Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 25.10.2015

Feinde, die zu Freunden werden
Predigt zu Matthäus 5:43 f, verfasst von Eberhard Busch

 

Eine jüdische Legende erzählt: Als einst das Volks Gottes durch das Rote Meer gezogen war und glücklich am anderen Ufer stand, in Freude, dass es seinen bösen Feinden entronnen war, die hinter ihnen in der Flut ertranken, da sei eine Stimme vom Himmel ertönt; und Gott habe zu seinem Volk gesprochen: „Menschen ertrinken, die doch von mir erschaffen sind, und ihr jubelt?“

Es gibt für uns wohl auch solche, denen wir wünschen, dass sie endlich einmal verschwinden. Wo wir dies auch nur wünschen, da schwelt Feindschaft. Es gibt Feinde in mancherlei Gestalt. Es gibt den Privatfeind – im Gegeneinander von Nachbar zu Nachbar, von Kollege zu Kollege. Es gibt den Klassenfeind – im Verhältnis der Reichen zu den Armen, der Mehrheit zu einer Minderheit. Es gibt den weltanschaulichen Feind – den, der unseres Erachtens falsche Vorstellungen durchsetzen will. Es gibt auch den Volksfeind, der woanders beheimatet ist und womöglich noch eine andere Hauptfarbe hat. Soviel Feindschaft! Aber nun ist es, wie wenn hier im Munde Jesu eine Stimme vom Himmel ertönt: Menschen, von Gott erschaffen, Menschen von Gott geliebt – und ihr wünscht ihnen, dass sie verschwinden? „Liebt eure Feinde“, denn jedenfalls Er, uns Gott, liebt unsere Feinde!

Allerdings, das dürfen wir nicht übersehen, jetzt scheint Jesus Öl ins Feuer des Hasses und der Feindschaften zu gießen. Denn er erklärt: „Ihr habt gehört, dass dies gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Widerspricht Jesus dem? Er setzt offenbar voraus, dass es einen Fall gibt, wo es sogar die Würde eines Gottesgebots hat: „Du sollst deinen Feind hassen.“ Er denkt dabei wohl nicht an die vorhin genannten Möglichkeiten von Feindschaft. Er denkt hier an einen Feind, den wir freilich in der Regel gar nicht hassen, der zumeist da ist, wo wir ihn zuletzt vermuten. Es ist der Feind der Gemeinde Jesu.

Diese Gemeinde ist, wenn es gut geht, die Zusammenkunft von Leuten, die Gott lieb haben und die sich auch untereinander lieb haben. Sie sind nicht beisammen, weil sie sich so sympathisch finden. Auf sich selbst gesehen, mag sie vielleicht wenig miteinander verbinden. Es mag zwischen ihnen vielleicht sogar etwas von jenen privaten oder völkischen oder weltanschaulichen oder Klassen-Gegensätzen geben. Was sie unzerreißbar verbindet, ist, dass sie sich von demselben Gott geliebt wissen dürfen, und was sie verbindet, ist der Glaube, dass dadurch auch jene anderen Gegensätze abgebaut werden. Nächstenliebe ist zunächst die gegenseitige Verbundenheit von Menschen, die durch Gott miteinander verbunden sind.

Aber nun gibt es andere, die gehören nicht dieser Gemeinde. Sie sind Feinde des Gottesvolks, weil sie in Wahrheit Feinde Gottes sind, Feinde seines Wortes, Feinde seines Sohnes, Feinde seiner Gnade, Feinde seiner Liebe. Vielleicht sind sie es mit dem freundlichsten Gesicht. Aber man täusche sich nicht, wer zum Volk dieses Gottes gehört, der kann es erfahren, dass er sich damit nicht nur Freunde schafft. In 1. Johannes 3 (13) lesen wir: „Verwundert euch nicht, wenn euch die Welt hasst.“ Aber nicht genug damit. In den Psalmen stehen die kräftigen Worte (139,21): „Ich hasse, Herr, die dich hassen, und es verdrießt mich an ihnen, dass sie sich wider dich setzen. Ich hasse sie in rechtem Ernst. Sie sind mir zu Feinden geworden.“

Es wird also nicht gesagt: Ich hasse sie, weil sie mir unsympathisch sind, oder: weil sie anderer Meinung sind. Sondern: ich hasse sie, die dich, Gott, hassen. Diese Feinde Gottes leben vielleicht gar nicht ferne von uns. Jesus sagt einmal, es gehe ein trennender Bruch sogar quer durch Blutsverwandtschaften und den ihm im Glauben Verbundenen (Markus 3,32-35). Wer ist solch ein Feind Gottes? Im Jakobusbrief (4.4) heißt es strikt: Wer „der Welt Freund“ ist, sei „Gottes Feind“. „Der Welt Freund“ genießt vielleicht hohes Ansehen und hat vielfachen Erfolg. Aber er ist doch ein Feind Gottes. Darum können wir in Wahrheit nur wollen, dass sein Hass gegen Gott aufhöre. Gott selbst kann solchen Hass nur seinerseits hassen und beenden wollen. Das ist nun doch der gute Sinn dessen, wenn in der Gemeinde Gottes das geboten ist: den Nächsten zu lieben und den Feind zu hassen.

Allerdings gebietet Jesus uns nun: „Liebet eure Feinde.“ Lehnt er damit den guten Sinn jenes alten Gebots ab, dass der Hass gegen Gott aufhören muss“? Wohl nicht. Sondern er stellt hier eine ernste Frage an die, die ihn lieben und ehren. Offenbar sieht er sie von einer ungeheuren Gefahr bedroht. Denn man stelle sich einmal vor, einer von uns hier nehme allen Ernstes jenen Satz auf seine Lippen: „Ich hasse, Herr, die dich hassen.“ Die Gefahr liegt da doch schrecklich nahe, dass sich dieser Satz auf einmal in meinem Mund verdreht. Dann lautet er so: „Ich hasse die, die mich hassen.“ Es ist die Gefahr, dass sich der Widerstand gegen die Feindschaft gegen Gott bei mir heillos vermischt mit meinen persönlichen, privaten Abneigungen gegen den und jenen. Und auf einmal nehmen wir Gott in Anspruch als unseren Helfershelfer bei unserem Streit mit Mitmenschen. Das geht grundsätzlich nicht.

Wir werden da, offen oder heimlich, zu Menschenverächtern, weil wir so gut von uns selber denken, während wir andere verachten und verteufeln. Unter der Hand werden wir dabei zu Feinden der Gnade Gottes, weil wir uns unseres Vorzugs vor anderen rühmen und weil wir das unserem eigenen Vermögen zuschreiben. Wenn wir das tun, dann sind wir eben dies: Feinde Gottes und seiner Gnade. Das geben wir ja wohl nicht so leicht zu. Aber wer zum Kreuz Christi schaut, dem geht auf, was er vorher schwerlich zugab: Vor ihm stehen wir da als seine Feinde. Müssen wir hier nicht anerkennen, Er ist der Eine, der das Recht hat, zu uns zu sprechen: „Ich hasse euch, die ihr Gott hasst“? Aber nein, so lautet die biblische Botschaft schon im Alten Testament: Nein, Gott „hat nicht Lust am Tod des Gottlosen, sondern dass er umkehre und lebe“ (Ez. 33,11). Und der Apostel Paulus schrieb: Christus hat sich für uns aufgeopfert, als wir seine Feinde waren (Röm. 5,10).

Es bleibt wohl dabei: Er heißt die Feindschaft gegen ihn nicht gut. Er will, dass sie verschwinde. Aber, so lautet die Botschaft vom Karfreitag: Er setzt alles dafür ein, dass wir dabei nicht verschwinden. Paulus ruft da jubelnd aus: „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (1. Kor. 15,10). Und wir dürfen mit Fug und Recht singen: „Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt, über alle Maßen ...“ Obwohl wir ganz und gar kein Anrecht darauf haben, er behandelt uns als seine Freunde, ja, als seine Geschwister, als Gottes Kinder, die er wieder und wieder einlädt, ihn zu lieben und nicht zu hassen, auch nicht in der unerfreulichsten Version, dass wir ihn hassen in Gestalt der Gleichgültigkeit gegenüber ihm.

Wenn ich dennoch ganz überraschend bei der Schar der Kinder Gottes sein darf, dann muss ich auf einmal in diesem Licht auch jene Feinde der Gemeinde Gottes neben mir ansehen, anders als bisher. Sie haben es offensichtlich auch nicht verdient, dass Gott sie liebt. Wenn ich auch nur einen Moment davon absehe, dass ich aus reiner Gnade ein Gotteskind sein darf, dann werde ich diese Gnade jenen Gottesfeinden absprechen. Aber sobald ich nicht davon absehe, so kann ich eigentlich nicht mehr anders, als das scheinbar Unmögliche zu sagen: „Ich liebe, Herr, die dich hassen.“ Ich liebe sie nicht, weil sie dich hassen, aber weil Du sie liebst trotz dem, dass sie dich hassen. Menschen, von dir geschaffen, Menschen, von dir geliebt, Menschen, für die Christus eingetreten ist, – die sollten abgeschoben werden? Nein!

So beginne ich nun genau gegenüber diesen Feinden damit ernst zu machen: „Liebet eure Feinde.“ Solches Lieben tut sich nach Jesu Wort zuallererst darin kund, dass ich für sie bete, so wie es Jesus am Kreuz getan hat. „Betet für eure Verfolger!“ Dietrich Bonhoeffer schrieb: Das Gebet für die Feinde sei das Größte, was ich für sie tun kann. Für sie beten, das heißt ja weder gegen sie beten, dass Gott sie aus dem Weg räume, noch für sich selbst beten, dass Gott uns vor ihnen bewahre. Bete ich für sie, so lege ich mich mit ihnen zusammen in Gottes Hand. Bete ich für sie, so sind wir, die jetzt äußerlich getrennt sind, jetzt vielmehr vor Gott nicht getrennt, sondern einander verbunden. Wenn wir so für sie beten, wird Gott uns auch die richtigen Schritte zeigen, was wir dann auch für sie und mit ihnen zu tun haben.

Und nun gibt es nicht nur diese Gottesfeinde. Es gibt auch jene Feinde, die wir als Menschen im übrigen so haben – den Privatfeind, den Intimfeind, den Klassenfeind, den Volksfeind, den weltanschaulichen Feind. Auf sie bezieht sich jenes Gebot nicht direkt: „Du sollst deinen Feind hassen.“ Und doch halten diese anderen Feinde uns viel mehr in Atem als jener ernste Feind, der Gott hasst. Was sollen wir dazu sagen? Die Antwort ist nunmehr klar: Wenn sogar die Feindschaft, wo am ehesten noch Hass geboten erscheint, überwindbar ist durch die Liebe Christi, wie viel mehr ist dies der Fall bei jenen anderen Feindschaften. Es genügt bei ihnen zumeist nicht zu sagen: Wir wollen uns halt zusammenraufen. Sondern wenn immer wir in eine solche Feindschaft verwickelt sind, da lasst uns jeweils aufs neue zu Christus hin schauen.

Dann wird auf einmal unser Denken und Reden und Handeln nicht mehr durch den Gegner diktiert. Dann wird es durch Christus „diktiert“; und der diktiert uns Liebe. Diese Liebe fragt nicht mehr, ob sie auf Gegenliebe stößt, und wird nicht mehr aufgehalten durch die Erinnerung an das, was er uns angetan hat. Diese Liebe sieht nur noch, was Christus an uns getan hat. Mit ihm kommt die Stimme Gottes in unser vielleicht allzu widerspenstiges Herz – die Stimme Gottes, die sagt: Menschen, von mir geschaffen, von mir geliebt, denen könnt ihr doch nicht Verderben wünschen! Daraufhin denkt ihr nicht mehr, ob der, der im Hass lebt, Liebe verdient hat. Daraufhin fragt ihr vielmehr: Braucht er Liebe? Gewiss braucht er nichts nötiger als Liebe. Wir werden ihn vielleicht nicht so lieben, wie er es braucht. Aber wir können ihm mit kleinen Liebeszeichen begegnen.

So klein sie auch sein mögen, sie haben womöglich die Wirkung eines Signals, das einen ganzen, stillstehenden Zug in Bewegung setzt. Als einmal ein Bombenanschlag auf das Haus des Schwarzenführers Martin Luther King von weißen Hassern gemacht worden war, sammelte sich eine Menge Farbiger mit Waffen, um Rache zu üben. Da trat King unversehrt hervor und sagte: „Legt eure Waffen weg! Wir können dies Problem nicht durch Vergeltung lösen. Wir müssen unsere weißen Brüder lieben, gleich, was sie uns antun. Jesus ruft uns über Jahrhunderte hinweg zu: ‚Liebt eure Feinde’. Dies müssen wir leben. Wir müssen Hass mit Liebe vergelten.“ Setzen wir dem hinzu: Wir müssen es nicht nur, in der Kraft Jesu können wir es auch. Er gebe uns den Willen, es auch zu tun.

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

Bemerkung:
Wenn wir mit den Fremdesten der Welt zu tun haben, muss es da nicht sein, dass wir sie für unsere Brüder halten? … [Ihr seid] unsere Feinde und die, welche uns verschlungen haben wollen, [aber] wenn es darauf ankommt, pflegen wir Bruderschaft mit euch


(zurück zum Seitenanfang)