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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2015

Die Welt mit Gottes Augen sehen – seine Zukunft sehen
Predigt zu Matthäus 5:1-12, verfasst von Peter Schuchardt

 

Der Predigttext für den heutigen Reformationstag steht bei Matthäus im 5. Kapitel, die Verse 1-12:
Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Sehen ist einer unserer wichtigsten Sinne.  Wir sehen einander an. Wir erkennen den anderen durch das Sehen. Uns fällt beim Blick auf den anderen auf, ob es ihm gut oder schlecht geht. So sehen wir einander. Und das ist immer mehr als das, was vor Augen ist. Denn mit unserem Herzen sehen wir die Gefühle, die Stimmungen des  anderen. Und so sehen wir auch unsere Welt. Wir nehmen unsere Welt durch das Sehen auf. Dabei sehen wir mit den Augen und mit dem Herzen. Wir sehen unsere Welt. Wir sehen die Gesichter der  Menschen, die um uns sind. Wir sehen die Schönheit von Gottes Schöpfung – und zugleich sehen wir, wo sie bedroht ist und wo sie zerstört wird. Wir sehen unsere Welt und erkennen: es verändert sich so viel. Wir sehen die Gesichter der Menschen, die nun in unser Land kommen nach der Flucht aus ihrem Heimatland. Wir hören mit dem Herzen ihre Geschichten von Leid und Hoffnung.  Menschen, die von einer anderen Religion geprägt sind als wir. Christen aus fremden Ländern, die ihren Glauben anders leben als wir. Was wird werden? Das sehen wir nicht. Denn der Blick in die Zukunft ist uns nicht gegeben. Er ist uns verwehrt. Natürlich machen wir Pläne über das, was kommen wird. Wir planen im Kopf und auch in unserem Herzen unser Leben. Planen die Zeit, die vor uns liegt, wie wir sie ausfüllen wollen. Und doch: Es hängt von so vielen Faktoren ab, wie sich die Zukunft gestaltet – und die allerwenigsten davon  haben wir doch selbst in der Hand. „Es mag vor Nacht  leicht anders werden, als es am frühen Morgen war“, heißt es in einem alten Lied aus unserem Gesangbuch (EG 530). Es ist die Angst, die in uns nagt und fragt: Wie sollen wir das schaffen? Wie sollen wir mit all dem nun zu Recht kommen? Gerät nicht die Welt, wie wir sie kennen, aus den Fugen? Und wenn die Welt so anders ist als wir sie uns wünschen: Bleibt sie dann so, so zerbrochen und fremd? Haben wir in uns die Kraft, eine andere Welt zu sehen, ein Welt, die das Jetzt klar erkennt und zugleich die Hoffnung auf ein besseres Morgen, eine gute Zukunft in sich trägt? Wenn wir ehrlich sind: Nein, das haben wir nicht. Es gibt so viele menschliche Zukunftsvisionen, die entweder eine wunderbare neue Welt zeigen – oder aber eine grausame neue Welt, die von Krieg und Terror beherrscht wird, in der das Böse gesiegt hat. Zwischen diesen beiden Polen werden wir auch dann hin- und hergeworfen, wenn unser eigenes kleines Leben aus den Fugen geraten ist, wenn Armut, Kummer und Sorgen uns quälen.

Ab und zu wagen wir es doch, eine Vision, eine Sicht auf das Morgen zu tun. Wenn eine neue Freundschaft sich entwickelt, wenn zwei Menschen vor den Traualtar treten, wenn wir uns auf unseren Nachwuchs freuen und unser Kind aufwachsen sehen. Ja, und es gelingt sogar immer wieder einmal in der großen Welt der Politik: Mit welcher Freude haben wir vor 25 Jahren die Wiedervereinigung gefeiert! Mit welcher Freude sahen wir, dass in vielen arabischen Staaten ein neuer Wind wehte, wie Veränderungen sich ankündigten. Diese Lebensvisionen sind möglich nur durch die Liebe, durch die Liebe zweier Menschen, durch die Liebe zu einem Land. Nur die Liebe lässt uns es wagen, über das Heute und die drängenden Fragen von Glück und Frieden zu träumen. Während wir uns weiter an der Einheit unseres Landes freuen dürfen, ist in den meisten arabischen Staaten die Stimmung des Aufbruchs längst verflogen. Und wir sehen auch: Es sind nicht die zugewandten Stimmen des Miteinanders, des Dialogs, die die Politik bestimmen. Es ist die Sprache des Terrors, des Hasses und der Gewalt, die sich scheinbar immer mehr durchsetzt. Da mag einem wirklich angst und bange werden! Und immer wieder werden die Bilder der Gewalt gegen die Sehnsucht nach Frieden stehen. Immer wieder wird unser Scheitern gegen den Traum von einem versöhnten Leben stehen. Wer kann uns da  heraushelfen, aus diesem ständigen Gegeneinander von Wirklichkeit und Hoffnung?

Gott sei Dank darf ich heute über die großen Worte predigen, die Jesus Christus, unser Herr, am Anfang seiner Bergpredigt sagt. Auch hier beginnt es mit dem Sehen: Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich. Er sieht das Volk mit den Augen und mit seinem Herzen an. Und darum weiß er, wie es in ihnen, wie es in uns aussieht. Er sieht die Sehnsüchte, die Trauer, die Wunden, die das Leben geschlagen haben. Doch das ist nicht das erste Wort. Das erste Wort ist „selig“. Neunmal beginnt er mit „selig“. Daher haben diese Worte den Namen „die Seligpreisungen“. Selig, ein Wort, das wir kaum mehr in den Mund nehmen. Mit glücklich ist es nur unzureichend übersetzt. Durchdrungen von tiefer Freude und Hoffnung, so kann man wohl sagen. Denn Gott sieht euch.

Jesus lehrt uns hier eine neue Art zu sehen. Er sieht genau, was ist: Die Armut, die Trauer, die Verfolgung und Unterdrückung. Er kann das so genau ansehen, denn er hat ja Gott vor Augen. Er hat den Blick fest auf Gott gerichtet. Das, was jetzt ist, und das, was kommen wird, verbindet er in seinen Worten. Denn sein himmlischer Vater, unser Herrgott baut ja schon längst sein großes Reich bei uns. Seine neue Welt, die unser Leben und diese Welt verändern werden. Mehr noch als die Liebe zwischen  uns Menschen lässt Gott uns mit seiner Liebe voller Hoffnung nach vorne sehen und seine neue Welt, sein Reich erwarten.

Es ist eine Welt, die von Gottes Liebe und Barmherzigkeit, von seinem Trost und seiner Gerechtigkeit durchdrungen sind. Darum öffnet sich der Blick in die Zukunft. Denn Gott ist es ja, der diese Zukunft schafft. Darum kann Jesus die Armut, die Trauer ansprechen, weil er die neue Welt Gottes im Blick hat. Ja, in ihm fängt diese neue Welt Gottes schon bei uns an. In ihm bekommt Gottes Liebe Hand und Fuß. Gott wird aus Liebe ein Mensch, ein Mensch voller Liebe. Und diese Liebe kennt keine Grenze. Er bricht die verkrusteten Strukturen auf. Er lädt die Verstoßenen und Mühseligen an den Tisch unseres Vaters. Er bringt neues Licht in das Dunkel und neues Leben, da wo bisher der Tod herrscht. Er bringt Gerechtigkeit, er tröstet, er ist barmherzig.

Selig seid ihr - das dürfen wir heute wieder hören.  Es mag sein, wir sind traurig, verzweifelt,  werden als Christen belächelt und verfolgt – Gott weiß das. Doch alles das wird nicht so bleiben. Gott hat noch so viel vor mit uns. Diese Welt wird nicht so bleiben – Gottes Liebessaat ist doch schon am Keimen und Aufgehen und Wachsen.  Wenn wir unser Herz für dieses Wort öffnen, dann werden auch unsere Augen aufgehen, und wir werden Spuren von Gottes Liebe in unserem Leben und in dieser Welt sehen. So hat Gottes Wort auch das Herz und dann die Augen von Martin Luther geöffnet. Heute, am Reformationstag, erinnern wir dankbar daran. Ja, die Welt und vor allem auch die Kirche waren verblendet. Sie hatten Gott aus den Augen und damit aus dem Herzen verloren. Machtgeil war die Kirche geworden. Luther hat sie wieder auf den Grund zurückgeführt: Das eine Wort Gottes, Jesus Christus, seine Liebe und Barmherzigkeit. Weil Luther das immer wieder vor Augen hat, kann er auch gegen so große Widerstände beharrlich an Gott und seiner Zusage festhalten. Wir erinnern darum an den 31. Oktober 1517, als Luther seine 95 Thesen veröffentlicht. Aber wir verstehen doch Luther völlig falsch, wenn wir nur ein historisches, ein geschichtliches Ereignis machen. Es will uns doch heute etwas sagen. Und genauso machen wir aus der Bibel ein historisches Geschehen  aus ferner Vergangenheit. Dabei sollen wir doch hören und sehen: die Worte der Bibel wollen doch heute zu uns sprechen. Der 31. Oktober, der Reformationstag ist ein Christusfest. Ein Fest, das wir heute feiern. Ein Fest, das uns heute Mut und Zuversicht geben will.

Selig seid ihr. Heute dürfen wir das wieder hören: Die Worte, die unser Herz und dann unsere Augen öffnen. In unserer Angst und Trauer, in allem, wo wir verfolgt und angefeindet werden, sind wir doch getragen. Denn er, unser Herr, ist bei uns. Und noch mehr: Das, was ist, wird nicht so bleiben. Gott baut schon sein Reich unter uns. Darum dürfen wir das sein: Durchdrungen von tiefer Freude und Hoffnung.

Ja, das stimmt: Die Welt verändert sich. Unser Leben verändert sich. Und oft sehen wir mehr,  was schlecht, was misslungen ist, was sich verkehrt entwickelt. Aber in allem ist es Gottes Liebe, die uns trägt, in allen Veränderungen ist es sein Reich, das schon unter uns wächst. Langsam vielleicht in unseren Augen, aber stetig und unaufhaltsam. Denn Gottes Liebe ist das einzige, das ohne Gewalt herrscht. Aber mit unbeschreiblicher Macht kann sie diese Welt und unser Leben verändern. Sie beginnt in unserem Herzen und wird dann unser ganzes Leben ausfüllen. In diesem Vertrauen wirkt Martin Luther in seiner Zeit, trotz aller Angst und Traurigkeit, die er so oft in sich spürt. Aber er weiß: Das ist nicht das Ende. Gott wird meine Traurigkeit und Angst verwandeln.

Was seht ihr, das fragt uns unser Herr heute. Seht ihr die Welt mit allem, was verkehrt läuft? Das ist gut. Denn euer Blick soll die Wirklichkeit sehen. Aber seht ihr auch darüber hinaus auf Gott und sein Wirken in dieser Welt? Das ist besser. Denn daran seht ihr: Er kommt, ja, er ist schon da, er wirbt mit seiner Geduld um uns, seine Menschen. Jesu Worte haben diese große Kraft. Sie können unseren Blick ändern. Wir sehen die gleichen Dinge nun aus einem anderen Blickwinkel, aus Gottes Blickwinkel. In der Trauer sehen wir den Trost. In der Angst den neuen Mut. In der Verfolgung erkennen wir: Selbst jetzt sind wir von Gott gehalten. Das ist die Sicht von uns Christen. Wir haben die Welt mit all ihrer Brüchigkeit fest im Blick – und wir sehen zugleich voller Zuversicht nach vorn, in die Zukunft. Denn von dort erwarten wir Gott, von ihm erwarten wir alles Gute. So sind wir auf dem Weg zu Gottes Reich, zu seiner neuen Welt, einer Welt, in der dann keine Trauer mehr sein, keine Armut, kein Geschrei und keine Ungerechtigkeit. Wir sind auf dem Weg zu seiner neuen Welt, in der seine Liebe alles durchdringen und erfüllen wird. Auch uns.
Amen



Pastor Peter Schuchardt
25821 Bredstedt
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

Bemerkung:
Lied: Wir haben Gottes Spuren festgestellt


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