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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 04.10.2015

Predigt zu Lukas 12:13-21, verfasst von Uland Spahlinger

13Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.

14Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?

15Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

16Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.

17Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.

18Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte

19und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!

20Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

21So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

 

Warum, liebe Gemeinde,warum ist mir zu DIESEM Predigttext und zum heutigen Anlass – Erntedankfest – ausgerechnet der VW-Skandal eingefallen? Sofort war er da, dieser Gedanke: das ist wie mit den verfälschten Abgastests. Und dann habe ich angefangen nachzudenken – wie kommt es, dass ich diese alte Geschichte so direkt mit dem Großskandal in einen Zusammenhang bringe?

Was ist bei VW, einem Weltkonzern, wirtschaftlichem Vorzeigestück deutscher Effizienz und Sorgfalt, geschehen – auch wenn wir noch nicht genau wissen, WER denn tatsächlich letztverantwortlich ist? Irgendwelche Mitarbeiter - denn das kann ja nicht nur einer gewesen sein - haben Daten von Abgasprüfungen gefälscht. Ein hochsensibles Thema: Abgase, Luftverschmutzung, CO2-Ausstoß, Treibhauseffekt, Schutz der Umwelt – weltweit. Autos sind bei den Abgasen ganz vorn dabei, weil es so viele gibt. Und hier gehen welche hin und sagen: bei uns ist alles sauber und gut. Warum? Damit die Autos für den Markt zugelassen und gekauft werden. Es geht um den Gewinn. Es geht um die Aktionäre. Es geht um die eigenen Dividenden für erfolgreiche Konzernführung. Es geht darum, „noch mehr Früchte zu sammeln“, wie das die Jesusgeschichte nennt. Bei VW müssen sie nun die Scherben zusammenkehren. Der wirtschaftliche Schaden ist noch gar nicht abzusehen. Aber auch der Vertrauensverlust ist kaum zu umfassen. Vor allem, wenn wir erwarten, dass andere Autohersteller vielleicht um nichts sauberer gehandelt haben. Denn ich bin davon überzeugt, dass das, was jetzt bei VW herausgekommen ist, an vielen anderen Stellen weltweit – weltweit – auch passiert oder passieren könnte: Abgas-Emissionen, Tierhaltung, Lebensmittelproduktion, Abfallbeseitigung ….

Der Bauer in der Jesusgeschichte hat nicht betrogen. Jedenfalls ist davon nicht die Rede. Er hat nur eine gute Ernte zu lagern. Also baut er eine größere Scheune. Alles nicht verwerflich. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, würden wir sagen: der Mann handelt vernünftig. Er hat erfolgreich gearbeitet. Er sorgt vor. Er tut das, was wir auch tun, wenn wir Lebensversicherungen oder Bausparverträge abschließen, wenn wir unser Geld auf die Bank tragen oder Gold oder Aktien kaufen. Wer so etwas halt kann.

Und trotzdem stellt sich Jesus diesem vernünftigen Bauern gegenüber kritisch. Der Mann ist für Jesus kein Vorbild. Warum?

Ich meine, der Schlüsselsatz ist: „Er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ (Vv. 18.19).

Dieser Bauer führt ein Selbstgespräch. Er bleibt mit seinem Planen und Denken und Handeln ganz bei sich selbst. „Liebe Seele, habe nun Ruhe.“ Wir könnten auch sagen: „Liebes Ich, habe nun Ruhe.“

Bleiben wir einen Moment bei diesem „Ich“, bei der „Seele“, wie der Luthertext übersetzt. Im Griechischen steht dort das Wort „Psyché“ - da klingt etwas Bekanntes an, nämlich: hier geht es um etwas, das den Menschen zum Menschen macht. Im Hebräischen steht das Wort „Näfesch“ - und das hat einen viel weiteren Bedeutungshorizont. Der Alttestamentler Hans-Walter Wolff hat in seiner „Anthropologie des Alten Testaments“ das Kapitel zum Wort „Näfesch“ in sieben Punkte unterteilt. Die ersten sechs davon heißen: Kehle, Hals, Begehren, Seele, Leben und Person. „Seele“ in unserem Sinn ist also nur ein Aspekt unter vielen. Und über dem Gesamtkapitel steht: „Näfesch – der bedürftige Mensch“. Jesus hat aramäisch gesprochen – und wenn er in unserem Gleichnis das Wort verwendet hat, das wir mit „Seele“ übersetzen, wahrscheinlich von „Näfesch“ geredet.

Warum ist das wichtig? Weil mit diesem Wort all das andere mitschwingt, was den Menschen als bedürftigen Menschen auszeichnet. Wir brauchen Essen und Trinken, wir brauchen die Luft zum Atmen. Wir brauchen, um als Menschen leben zu können, Beziehungen: zu uns selbst, zu anderen Menschen, zu Gott. All das macht uns aus. Wenn wir Mangel leiden, dann versuchen wir dem abzuhelfen. Durch die Kehle fließt unser Atem – durch die Kehle fließt aber auch das Lob Gottes, das wir aussprechen. Die Kehle ist ein gefährdetes Körperteil – ganz drastisch weiß die hebräische Bibel, dass sie zugedrückt oder durchschnitten werden kann. Hans Walter Wolf fasst zusammen: „Klingt bei der Erwähnung des Körperteils Kehle oder Hals häufig die Sicht des Menschen als des Bedürftigen oder Gefährdeten mit, der … nach Lebensmitteln und Lebensbewahrung lechzt, dann kann auch bei der Nennung der Näfesch solches vitale Verlangen, Begehren, Trachten oder Sehnen selbst die Vorstellung beherrschen“[1]. All das und noch viel mehr ist „Näfesch“. Der Bauer in unserer Geschichte hat seine Lebensbedürfnisse befriedigen können – und nun kann seine Seele, nun kann er selbst „Ruhe haben“. Meint er.

Aber Jesus, das wird offensichtlich, Jesus ist mit der Haltung des Kornbauern nicht zufrieden. Da kommt kein anderer vor angesichts dieser überreichen Ernte. Keine Familie, kein Nachbar, kein Knecht, keine Magd. Keiner, der gar in Not wäre oder so. Das ist der entscheidende Punkt. Der Mann denkt nur für sich selbst und an die Absicherung seiner Zukunft. Gewinnmaximierung aus egoistischen Motiven ist aber für Jesus kein Lebensmodell.

Und der Bauer aus dem Gleichnis übersieht noch etwas, und das wiegt vielleicht noch schwerer. Er ist nicht Gott, der Allmächtige, der Herr über Leben und Tod. Er ist Geschöpf, nicht der Schöpfer. Er ist nicht der absolute Herr über seine Zeit – vielmehr ist seine Zeit begrenzt. Alles Planen und Schaffen und Anhäufen von vermeintlichen Sicherheiten führt am Ende zu nichts. Auf einmal mischt sich Gott in sein Selbstgespräch ein und spricht zu ihm: „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ (V. 20). Für uns klingt das vielleicht beim ersten Hinhören nach Bestrafungstheologie für einen, der sich selbst heillos überschätzt. Ich meine aber, dass Jesus hier nur ganz nüchtern die Dinge zurechtrückt: Denke immer daran, dass du keine Insel bist, kein eigenes Universum. Du bist in ein Gefüge von Gemeinschaft gestellt. Die Rahmenbedingungen und die großen Regeln machst nicht du. Sie sind dir vorgegeben. Du bist als Kind Gottes wichtig auf dieser Welt, aber du bist nicht der einzige, der wichtig ist. Wenn du etwas anderes meinst, bist du im Irrtum, du Tor.

Die Gleichnisgeschichte hat einen kurzen Vorspann: „Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt? Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“ (Vv. 13-15)

Diesen Vorspann überhört man leicht. Da will einer von Jesus eine juristische Auskunft. Er will sein Recht bekommen. Das war durchaus üblich: Das Alte Testament ist voll von lebenspraktischen Regeln; die Rabbinen waren gewissermaßen Theologen und Juristen in einem. Jesus lehnt eine Auskunft ab. Warum? Er hätte doch leicht nach den Regeln antworten können. Stattdessen warnt er vor Habgier: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“

Jesus lenkt damit den Blick auf etwas Grundsätzliches: auf die Beziehungen, in denen wir leben, zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu Gott. Er führt uns weg von dem Einzelfall – den man sicher so oder so lösen kann – und mahnt uns eindringlich: Behaltet im Auge, was wichtiger ist als angehäufter materieller Besitz. Denkt an andere Menschen. Vergesst nie, dass ihr Geschöpfe seid. Bewahrt euch Dankbarkeit für alles Gute. Arbeitet für den Erhalt eures Lebens und für das derer, die eurer Hilfe und Unterstützung bedürfen. „Vor Gott reich“ werdet ihr, wenn ihr euer Vermögen mit anderen teilt. Und immer wieder: vergesst Gott nicht, den Schöpfer. Vergesst Gott nicht, der euer Leben begleitet und euch gibt, was ihr braucht. Vergesst Gott nicht, denn so könnt ihr frei werden von dem zwanghaften Wahn, ihr und nur ihr müsstet alles und jedes selbst planen, machen und erhalten. Das könnt ihr nicht – das müsst ihr nicht. Wenn ihr so denkt, dann seid ihr Toren, dumme Leute. Weise werdet ihr, wenn ihr bescheiden und nüchtern euer Leben in seinen Grenzen annehmt und Gott im Gedächtnis behaltet.

Betrug, liebe Gemeinde, Betrug, um die eigenen Taschen zu füllen – das geht damit überhaupt nicht zusammen. Weder die angeblich kleine Steuerhinterziehung noch die große systematische Fälschung von Testergebnissen passt mit der Lehrgeschichte Jesu zusammen. Eine Welt, die nur auf „ich“ aufbaut, ist nicht die Welt Jesu. Auch jede Abgrenzungs- und Neidideologie, die in diesen Tagen immer wieder laut wird, wenn von den vielen Flüchtlingen und ihrer Unterbringung die Rede ist, verbietet sich, wenn wir uns dem Gedanken Jesu anschließen. Ich muss es einmal sagen: dass in unserem reichen Land ausgerechnet eine Partei, die das „C“ (für „christlich“) in ihrem Namen führt, so sehr gegen die Botschaft Jesu redet und handelt, ist mir unerklärlich und unerträglich.

Wenn wir also heute das Erntedankfest feiern, dann feiern wir mit der Geschichte vom reichen Kornbauern zweierlei: Danken und Teilen. Dahin geht der Blick. Denn wir haben viel Grund zum Danken, es geht uns gut, die Ernte ist eingebracht, die Regale in den Läden sind voll. Und wir haben genug Möglichkeiten zum Teilen: zum Beispiel mit denen, die zu uns kommen, weil sie menschenwürdig und in Sicherheit leben wollen. Wie wir alle. Wir werden viel leisten müssen – wir haben große Aufgaben vor uns, Unterbringung, Sprache, Integration der vielen Flüchtlinge. Aber sie sind die um uns herum, die auch eine „Näfesch“ haben, denen Gott – im Bild gesprochen - den Geist des Lebens auch eingehaucht hat, die unsere Schwestern und Brüder sind. „Danken und Teilen“ - das ist die Summe unter der Geschichte Jesu. Sein Impuls für uns heute, am Erntedankfest. Amen.

 

[1]    H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München 1986/4. Aufl., S. 25-48, hier S. 33.



Dekan Uland Spahlinger
Dinkelsbühl
E-Mail: uland.spahlinger@elkb.de

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