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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 25.10.2015

Friede sei mit euch
Predigt zu Matthäus 5:38-41, verfasst von Eberhard Busch

Spüren wir es aus diesen Worten heraus? – Jesus weist uns gleichsam mit langem Finger dort hin, wo es wunderbar erfüllt ist, was im Buch des Propheten Jesaja verheißen ist: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken. Ein kleiner Knabe wird Kälber und Löwen zusammentreiben. ...Und man wird nirgends Schaden tun noch verderben; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn.“ (Jes. 11,6-9) Wie schön ist das! Und darauf will Jesus uns ausrichten.

Er träumt da nicht bloß vor sich hin. Er will uns anstecken mit der Freude darauf, wenn das Reich Gottes anbricht und alle Länder voll Erkenntnis des Herrn sind und wenn dann herrscht „groß Fried ohn Unterlass und all Fehd hat nun ein Ende“. Dann hört das auf, dass Menschen durch Menschen erniedrigt und beleidigt, gequält und geschunden werden. Dann ist es damit vorbei, dass Augen und Zähne ausgeschlagen werden und dass ins Gesicht und mit Füßen getreten wird. Das wird wunderbar sein!

Denn dort befinden wir uns noch nicht. Indem Jesus uns danach sehnsüchtig macht, geht uns wohl aller erst auf, dass wir in einer Welt leben, in der das Böse herrscht und über unsere Herzen Gewalt hat. Haben wir uns denn schon so daran gewöhnt, dass wir es für normal halten, was ein Militärkopf sagte: „Friede ist ein bloßer Traum und nicht einmal ein schöner“? Aber das Licht, das von Jesu Wort in unsere Welt hineinleuchtet, stößt uns darauf, dass solche Gewalt und gar jedes Gutheißen von Gewalt nicht für uns gut ist und uns nicht gut tut. Darum weist er uns hin auf eine andere, neue Welt, in der „die Wölfe bei den Lämmern wohnen“.

Aber wie kommen wir von hier nach dort hin? Darauf antwortet Jesus in unserem Bibeltext. Und seine Antwort lautet kurz so: Es gibt da keinen anderen Weg, als dass das Böse gestoppt wird. Der Kreislauf des Bösen von Schlag und Gegenschlag muss unterbrochen werden. Im Grund war das schon der gute Sinn des alten Satzes: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Der Satz meint nicht, es sei in unser Belieben gestellt, dreinzuschlagen oder zurückzuschlagen, wenn wir uns gekränkt fühlen. Der Satz meint: Es muss dem Bösen gewehrt werden. Es muss ihm Einhalt geboten werden, damit ja nicht ein solcher Kreislauf des Bösen entsteht und im Gang gehalten wird., dass man am Ende nicht mehr weiß, wer und wie alles angefangen hat.

Allerdings fährt Jesus fort: „Ich aber sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstreben sollt.“ Damit sagt er uns zunächst: Jenes Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, so wie wir verkehrten Menschen es anwenden, leistet nicht, was es nach seinem guten Sinn leisten sollte. So, wie wir davon Gebrauch machen, unterbricht es gar nicht den Kreislauf der bösen Gewalt. Keine Aggression, ohne dass dafür Waffen geliefert werden, immer raffiniertere, und zwar nach allen Seiten. „Wie du mir, so ich dir“, so sagen wir. Aber damit schaffen wir das Böse nicht aus der Welt. Damit bestätigen wir es nur, selbst wenn wir es für eine Weile eindämmen. Indem wir Gewalt mit Gegengewalt beantworten, indem wir da mit gleichen Mitteln heimzahlen, beweisen wir, dass wir selbst infiziert sind vom Bösen.

Wenn Jesus nun sagt: Ihr sollt dem Bösen nicht wiederstreben, sondern ihr sollt es dulden, so dürfen wir es nicht falsch verstehen. Das heißt nicht: Ihr sollt das Böse gutheißen. Es bleibt dabei, das Böse ist böse, und es muss ihm das Handwerk gelegt werden. Aber wehrt ihm so, sagt Jesus, dass ihr ihm keine Angriffsfläche bietet! Und ihr bietet ihm keine Angriffsfläche, wenn ihr euch nicht auf sein Niveau hinab begebt und ihm mit gleichen Mitteln antwortet. Das Böse läuft sich tot, es verpufft, wenn es bei euch nicht Gleiches von seiner Art findet. In dem Sinn, sagt Jesus: „Ihr sollt dem Bösen nicht widerstreben.“

Aber, nicht wahr, das können wir nicht hören, ohne den Kopf zu schütteln: Ach, Herr, was du da sagst, das lässt sich nicht durchführen. Das bringt man schon Kindern bei: Du musst dich wehren; sonst kommst du unter die Räder. Denn das ist unsere Erfahrung, dass an den Wehrlosen die böse Gewalt sich gerade nicht totläuft. Im Gegenteil, die Schwachen laden die Starken förmlich ein, zuzuschlagen. An ihnen tobt sich das Böse am ungehindertsten aus. Würde man also bei buchstäblicher Erfüllung des Jesusworts nicht sogar das Gegenteil erreichen? Wie oft hat jemand einen anderen dadurch entwaffnet, dass er nach einem Tritt vors Schienbein ihm auch noch den andere Fuß hingehalten hat? Hat er ihn dadurch nicht vielmehr zum Nachtreten gereizt? Aber ist dann das Gebot Jesu zu nichts zu gebrauchen?

Es ist schon länger her, dass Menschen durch die Straßen zogen mit einem Plakat: „Frieden schaffen / ohne Waffen“. Darauf haben Politiker geantwortet, dass man mit solchen Sprüchen nicht die Welt regieren kann. Man müsse unterscheiden zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich. Öffentlich könne man das Jesuswort nicht anwenden, ohne Schaden anzurichten, aber im Privaten mag das stattfinden. Doch ist solche Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Bereich unbefriedigend. Sie ist so richtig an einem Schreibtisch geboren. Im wirklichen Leben lässt das sich nie so säuberlich gegeneinander abgrenzen: Hier bin ich Privatmensch und richte mich nach Jesu Willen, und hier bin ich im öffentlichen Weltleben, und da richte ich mich nicht nach ihm. Wenn ich auch nur Steuern zahle oder wenn ich bete in meinem Kämmerlein, hoffentlich auch für das Gemeinwohl, so beteilige ich mich bereits am staatlichen Leben. Und wäre es nicht auch eine Heuchelei, wenn ich für mich in meinen vier Wänden im Reich Gottes lebe und profitiere dabei davon, dass draußen die Polizei dem Bösen widerstreitet.

Jene Unterscheidung täuscht sich auch darin, dass sie annimmt, es sei leichter, den Frieden im Privatbereich durchzuführen als im öffentlichen Bereich, wo er sich halt nicht durchführen lasse. Ist es nicht im Privaten oft genau so schwer, sich an das Jesuswort zu halten? Vielleicht ist es sogar leichter, das vom amerikanischen und russischen Präsidenten zu verlangen, als sich selbst danach zu richten. Würden wir nicht auch im Privatbereich jeder Bosheit Tür und Tor öffnen, wenn wir uns nicht dagegen sichern würden?

Aber wie kann Jesus etwas von uns verlangen, wovon er wissen muss, dass wir das praktisch gar nicht tun, weder im Öffentlichen noch privat? Es wäre gut, wenn wir einmal darüber erschrecken, dass wir die Durchbrechung des Kreislaufs des Bösen für undurchführbar halten. Es wäre gut, wenn es uns einmal erschüttert, dass das „Normale“ in unsrer Welt ist: So dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, so schlage zurück! Tun wir dies, so sollten wir jedes Mal bußfertig seufzen: Wir sind Erlösungsbedürftige in einer erlösungsbedürftigen Welt. Was wir geradezu massenhaft brauchen, ist Vergebung. Hören wir dazu die Botschaft in unserer Bibel von Jesus Christus, dem Gekreuzigten! Er „ist die Versöhnung für unsere Sündern, nicht nur für die unsrigen, sondern für die der ganzen Welt“.

Wie ist das zustande gekommen? Er hat ja am Kreuz böse Gewalt übergenug erfahren. Da ist er buchstäblich und im übertragenen Sinn geschlagen und ist ihm der Rock genommen worden. Und er? – er hat nicht Gleiches mit Gleichem vergolten, „hat nicht wiedergescholten, da er gescholten wurde und drohte nicht, als er litt“, wie es im ersten Petrusbrief heißt (2,23). „O Lamm Gottes unschuldig ..., erfunden stets geduldig, wiewohl du warest verachtet.“ Er hat selber erfüllt, wozu er uns in unserem Bibelwort anweist. In seinem Sterben hat er die Macht des Bösen erduldet. Aber das hat er auf sich genommen, um den tiefen Schaden auf unserer Seite zu beseitigen.

Damit hat er uns nicht nur vergeben, damit hat er zugleich den Kreislauf des Bösen unterbrochen. Indem er nicht zurückschlug, hat nun jedenfalls an ihm das Böse keinen neuen Zündstoff gefunden. Da hat es sich an ihm totgelaufen. Es hat bei ihm nicht gefunden, was es braucht, um mächtig zu bleiben. Darum ist das Kreuz Jesu nicht nur das Zeichen der Vergebung Gottes für uns. Es ist zugleich auch das Zeichen der Hoffnung für uns und für die ganze Menschheit, Hoffnung im Privaten und im Öffentlichen. Hier ist einmal an einer Stelle der Weltgeschichte der Kreislauf des Bösen unterbrochen worden, so unterbrochen, dass damit ein Abbruch dieses Kreislaufes in Aussicht gestellt ist. Das erlaubt die Hoffnung auf das Friedensreich Gottes, wo „die Wölfe bei den Lämmern wohnen“, wo das aufhört, dass Menschen durch Menschen beleidigt und erniedrigt werden.

Wir sind noch nicht dort. Aber am Ostertag ist die Tür dorthin für uns geöffnet worden. „Friede sei mit euch“, sagt der Auferstandene (Joh. 29,19). Seitdem ist dieses Friedensreich für uns ein klares Ziel. Sind wir noch nicht dort, so haben wir es doch im Blick auf Jesus Christus vor Augen und lassen es nicht mehr aus den Augen. Er schafft dadurch in uns einen Überdruss an dem im Kleinen wie im Großen befolgten Gesetz dieser Welt: „Wie du mir, so ich dir.“ Und dieser Überdruss wird sich äußern in bestimmten Schritten in Richtung auf jenes Ziel. Sind es kleine, zaghafte Schritte, so sind es doch Schritte heraus aus dem Kreislauf des Bösen, Schritte, bei denen wir es wagen, Böses mit Gutem zu vergelten. Und mit Johannes Calvin: „Hüten wir uns, uns zu sehr zu schonen! Denn wir haben doch gehört, dass unser Herr will, dass wir uns Mühe geben, um einander zu helfen.“

Man muss sich dabei nicht wundern, wenn man Nachteile zu spüren bekommt. Das muss nicht hindern, ruhig auch einmal einen großen Schritt zu tun. Etwa so wie die christliche Gemeinschaft der Mennoniten, die bei uns lange Zeit von Christen verfolgt wurden und darum auswanderten. Warum waren sie bei den anderen Christen nicht wohlgelitten? Weil sie diese anderen damit beunruhigten, dass sie Gewalt ablehnten und sich dafür auf Jesu Wort beriefen – Matth. 25f.: „Die weltlichen Herren üben Gewalt aus, so soll es unter euch nicht sein.“ Und eben Matth. 5, unser Predigttext: „Ihr sollt dem Bösen nicht widerstreben..“

Oder etwa so wie jener französische Offizier, der nach dem 1. Weltkrieg mit Besatzungs-Truppen in Deutschland stationiert war, inmitten des glühenden Hasses, der damals zwischen den beiden Völkern herrschte. Der entdeckte im Abendmahl die Gemeinschaft auch von Feinden. Als er dann mit seinen Soldaten auf einen wilden Volksauflauf von deutschen Leuten schießen sollte, ließ er vielmehr vor aller Augen seine Soldaten entwaffnen und sagte: „Macht mit uns, was ihr wollt, aber wir werden nicht schießen. Wir wollen euch helfen.“ Inmitten von Feindschaft ein echter Friedensschritt.

Unsere Zeit braucht heute solche Friedensschritte, Zeichen, mit denen wir signalisieren: „Wir wollen euch helfen.“. Jesus sagt: „Ihr sollt dem Bösen nicht widerstreben.“ Und also, liebe Gemeinde, machen wir uns rüstig auf den Weg hin zu dem Reich, wo „man wird nirgends Schaden tun noch verderben; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn“.

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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