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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 04.10.2015

Das Seelenheil findest du im Teilen!
Predigt zu Lukas 12:13-21, verfasst von Christoph Rehbein

Liebe Gemeinde,

was für eine Freude macht doch ein guter Lehrer!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich lerne am meisten von denen, die sich nicht selbst für klug halten. Die vielmehr einfach klug sind. Dabei bescheiden und in gutem Sinn demütig. Von sich selbst weg auf Gott hinweisend.

Da kommt einer zum Rabbi Jesus von Nazareth. Der will ihn auf seine Seite ziehen in einem Erbstreit. Jesus spürt seine Absicht und lehnt das ab. Er bemerkt dieses Gefühl des Fragenden, zu kurz zu kommen. Und er wendet dessen Frage in eine Beispielerzählung, von der alle Umstehenden etwas lernen können. Das Ergebnis erinnert an die Losung des letzten Jahres: Gott nahe zu sein ist mein Glück.

Von Gott spricht der gute Lehrer erst in den beiden letzten Versen. Reich wirst Du nicht mit Gütern und Geldern. Reich vor Gott wirst Du auf andere Weise. Wie – darauf werden wir zu sprechen kommen.

Heute ist Erntedankfest. Unser Gotteshaus ist geschmückt. Nicht so üppig wie viele Dorfkirchen. Eine Erntekrone fehlt. Landwirte sind kaum unter uns. Die zu niedrigen Milchpreise mögen wir bedauern. Aber sie betreffen uns nicht ganz direkt. Gleichwohl sind viele von uns dem reichen Mann mit der guten Ernte ähnlich. Unsere Ernte heißt Geld. Unsere Scheunen sind die Banken. Das gemittelte Sparguthaben liegt pro Einwohner im knapp sechsstelligen Bereich. Ich schätze unsere Gemeinde vorsichtig so ein, dass wir mindestens im Durchschnitt liegen.

Was will uns nun der Rabbi aus Nazareth lehren?

Im Prinzip wissen wir das: Geld allein macht nicht glücklich. Udo Jürgens, der kürzlich Verstorbene, sang dazu schon in den Siebzigerjahren einen eingängigen Schlager. Mit dem Refrain: Was wirklich zählt auf dieser Welt, bekommst du nicht für Geld.

Trotzdem sparen wir. Tief in uns sitzt die Weisheit der Altvorderen: Spare in der Zeit, so hast Du in der Not. Heutige Anlagehelfer beraten allerdings eher in Richtung intelligente Aktieninvestitionen. Die Geldscheunen werfen bekanntlich seit Jahren kaum noch Zinsen ab. Ich frage mich und uns, ob der Rat Jesu nicht weiter trägt. Der bleibt in seinem Erzählen ja ganz auf der Linie seiner Bergpredigt, wo man sich nur um den morgigen Tag sorgen soll. Sorge Dich also nicht wie der eine Bruder um das zu erbende Haus. Denn darum geht es in der Regel, wenn das griechische Fachwort kläronomia für Erbe - wie in unserem Text - auftaucht. Und auch in Fragen der Ernährung sollst Du nicht zum Sammler werden. Wie wir in der Beispielerzählung hören. Das sollst Du nicht!

Nun sitzen wir hier und hören Gottes Wort, weil wir uns positiv etwas sagen lassen wollen. Und so gebe ich jetzt dem Rabbi Simla aus dem Talmud eine kräftige Stimme. Der sagt, was unser Herz Ruhe finden lässt, wenn es denn nicht das Sammeln von Vorräten ist:

„Rabbi Simla legte aus: Die Weisung Gottes, die Tora – ihr Anfang ist ein Erweis von Liebestaten, und ihr Ende ist ein Erweis von Liebestaten, denn es steht geschrieben in 1. Mose 3, Vers 21: Da machte der HERR, Gott, für den Menschen und für sein Weib Fellröcke, und zog sie ihnen an. Und ihr Ende ist ein Erweis von Liebestaten, denn es steht geschrieben in 5. Mose 34, Vers 6: Da begrub er ihn im Tale.“

Ich fand dieses Zitat in einer aktuellen Auslegung zu unserem Abschnitt.

Lassen Sie mich erklären: Der Rabbi spricht von der Tora im Sinn der hebräischen Bibel als von den fünf Büchern Mose. An deren Anfang, in der Geschichte vom Paradies, sorgt Gott für Adam und Eva. Mit vernünftiger Bekleidung, die mehr bringt als ein Feigenblatt. Und im letzten Kapitel des fünften Mosebuches kümmert sich Gott um Mose. Seinen Gottesmann, der das Gelobte Land, das Ziel, noch vor Augen sehen darf. Dann stirbt Mose und Gott selbst ist es, der ihn begräbt. Will sagen: Die ganze Tora ist von vorne bis hinten voll mit Erweisen der Liebestaten Gottes. Schon die ersten Menschen mussten sich nicht selbst dauernd um alles kümmern. Schon Eva, Adam und Mose sind Empfänger. Sie nehmen Gottes Liebestaten entgegen. Sie leben und weben, ja, sie sterben ohne Vorräte und Lagerhaltung. Das Leben ist einfach: Gott sorgt für seine Menschen.

Wenn wir Christen das Wort Tora hören, denken wir zunächst an die Gebote. Zehn davon haben zumindest auch wir gelernt, spätestens im Konfirmandenunterricht. Das zehnte Gebot ist eins, das nicht so gut auswendig geht: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. In der lutherischen Zählung sind das sogar zwei Gebote: Nummer neun und zehn. Wir fassen das im KU beim Lernen immer zusammen: Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört.

Mir kommt dazu ein Gedanke: Können wir die beiden Auffassungen von Tora zusammendenken: Dass gerade im Wortlaut der Gebote wie in einem Kristall die Liebestaten Gottes aufleuchten? Dass diese so auch unter den Menschen Gestalt gewinnen in deren Tun und Lassen? Als Kind lerne ich den Wortlaut der 10 Gebote und als Erwachsener bewähre ich das Gelernte. Oder versuche es zumindest? Denn gerade mit dem Begehren der Güter meines Nächsten verhält es sich doch so: Je älter du wirst, desto schwerer fällt der Verzicht auf Missgunst. Je schwächer die Körperkraft wird, desto zäher hältst du Besitz fest. Beim Hören auf das, was Jesus erzählt, fällt mir auf, welche Worte den Text prägen. Am häufigsten ist das Wort ICH. Es kommt neunmal vor. Das Problem des Kornbauern ist, dass er mit seiner Riesenernte bei SICH bleibt:

Da dachte er bei sich: Was soll ICH tun? ICH habe keinen Raum, wo ICH meine Ernte lagern kann.

Und so weiter...

Neben das große ICH tritt die SEELE, um die der Reiche sich sorgt. Er wird spüren, dass sein großes ICH der Seel-Sorge im Weg steht. Seine SEELE droht Schaden zu nehmen, sie ist gefährdet in ihrem Heil. So lässt Jesus die Stimme Gottes hören. Die ruft diesen schroffen und rätselhaften Satz in die Geschichte hinein:
Du Tor! Noch in dieser Nacht fordert man deine SEELE von dir zurück.

Ich weiß nicht, wie Sie das hören. Ich habe den Text mehrere Male laut gelesen. Dann ging mir ein bekannter Vers aus dem 90. Psalm durch meine Seele:

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Ist das hier gemeint? Das Heil meiner Seele, das Heil meines Lebens, es ist jeden Tag in Gefahr! Wenn es mir ans Leben geht durch Krankheit oder Unfall: Was nützen mir meine großen Scheunen in Gestalt von Haus, Besitz oder Aktienpaketen?

Wie werden wir nun reich bei Gott? Unser heutiger Predigttext sagt, wie es nicht geht.

Wie es dann doch geht, das finden wir selbst heraus. Im Hören auf andere Bibelstellen. Und auch so, wie wir es heute tun, in der Feier des Liebesmahles Jesu. Wir üben sie neu ein, die große Geste des Teilens: Wir essen alle von dem einen Brot. Wir trinken alle aus dem einen Kelch. So soll es unter euch sein, sagt Jesus. So könnt Ihr an mich denken, mich lebendig machen unter euch. Mir einen Raum bei Euch gewähren, der Euch verbindet miteinander. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Das sagt Paulus im 2. Brief an die Korinther (9,17). Und wer gibt, bekommt auch etwas zurück. Auch das Empfangen will eingeübt sein. Wir mussten das lernen, als wir in unserer früheren Gemeinde zwei junge Roma-Männer im Kirchenasyl vor sofortiger Abschiebung bewahrten. Auch aus dem Pfarrhaus gaben wir einiges ab, was wir als Familie übrig hatten. Eines Tages standen plötzlich die Eltern der jungen Männer vor unserer Tür. Sie hatten einiges zu essen mitgebracht. Zunächst reagierten wir spröde. Dann setzte die Mutter unsere Küche unter Dampf. Am Ende schmeckte alles köstlich!

Geben und Empfangen im Wechsel, das will uns Jesus lehren, gibt deiner Seele Heil.

Auch der alte Herr Ribbeck zu Ribbeck im Havelland weiß davon. Das Gedicht von Theodor Fontane, unserem Glaubensbruder mit hugenottischen Vorfahren, ist Ihnen wahrscheinlich vertraut.

Der junge Ribbeck ist ja eher so ein Typ wie unser reicher Bauer. Das ahnte der gute Alte. Darum ließ er sich eine seiner schönen Birnen mit ins Grab geben.

Das zum Erntedank passende never ending happy end kennen wir:

 

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab.

Und in der goldenen Herbsteszeit

leuchtet’s wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung über’n Kirchhof her,

so flüstert’s im Baume: „Wiste ne Beer?“

Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: „Lütt Deern,

kumm man röwer, ick gew di ne Beern.“

 

So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

Amen.



Pastor Christoph Rehbein
Hannover
E-Mail: christoph.rehbein@reformiert.de

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