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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2015

Predigt zu Matthäus 5:2-10, verfasst von Hilmar Menke

 

Wussten Sie schon, dass heute eigentlich so etwas wie Heiligabend ist? Jedenfalls war das der 31.Oktober 1517 für Martin Luther - das Fest war für ihn der 1. November: Gedenktag der Heiligen oder "Allerheiligen" - an diesem Fest - zu dem wie Weihnachten der Vorabend gehörte - an diesem Fest hat er seine Thesen über Buße und Ablass, Gnade und gute Werke bekannt gemacht
Zweite Überraschung: Auch heute noch steht dies Fest im Kalender unserer Kirche, auch in unserer Kirche werden wir aufgefordert, diesen Tag zu begehen.
Dritte Überraschung: Für beide Gedenktage ist das Evangelium dasselbe, die Seligpreisungen der Bergpredigt - Worte, die ganz im Mittelpunkt der Botschaft Jesu stehen, wichtige und gewichtige Worte - Worte, in denen es um das geht, was Martin Luther bewegte und genauso um "Heilige" ...?

Ich lese  Mt 5, 2-10 (Luther-Text)

Text

Erster Eindruck: Nur zu verständlich, wenn wir manchmal von "komischen Heiligen" sprechen, wenn wir Menschen kennzeichnen wollen, die anders sind und anders leben, als wir es gewohnt sind, die sich Ziele setzen, die fremdartig erscheinen in unserer Welt, und sich an Werten ausrichten, die nicht die Werte unserer Gesellschaft sind:
Wer möchte schon "arm" sein - auch von uns; arm an Geld und an Gut, arm an Geist und arm an Gaben des Geistes?
Wer möchte schon Leid tragen? Ist es nicht auch unser Ziel, Leiden möglichst zu vermeiden, soweit sie uns selbst betreffen zu verdrängen, und fremdes Leiden zu übersehen, zu verdrängen?
Ist Sanftmut wirklich erstrebenswert? Gelten nicht auch in unseren Gemeinden solche Menschen als unentschlossen und schwach, nicht mutig genug und nicht durchsetzungsfähig?
Wer will schon hungern und dürsten - nach Nahrung und Wasser - oder nach Gerechtigkeit? Muss man nicht das alles sich erarbeiten und erwerben, erstreiten und vielleicht gar erkämpfen - und seinen Anspruch darauf durchsetzen gegen jedermann?
Was bringt es einem Menschen, ein "reines Herz" zu haben, arglos zu sein, naiv vielleicht sogar - man wird ja doch nur bitter enttäuscht, ausgenutzt und fallengelassen...
Strebt wirklich jemand danach, verfolgt zu werden? Nicht einmal, wenn es um die Gerechtigkeit geht, sind viele Menschen bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen, viel weniger wirkliche Verfolgung - und wenn es dann noch um die Rechte anderer gehen sollte...?!
Besondere Menschen vielleicht, das ja - Heilige vielleicht sogar in dem Sinne, dass sie anders sind als die große Mehrzahl - (heimlich) bewundert unter Umständen sogar - aber öfter doch belächelt, ja bedauert - komische Heilige eben...
Freilich, einige der Ziele, die Jesus nennt, einige der Werte, die er den Seinen ans Herz legt, die haben doch einen anderen Klang in unseren Ohren, die gelten auch in unserer Welt etwas:
Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Friede!
Menschen, die dafür stehen, werden bewundert - sie sind vielleicht die "Heiligen" unserer Zeit - die Vorbilder immer noch und immer wieder: Gandhi, Mutter Theresa und Prinzessin Diana, Gorbatschow und vielleicht sogar unsere Bundeskanzlerin, die Grenzen öffnete für Menschen, die eigentlich nirgendwo erwünscht waren – so wie die vielen Menschen, die sich engagiert haben in den letzten Wochen und Tagen - sie werden verehrt und geehrt.
Als Mutter Theresa - ich glaube es war 1979 - den Friedensnobelpreis erhielt, da hat sie gesagt: "Damit hat die Welt die Armen anerkannt" - ich fürchte, das ist ein frommer Wunsch geblieben, denn die Armen sind nicht weniger geworden, die "Schere" zwischen den armen und reichen Nationen hat sich weiter geöffnet – und auch die zwischen Armen und Reichen in vielen Ländern, auch bei uns - und das Mitleid hat wenig Konsequenzen, wenn es darum geht, nicht vom Überfluss zu geben, sondern zu teilen, zu verzichten, aufzugeben und zu opfern...
Als Gorbatschow (und andere sicherlich) den Weg frei machten für die Auflösung der Machtblöcke und die Beseitigung der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, da haben viele den Frieden auf Erden nahe gesehen - und dann  standen wir ratlos den Kriegen und Bürgerkriegen gegenüber: im Nahen Osten,  auf dem Balkan vermögen nicht einmal Frieden zu schaffen in unserem Land, in dem Unterkünfte für Asylanten und Flüchtlinge brannten...
Es ist schon nicht einfach, ein Heiliger zu sein in dieser Welt und in unserer Zeit - wie in jeder Zeit des Menschen - es ist schon schwer, die Ziele Jesu als Ziele des eigenen Lebens zu erkennen und die Werte Jesu zur Orientierung anzuerkennen - und noch schwerer ist es, danach zu leben - weil es scheint, als zahle es sich nicht aus, in dieser Welt danach zu handeln und als sei das, was Jesus verspricht - das Reich Gottes mit all seiner Seligkeit, das Him-melreich mit seiner Herrlichkeit so weit, so fern..
Also doch nur etwas für einige wenige vielleicht, die wir dann verehren - ob nun mit der Ehre der Altäre wie bei unseren katholischen Schwestern und Brüdern, oder als Vorbild des Glaubens und des Tuns wie wir es ja auch tun...
Martin Luther hat seine Erkenntnisse hauptsächlich beim Lesen des Briefes des Apostels Paulus an die Römer gewonnen - dort lese ich nach - und dort lese ich die Adresse des Briefes (Römer 1, 7): "An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom;" - und - möglicherweise Überraschung Nummer vier: Damit meint Paulus nicht einige wenige Herausgehobene in der Gemeinde Roms, sondern alle, alle, die zur Gemeinde gehören - und Heilige sind sie nicht, weil sie so gut sind und so gerecht, so glaubensstark und reich an guten Taten, sondern weil sie von Gott geliebt sind und von ihm berufen, weil sie zu ihm gehören - das heißt "heilig" - weil sie zur "Familie Gottes" und zum "Leib Christi" gehören, weil Gott sie geheiligt hat, gerecht gesprochen und gerecht gemacht - zum Glauben geführt und zur Liebe geleitet...
Und so verstehe ich, dass die Seligpreisungen der Bergpredigt ja nun wirklich zuallererst und eigentlich allein Zusagen sind, Zusagen, die Jesus Christus macht: Trost sagt er zu und Sättigung, Barmherzigkeit und Seligkeit, den Himmel und die Erde, Gottes ganze Schöpfung; und er sagt zu, dass sie Gott selbst sehen werden - von Angesicht zu Angesicht...
Und wenn das auch in der Zukunft Gottes sein wird, so gilt doch die Zusage "Selig sind..." auch schon jetzt in der Gegenwart dieser Welt - jetzt schon selig und hier schon heilig - nicht mehr und nicht weniger.
"Komische Heilige", so sagte ich im Blick darauf, dass Menschen, die von Gottes Liebe wissen, versuchen, davon weiterzugeben, zu zeigen in ihrem Leben; als Folge, nicht als Vorleistung - als Antwort, nicht als Anspruch - nicht als Gerechte, sondern als Gerechtgesprochene.
"Kümmerliche Heilige" sicher auch oft im Urteil der anderen und noch öfter im eigenen Urteil - meist keine Helden des Glaubens und keine Heroen der guten Werke - keine Leuchten des Geistes und keine "Sonnen der Gerechtigkeit" - "Wollen habe ich wohl" - schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom - "aber das Gute vollbringen kann ich nicht; denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will".
Aber es hat Gott gefallen, ihn zum Apostel der Heiden zu machen - und uns zu seinen geheiligten und geliebten Kindern.
Und genau da treffen sich die beiden Gedenktage.



Superintendent i.R. Hilmar Menke
21781 Cadenberge
E-Mail: hhfjmenke@aol.com

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