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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 25.10.2015

Gottes Liebe ist wie die Sonne
Predigt zu Matthäus 5:38-48, verfasst von Wolfgang Schmidt

 

Liebe Gemeinde,

als ich dieser Tage mit dem Auto auf den Ölberg fahren wollte, stand ich wie so oft im Stau. Mit der Muse, die man hat, wenn man warten muss und nichts dran ändern kann, betrachtete ich die Rückfront des Wagens, hinter den ich geraten war und entzifferte die hebräischen Buchstaben eines leuchtend roten Aufklebers, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Jehudim ahavim Jehudim. „ Juden lieben Juden“ stand da zu lesen. Es durchzuckte mich. Juden lieben Juden. Gerade hatte ich mit der Vorbereitung der Predigt begonnen und noch kurz zuvor die Sätze gelesen: „Wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?“

Jesus hat diese Sätze seiner Bergpredigt zu Juden gesagt. Und er wusste dabei natürlich genau, dass die es auch nicht anders hielten als die Nichtjuden, die Heiden, die sich doch oft genug auch lieber den eigenen Leuten zuwenden als den anderen, den Fremden, geschweige denn den Feinden. Wer in diesen Tagen nach Dresden schaut zu den Demonstrationen von Pegida oder sich an das Attentat auf die Kölner Bürgermeisterkandidatin erinnert, bekommt einen Geschmack von einem Leben, das sich dem anderen, dem Fremden, und erst recht womöglich einem Feind gegenüber vollständig verweigert. Da demonstriert sicher mancher wackere Bürger, der seinem deutschen Volksgenossen nebenan gerne mal sein Auto leiht, wenn er in Not ist. Aber doch bitte keine Schwarzen, keine Araber, oder andere Flüchtlinge, die kein Deutsch können bei uns im Dorf! Die sollen hier verschwinden. Jehudim ahavim Jehudim. Christen lieben Christen. Deutsche lieben Deutsche. Franzosen lieben Franzosen.

Mit dieser Haltung geht Jesus hart ins Gericht, so wie es überhaupt harte Worte sind für unsere Ohren, die er in den Worten seiner Predigt auf dem Berge zum Ausdruck bringt. Die Bergpredigt steht ziemlich am Anfang des Matthäusevangeliums. Voraus geht die Geburtsgeschichte Jesu, Johannes der Täufer und die Anfänge von Jesu Wirken – aber noch ohne ein großes Wort von ihm. Doch dann in den Kapiteln 5-7 liefert Jesus erstmals und umfassend seine Botschaft. In der Politik würde man es vielleicht Regierungserklärung nennen oder eine Agenda, die er präsentiert. Den Kern bilden sechs sogenannte Antithesen, in denen er jeweils aufnimmt, was die Tradition sagt und wie er selbst nun diese Tradition versteht und auslegt. Und jedes Mal ist es eine Verschärfung des Überlieferten, ein „Mehr noch“, ein

Weiter noch“. „Auge um Auge. Zahn um Zahn“ war ja schon ein Fortschritt gewesen gegenüber einer hemmungslosen Rachspirale, die immer größere Opfer forderte. Die Rache sollte nicht mehr Schaden verursachen als angerichtet wurde. Zum Beispiel wäre das direkte Erschießen eines Messerstechers, das nicht Notwehr ist, nach diesem Prinzip als unangemessen zu beurteilen. Nur ein Auge für ein Auge, ein Zahn für einen Zahn ist nach der Tradition statthaft. Aber Jesus geht weiter, will mehr. Seine Zuhörer sollen dem Übel überhaupt gar nicht widerstreben. Halte dem Schläger noch die andere Gesichtshälfte hin! Wenn du verurteilt wirst, deine Körperkleid zu verpfänden, gib auch noch deinen Mantel hin! Und wenn ein Besatzungssoldat, das waren die Römer zur Zeit Jesu, dich schnappt, dass du ihm seine Sachen trägst für eine Meile, dann sei ihm von dir aus gleich für zwei Meilen zu Diensten! Widerstrebe auch nicht, wenn einer dich um etwas bittet oder von dir etwas leihen will!

Der sogenannte gesunde Menschenverstand begehrt hier auf, liebe Gemeinde. Das kann doch nicht wahr sein! Und entsprechend zeigt die Auslegungsgeschichte der Bergpredigt durch die Jahrhunderte die unterschiedlichsten Weisen, wie die Leser eine Hintertür gesucht haben, um diesem Jesus auszuweichen, diesem unbequemen Jesus, der so gar kein Wohlfühl-Evangelium mit seinen Worten präsentiert. „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“- wer würde da nicht ein großes Fragezeichen setzen?

Und ich glaube, liebe Gemeinde, das ist wichtig: dass wir die Worte Jesu zunächst einmal in ihrer ganzen Fremdheit und Sperrigkeit sehen und auf uns wirken lassen. Schon der Anfang der Bergpredigt mit den Seligpreisungen ist ja alles andere als eingängig, wenn die geistlich Armen und die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, wenn die Barmherzigen und die Friedfertigen und die Verfolgten und Beleidigten selig gepriesen werden. Schon hier werden alle Werte, alle Befindlichkeiten, die dem gesunden Menschenverstand erstrebenswert erscheinen schlicht auf den Kopf gestellt. Jesus findet genau das gut, was bei uns zumeist hinten runter fällt.

Im heutigen Predigttext konzentriert sich alles auf das Widerstreben, das Jesus den Seinen abgewöhnen will, dem Übel nicht wiederstreben, aber auch nicht dem, der etwas von dir will, z.B. etwas borgen will. Nicht maßvoll Frieden halten, sondern weit darüber hinaus: auf alle eigenen Ansprüche verzichten, alle Anrechte aufgeben. Da will Jesus hinaus.

Und es gibt ein altes, altes Lied, das schon in der Bibel selbst genau das als Jesu eigene Haltung beschreibt und preist: der sogenannte Philipperhymnus in Kapitel 2 des Philipperbriefs. Dort heißt es: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ - zur Ehre Gottes, des Vaters.“

Jesus hielt „nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave“. Wer dieses Wort in sich aufnimmt, sieht auf einmal in den Worten Jesu ihn selbst. Sein Verzicht auf alle eigenen Ansprüche, seine Aufgabe aller Anrechte. Diese Botschaft ist gedeckt durch sein Leben und Sterben. Diese Botschaft ist zutiefst authentisch. Wie sollte Jesus in der Bergpredigt anders reden angesichts des Wegs, den er selbst gegangen ist? Wie sollte er seinen Jüngern ein paar platte Allgemeinheiten predigen, wo er selbst mit seinem Leben das sprechendste Zeugnis seiner Worte geworden ist?

Aber was in diesem Text schließlich an Radikalität kaum noch zu überbieten ist, ist die theologische Begründung, die Jesus am Ende gibt. Warum soll ich denn meine Feinde lieben und für die bitten, die mich verfolgen? Ganz einfach: weil wir zur Familie Gottes gehören. Als Kinder Gottes steht uns das überragende Vorbild unseres himmlischen Vaters vor Augen, der es eben nämlich genau so macht: Der nämlich seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte! Wie bestechend ist dieses Argument! Es ist so offensichtlich. Es ist so einleuchtend. Es gibt viele Eigenschaften Gottes, über die man streiten mag und die Themen füllen ganze Bibliotheken theologischer Literatur. Ist Gott gerecht? zum Beispiel. Schon in der Bibel selbst werden Zweifel daran laut, wenn es z.B. in den Weisheitsbüchern heißt, der Böse freue sich seines Lebens während der Gute nebenan zu leiden habe. Oder wie ist es mit Gottes Allmacht? Passt sie mit der völligen Entmächtigung in Jesus am Kreuz zusammen? Es gibt viele Dinge, die im Blick auf Gott diskutiert werden. Aber wer überhaupt glaubt und ihn als den sieht, der das Dasein zusammenhält und begründet, der wird zumindest daran keinen Zweifel äußern: dass Gott regnen lässt über Gerechte und Ungerechte und seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute! Da kann jeder mit!

Und daran nimmt Jesus Maß! An dieser unglaublichen Güte, an dieser unglaublichen – ja man muss fast sagen moralfreien Großzügigkeit, an dieser unglaublichen Liebe und Hinwendung zum Leben eines jeden Menschen, wer er auch sei, was er auch tue – an Gutem wie an Bösem. Natürlich: auch das triggert unseren gesunden Menschenverstand wieder an. Das kann doch nicht sein! Doch wie heißt es in Matthäus 19: „Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist es unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“Jesus nennt es Vollkommenheit.

Es ist diese Güte Gottes gegenüber seinen Geschöpfen – ohne jeden Unterschied, die Jesus in diesem Abschnitt stark machen will. Er lässt die Sonne scheinen und den Regen fallen über Gute und Böse, über Juden, Christen und Muslime, über Israelis und Palästinenser, über Sachsen und Bayern und Hannoveraner und Syrer und Iraker in Deutschland und anderswo. Keinem bestreitet er je das Recht zum Leben.

Bei den Menschen ist es unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Gilt das auch für die Weisungen der Bergpredigt, liebe Gemeinde? Es gibt Passagen darin, die den Eindruck vermitteln, die Bergpredigt sei nicht durchweg wörtlich zu nehmen – was übrigens generell bei der Bibel zu Problemen führt. Zum Beispiel wird demjenigen, der sich vom Anblick einer Frau verführen lässt empfohlen, das Auge auszureißen, das er auf sie geworfen hat und die Hand mit der er sie angefasst hat, soll er abhauen. Drastische Redeweise scheint zur Bergpredigt zu gehören und ist dabei offensichtlich nicht rundweg wörtlich zu befolgen.

Und so entnehme ich selbst dem heutigen Predigttext keine wörtlichen Anweisungen für mein Verhalten gegenüber Agressoren aller Art. Aber ich nehme sehr wohl den ungeheuren Impuls einer grenzenlosen Liebe Gottes auf, der mein eigenes kleines Feind-Freund-Schema immer nur beschämen wird. Und ich bete darum, dass dieser Impuls noch immer mehr und mehr meinen eigenen Umgang und meine Einstellung zu jeglicher Form von Aggression prägen möge.

Ein hervorragendes Beispiel dafür fand ich im neusten Magazin des Vereins für die Schneller Schulen (S.9), in dem der ägyptisch-stämmige Künstler Tony Rezk schreibt. Im Februar diesen Jahres waren an einem Strand in Libyen 21 koptische Christen von islamistischen Terroristen getötet worden. Dazu schreibt der Künstler: „Einer meiner Freunde war auch sehr wütend und wir sprachen über unseren Hass auf diese Männer, die ein solch feiges Verbrechen begangen hatten. Wir sprachen darüber, wie einfach es für uns ist, sie zu hassen, aber wie sehr das gegen die Lehre Jesu verstoßen würde, der uns lehrte unsere Feinde zu lieben, sie zu segnen und nicht zu verfluchen, und für diejenigen zu beten, die uns verfolgen. Hass ist ein Gift; wenn du ihm einmal erlaubst, in dein Herz zu gelangen, wird es allmählich deine Sinne zerstören, deine Gefühle, deine Menschlichkeit und am Ende wird es die Macht über dein Leben bekommen. Deswegen hat uns der Herr geboten, unsere Feinde zu lieben, um unserer selbst willen, damit wir lernen, rein und heilig zu sein und voller Liebe, wie unser Vater im Himmel.“

 

 



Propst Wolfgang Schmidt
91140 Jerusalem, Israel
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

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