiß, daß es Ausleger gibt, die um diesen Punkt viele Worte machen. Sie wollen die Untauglichkeit eines Programmes nicht einsehen, das den radikalen Verzicht auf alle Vorsorge und Lebensplanung verlangt. Mir scheint aber, es lohnt nicht, hier zu streiten. Wer sein Leben bewußt lebt, der wird es auch gestalten, und zwar wird er es, so gut er kann, verantwortlich gestalten. Er wird für sich und diejenigen, deren Wohl ihm obliegt, in planender Fürsorge handeln.

Nun gibt es aber auch jene, die die Wahrheit unserer Erzählung in die Innerlichkeit des Glaubens verlegen. Sie meinen, es ginge hier nicht um das tatsächliche, das konkret-alltägliche Verhalten in den Dingen der Welt, sondern um die „innere“ Einstellung ihnen gegenüber. Und dann kommt man gerne mit jenem Wort des Apostels Paulus vom „Haben als hätte man nicht“ (1. Kor 7, 29-31). Man lebt zwar in der Welt, heißt es gerne, aber nicht aus ihr. Im wesentlichen also sei man eben unbeeinträchtigt. Man sei im Kern ungefährdet, weil unabhängig, selbst dann, wenn man sich auf das Spiel der Welt einläßt. Man nimmt zwar teil, aber doch auf eine irgendwie uneigentliche Weise, eine Weise, die einen in der Seele nicht verletzt.

Das klingt sympathisch, und gewiß ist auch etwas daran. Aber eine rechte Interpretation der Geschichte vom reichen Kornbauern bzw. der Worte Gottes, die dieser Bauer hören muß, scheint mir damit doch nicht gelungen zu sein. Mit der Figur der Innerlichkeit kann man vieles bewerkstelligen. Ich sehe hier eine Strategie, die ausgleichen will, was sich nicht ausgleichen läßt. Man kann den Menschen mit seinem Wollen und Nicht-wollen, seinem Tun und Lassen nicht auf verschiedene Sphären verteilen. Er ist einer, und das gilt auch für den Glaubenden. Wer Gott vertraut, lebt dennoch in dieser Welt. Und ob dieses In-der-Welt-leben nun näherhin ein „In“, „Aus“ oder „Von“ sein soll, scheint mir mehr eine sprachliche als eine wirkliche Unterscheidung zu sein.

In anderem Zusammenhang mag man auf diese Unterschiede mehr Gewicht legen, das will ich nicht bestreiten und habe es selbst auch schon getan. Aber für unseren Text heute möchte ich davon keinen Gebrauch machen; hier geht es, wie ich glaube, um etwas anderes.

 

II.

Worum es geht, das scheint mir in der Weise angedeutet zu sein, wie der Evangelist das Selbstgespräch des Reichen beschreibt. Man wird ja beim Hören der Geschichte an dieser Stelle unwillkürlich aufmerksam, so rührend, aber auch merkwürdig ist das, was dort gesagt wird. Die ganze Sache wird als eine Art Gespräch dargestellt. Zunächst aber spricht nur der Reiche, und zwar spricht er zu sich selbst. Er denkt nach und fragt sich: Was soll ich tun?“ Das ist natürlich keine unnütze Frage. Dann analysiert er seine Lage, was auch nicht schlecht ist. Das Ergebnis ist die Erkenntnis seines Mangels: Ihm fehlt ein sicherer Lagerplatz. Der Mangel ist erkannt, und es folgt der Entschluß, ihm abzuhelfen. „Das will ich tun.“ Und nun kommt der entscheidende Punkt: Denn wenn erst einmal alles geregelt ist, dann kann Ruhe eintreten. Dann „will ich zu meiner Seele sagen: Liebe Seele, nun habe Ruhe“.

Wir wissen, daß er diese Ruhe nicht haben wird. Der Erzählung zufolge, macht Gott sie ihm unmöglich. Sie ist aber auch deshalb unerreichbar, weil sie eine selbstgeschaffene Ruhe sein soll. Sie soll das Ergebnis eines planvoll inszenierten Prozesses sein, in dem die Herstellung eines befriedigenden und stabilen Zustandes am Ende einer langen Geschichte von Handlungen steht. Doch dieses Konzept beruht auf der Illusion, Herr der Entscheidungen zu sein. Der Reiche sieht nicht, welche Macht seinerseits auf ihn ausgeübt wird, welchen Kräften er ausgesetzt ist, und er sieht nicht, daß er längst die Freiheit eingebüßt hat, überhaupt noch die Entscheidung über das Ende des Prozesses treffen zu können. In Wahrheit ist dessen Ende sein eigenes Ende. Denn die Hingabe an das Seine war ihm nicht nur ein Tun, sondern es war er selbst, sein Wesen sozusagen, das substantielle Moment seines Daseins. Die Ruhe, um die es ihm geht, ist unerreichbar; sie steht außerhalb seiner Verfügungsgewalt. Der Weg, den er gegangen ist, kann zu diesem Ziel nicht führen.

Viele wissen darum. Und deshalb begegnet man immer wieder auch Menschen, sehr gewissenhaften Personen, die sich auf die Prozeduren des Erwerbens über das Erforderliche hinaus nicht einlassen wollen. Sie möchten gar nicht erst in die Gefahr geraten, Opfer einer Dynamik zu werden, die sie selbst zu Gegenständen, nicht zu Urhebern des Prozesses macht. Sie wollen die Freiheit behalten, Entscheidungen treffen zu können. Dies scheint mir die Haltung zu sein, die es einzunehmen gilt.

Wir brauchen deshalb auch nicht die Tradition der biblischen Reichtumsverdammung aufzunehmen. Sie ist in unserer Parabel gewiß auch zu einem guten Teil enthalten, und der Anklang an Psalm 49 ist offensichtlich. Dort heißt es: „Laß dich’s nicht irren, ob einer reich wird, ob die Herrlichkeit seines Hauses groß wird. Denn er wird nichts in seinem Sterben mitnehmen, und seine Herrlichkeit wird ihm nicht nachfahren. [...] Wenn ein Mensch in Ansehen ist und hat keinen Verstand, so fährt er davon wie ein Vieh“ (Ps 49, 17-21). Nicht um die Verurteilung des Reichtums oder die Warnung vor ihm (die sich ohnehin wenige Menschen sagen lassen müßten) geht es in unserer Geschichte. Sondern es geht um eine falsche, auf sich selbst bezogene Haltung, die denjenigen in Fänge verstrickt, der glaubt, selbst alles zu übersehen.

 

III.

Darin besteht auch der Grund für jene tiefe Skepsis gegenüber allem Materiellen. Der Reichtum hat kein gutes Image in der evangelischen Christenwelt. Er hat es aber nicht deshalb, weil er seiner Natur nach auf Diebstahl beruhte, auf Ausbeutung und Gewalt, sondern weil er das Leben korrumpiert. Er verstrickt mit der ihm eigenen Logik in ein unentrinnbares Verhängnis. Er macht dunkel, was hell sein soll.

Man wird einwenden können, daß diese Unentrinnbarkeit nicht dadurch bewiesen wird, daß sich jemand, wie in unserem Text der Gutsbesitzer, genauso verhält, wie eine schlichte Reichtumspolemik es von ihm erwartet. Aber jenes In-sich-kreisen, jene Fixierung auf die Gesetzmäßigkeiten des Erwerbs und der Gütersicherung bedarf keiner erzählerischen Bekräftigung. Wir wissen darum. Die eigene Erfahrung im Umgang mit den Sachen genügt. Wir wissen auch um die Untiefen und das Irrationale (das Böse), das mit ihm zusammenhängt. Vor allem aber ist uns bewußt, daß wir auf dieser Grundlage niemals einer unbeschwerten Zukunft ins Auge blicken könnten.

Es wäre dies auch gar nicht jene Unbeschwertheit, die wir uns allenfalls erhoffen. Was ist es, das sich der Reiche wünscht? „Habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut“, heißt es. „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (1. Kor 15, 32). Soll darin die Zukunft bestehen, die wir uns für uns selbst ausdenken? Ein erfülltes, gelingendes Leben stellen wir uns doch wohl recht anders vor.

Wir wissen um die Unverfügbarkeit des Lebens. Die Gestaltung der Zukunft ist nur sehr begrenzt in die eigenen Hände gegeben. Was dem Dasein Sinn und Halt gibt, liegt auf einer anderen Ebene. Es liegt viel eher im Umgang, den wir mit anderen pflegen, in der Art, wie wir Anteil nehmen an ihnen, wie wir an etwas Gemeinsamem bauen, an dem „Beitrag“, den wir zu geben versuchen. Vertrauen auf Gott und Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen gehen ineinander. Dabei leben auch wir in der Welt. Wir sehen sie nicht als dämonische Gegenwirklichkeit an, sondern als den Ort, an dem es sich zu bewähren und auch zu behaupten gilt. Aber eben als eine Bewährung und Behauptung, die vor dem Anspruch bestehen kann, den wir an uns richten. Hieraus beziehen wir unsere Antworten auf die Frage „Was soll ich tun?“

Man muß sich, um an dieser Stelle orientiert zu sein, nicht auf das weite Feld „Glaube und Geld“ begeben. Wir wollen und sollen einer Erwerbsarbeit nachgehen. Etwas zu verdienen, ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Man muß mit Geld umgehen und es auch vermögen, um überhaupt existieren zu können. Selbst der Stolz auf Erreichtes, Erworbenes, Erbautes kann zu einem erfüllten Leben gehören. Aber wir machen davon nicht abhängig, wer und was wir sind. Es ist nicht der Quellpunkt von Selbstbild und Daseinssicherheit. Das ist der entscheidende Unterschied zu dem Lebensentwurf, für den „der Reiche“ steht.

Ob es uns wirklich gelingen kann, jenen verhängnisvollen Kräften, jener Gebanntheit in das Hab und Gut zu widerstehen, ist eine Frage für sich. Auch wir sind nicht nur Existenzen des Seins, sondern eben auch des Habens. Aber wir wissen, worum es hier geht. Wer klug und besonnen sein Leben lebt, wer einer vernünftigen Vorstellung vom rechten Umgang mit den Dingen der Welt folgt –, wer also wirklich daran arbeitet, sich zu bewähren, der wird auch vor der Möglichkeit des Unvorhersehbaren nicht verzweifeln. Er kann dann gar nicht um alles gebracht werden. Das ist die wirklich bedeutsame Botschaft der Erzählung vom reichen Kornbauern. Und sie lassen wir uns gesagt sein, gerade an diesem Tag der Dankbarkeit für die Erträge unserer Arbeit.

Amen.



Pfarrer Dr.Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

Bemerkung:
Herangezogene Literatur:
François Bovon: Das Evangelium nach Lukas. Zweiter Teilband: Lk 9,51 – 14, 35 (Evangelisch-Katholischer Kommentar. Band III/2), Zürich und Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 1996.
Bernd Kollmann: Das letzte Hemd hat keine Taschen (Vom reichen Kornbauern) Lk 12, 16-21 (EvThom 63), in: Kompendium der Gleichnisse Jesu. Herausgegeben von Ruben Zimmermann, Gütersloh 2007, 564-572.



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