Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 18.10.2015

Predigt zu Matthäus 22:1-14 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Leise Christensen

 

Wenn man sein theologisches Examen bestanden hat geht man in Dänemark auf das Predigerseminar, um als Pfarrer in der dänischen Volkskirche angestellt werden zu können. Dort lernt man etwas über die Praxis des Pastorenberufs: Kinder zu taufen, Trauungen und Beerdigungen vorzunehmen, man lernt, wie man sich vor dem Altar zu verhalten hat und wie man Lieder zum Gottesdienst wählt. Auf dem Programm stehen Beratungsgespräche, Predigtschreiben und Konfirmandenunterricht, und das Ergebnis der Bemühungen sieht man in den Kirchen des Königreiches. Aber an eines erinnere ich mich vom Unterricht, der in meinem Fall viele Jahre vor meinem ersten Amtsantritt stattfand (das mag als Entschuldigung dienen für so manchen Fehler im Laufe des Gottesdienstes), und dieses eine ist, dass man in der Gruppe immer diskutierte, was die Leute in Wirklichkeit meinten und fühlten und dachten und glaubten. Ja, was die normalen Menschen über den Gottesdienst denken und das, was der Pastor da sagt. Die vielen Frau vom Lande wurde oft bemüht bei Bemerkungen wie diese: „Ja, wenn du so sprichst, kann sie ja das nie verstehen“. Oder: „Draußen in der Wirklichkeit, da würde das nicht gehen. Das wollen die normalen Menschen nicht hören. Ich habe mich immer sehr darüber gewundert, denn ich habe mich doch immer selbst als einen Teil der Wirklichkeit und der Welt verstanden. Und ich meine auch, dass ich selbst eine Frau vom Lande bin und dass ich bestimmt der Gruppe von Menschen angehöre, die man als gewöhnliche Menschen betrachten kann – jedenfalls insoweit, als man überhaupt von gewöhnlichen Menschen reden kann. Ich meine nämlich, dass ich in meinem Alltag vielen ganz ungewöhnlichen Menschen begegne mit ihrer eigenen G und ihrem eigenen Leben und ihrer eigenen Geschichte draußen in der Wirklichkeit, die überall lauert. Dieselbe wohlbekannte Denkart findet sich in Aussagen wie: Diese Menschen im Parlament, sie sollten in Wirklichkeit kommen und die Wirklichkeit sehen“. Die Wirklichkeit ist dort scheinbar nicht wirklich, wie bei Kinderlosen, die gute Ratschläge für die Kindererziehung erteilen, gerne zu wissen bekommen, dass sie ihre Ratschläge für sich behalten sollten, denn sie wissen wirklich nicht, wie es in der Wirklichkeit zugeht. Nein, möglicherweise, aber sie wissen dafür sehr wohl, wie unangenehm es in Wirklichkeit ist, mit unerzogenen Kindern zusammen zu sein! Nein, wenn wir Ausdrücke gebrauchen wie „in Wirklichkeit“ oder „draußen in der Wirklichkeit“, dann tut wir es, um uns anzugrenzen. Grenzen zu ziehen zwischen denen und uns.

Wir hören heute von einem ganz schrecklichen Hochzeitsfest, darüber ist viel zu sagen. Da sind viele Dinge, die man aufgreifen könnte, aber heute will ich mich mit der letzten Zeile beschäftigen, der von einem Manne handelt, der sich nicht festlich gekleidet hat und deshalb aus der Feier verwiesen wird, an Händen und Füßen gebunden. Dort sollte er dann liegen mit Heulen und Zähneklappern. Er wurde aus dem fest in die Wirklichkeit geworfen, könnten wir sagen. Da sind also die, die im Lichte und im Warmen sind, und die, die draußen in der Kälte und Finsternis liegen müssen. Wie verhält sich dies eigentlich zu zentralen Botschaften des Christentums? Denn das Fest ist ja ein Bild für das Himmelreich, während die Finsternis ein Bild für die Verdammnis ist, und der Wirt, der in harter und brutaler Weise einen armen Gast rausschmeißt, ist Gott. Wie passt das zusammen? Warum wird so eine Kluft zwischen Menschen errichtet? Warum sollen einige in der Wirklichkeit des Heils leben und andere in einer anderen Wirklichkeit? Warum ist Gott hier so unversöhnlich? Viele mehr oder weniger sinnreiche Gedanken hat man sich darüber gemacht. Wie können wir ein Gleichnis haben, der in dem Maße dem widerspricht, was wir als gutes evangelisch lutherisches Christentum verstehen? Hier könnte man mit einer zeitgeschichtlichen Erklärung kommen, dass der Evangelist Matthäus erwartete, dass Himmel und Erde, wie wir sie kennen, bald untergehen werden; das die letzten Zeiten vor der Tür standen und dass die guten und bösen Menschen damit nach Verdienst sortiert werden sollten. Von Gott. In der Gemeinde musste man damit leben, dass man nicht sehen konnte, wer im Herzen gut oder böse war, aber damit konnte man am Tage des Gerichts nicht leben: Da wird alles offenbar, und Gott nimmt sich der Guten und Bösen an. So ist die Wirklichkeit der Endzeit nach Matthäus, und das stellt Matthäus in dem Gleichnis dar, das wir hier gehört haben. Ist es das, woran wir in Wirklichkeit glauben? Dass einige von uns an Händen und Füßen gebunden und hinausgeworfen werden, wo es Heulen und Zähneklappern gibt? Weil sie das verdient haben? Because we’re worth it, wie es in der Reklame heißt. Nun glaube ich nicht, dass man so zwischen bösen und guten Menschen trennen kann. Das Böse setzt keine Kluft zwischen den Menschen, sondern durch den einzelnen Menschen. Es ist zu einfach, sich selbst oder andere als gut oder böse auszumachen, denn die Kluft liegt nicht dort. Sie ist im einzelnen Menschen. Das ist ein Kampf, den wir alle für sich kämpfen müssen – mit wechselndem Erfolg. Es sieht aber so aus, als könne der kleinste Fehler wie z.B. ein falsches Festkleid uns verdammen. Wenn wir es also sind, die aus der Wirklichkeit des Festes in die Kälte und Finsternis verwiesen werden, an Händen und Füßen gebunden. Da ist ein Mensch, der schon an Händen und Füßen gebunden war, er wurde nicht herausgeworfen, sondern an ein Kreuz gehängt, nämlich Jesus, der Sohn Gottes. Er hang einsam, von Gott und Menschen verlassen, angstvoll und sicher mit Heulen und Zähneklappern. Auch wenn wir mit vielen Fehlern und Übertretungen gegenüber Menschen es vermutlich verdient hätten. Denn in Wirklichkeit sind wir alle in den rechten Kleidern, nämlich als wir getauft wurden. Dieses Kleid kann nie falsch sein, denn es ist uns von Gott gegeben, als uns die Vergebung der Sünden zugesagt wurde und die Verheißung der Auferstehung des Fleisches und des ewigen Lebens. Diese Kleidung bleibt ein Festkleid. Dass wir das Festkleid der Taufe anhaben, befreit uns nicht von der Aufgabe, stets gegen das Böse zu kämpfen und dem Gebot Jesu von der Liebe zu Gott und dem Mitmenschen zu folgen. Das befreit uns nicht von der Forderung, das Leben voll aufzunehmen, auch wenn wir Gefahr laufen, dass etwas misslingt. Es geht nur darum, den Kampf aufzunehmen und das Leben zu meistern. Nicht uns in Watte verpacken und Versicherungen, weil wir Gefahr laufen, herausgeworfen zu werden, wenn wir etwas tun oder überhaupt am fest teilnehmen. Wir müssen darauf vertrauen, solange wir in dieser Welt leben, dass Gott es gut mit uns meint und dass er einmal für alle einen draußen liegen ließ, eben weil wir dort nicht dort landen sollen. Auf diesen Glauben sind wir getauft. Amen.

 



Lektor Leise Christensen
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: lec(at)km.dk

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