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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2015

Predigt zu Matthäus 4:25-5, 12 (Lutherübersetzung), verfasst von Winfried Klotz

 

4. 25 Und es folgte ihm eine große Menge aus Galiläa, aus den Zehn Städten, aus Jerusalem, aus Judäa und von jenseits des Jordans.

DIE BERGPREDIGT / Die Seligpreisungen

5. 1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm.

2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.

12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

 

Liebe Gemeinde!

Gelingendes Leben sieht anders aus, als es Jesus in den Seligpreisungen beschreibt. Fragen Sie doch mal auf der Straße nach der Meinung der Vorübergehenden: Ist der selig, glücklich, geht es dem gut, der ‚arm ist vor Gott, trauert, keine Gewalt anwendet, wenn ihm Unrecht geschieht, hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, also danach, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt‘? Oder fragen Sie sich selbst, ob sie ‚fröhlich‘ aus einem Minus, einem Defizit, einem Mangel leben können? „ Haste was, dann biste was; haste nix, dann biste nix‘, so sagt man volkstümlich. Jesus aber spricht den Menschen Seligkeit, Glück, Wohlergehen zu, die - so jedenfalls in den ersten vier Seligpreisungen - in einem Mangel leben, während er in den nächsten vier ein Verhalten und Ergehen lobt, dass normalerweise als Schwäche oder unrealistische Forderung betrachtet wird. Die beiden Schlussverse aber zeigen, all das hat mit Jesus zu tun. Wer den Weg der Seligpreisungen geht, geht den Weg Jesu. Und ist in den Augen anderer Menschen ´nicht nur ein ein Dummkopf und Versager, sondern hat auch dafür zu leiden.

Während die großen Kirchen ihre Mitglieder mit Informationskampagnen zu erreichen versuchen, ihr positives gesellschaftliches Engagement betonen, Lebenshilfe in Häppchen anbieten - alles nicht verkehrt - lädt Jesus ein zu einem Leben im Defizit, einem Leben ohne gesellschaftliche Anerkennung, ja zu einem Leben mit Diskriminierung und Verfolgung. Er bietet dafür Gemeinschaft mit ihm und Lohn im Himmel. Wer mag unter diesen Bedingungen Jesus folgen? Bei Jesus, ich habe den letzten Vers aus Kapitel 4 dazu genommen, bei Jesus waren Scharen von Menschen versammelt, nicht nur seine Jünger. Wollte Jesus mit diesen Worten die Spreu vom Weizen trennen, damit ein schlagkräftiger Kader von Jüngerinnen und Jüngern übrigbleibt?

Liebe Gemeinde, Jesu Worte sind nicht auf lieb und freundlich gestimmt, er sucht auch nicht die Zustimmung der Menge, er ist nicht das liebe Jesulein, das uns zu einer besseren Beheimatung im Leben und einem gelingenden Leben hilft. Jesus ist der Sohn und Gesandte Gottes und will, dass auch wir Töchter und Söhne Gottes werden, wie es in der Seligpreisung der Friedensstifter heißt: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Zitat nach Einheitsübersetzung) Jesus ist der, der in allem Gottes Ehre sucht; Gottes Ehre, sein Einfluss, seine Gewichtigkeit werden gerade durch Menschen sichtbar, die von Ihm alles erbitten und erwarten. Jesus ist der, der nicht nur Gottes Regieren ankündigt, sondern durch den es auch geschieht in Hilfe und Heilung für die Kranken und Elenden. Jesus will niemand ausschließen, aber ich kann ihm nicht folgen ohne mich auf ihn und seinen Weg einzulassen.

Welchen Weg zeigt Jesus uns in den Seligpreisungen?

Schauen wir auf unser Bibelwort! Die Seligpreisungen sind ja nicht Weisungen zu stoischer Gleichmut oder unerschrockener Humanität, sondern Versprechen von Zukunft und Hoffnung, die Gott schenken wird. „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“ Oder nach anderer Übersetzung: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Das heißt doch, Zukunft, Hoffnung und Leben wird denen geschenkt, die Gott nichts bieten können, aber von IHM alles erbitten; aus reiner Gnade schenkt er ihnen die Teilhabe am neuen Leben mit ihm. Die Armen vor Gott waren damals auch die, die nach dem Urteil der Schriftgelehrten das Gesetz mit all seinen Feinheiten nicht befolgten, nicht befolgen konnten. Das waren auch die offensichtlichen Sünder, Leute wie Zachäus, Lk 19, die außerhalb der Gemeinschaft des Volkes Gottes standen. Das war die Frau, die Jesus die Füße salbte, Lk. 7, und der er die Vergebung zusprach. Menschen im Defizit voller Sehnsucht nach Gott, die durch Jesus zur Gemeinschaft mit Gott befähigt wurden. Ich will das genauer erklären, auch, weil wir hier das Thema des Gedenktages der Reformation anklingt. Lassen Sie uns also ins 16. Jahrhundert zu Martin Luther schauen.

Mit den 95 Thesen, die Luther wahrscheinlich am 31. 10. 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg anschlug, kritisierte er die Bußpraxis der Kirche seiner Zeit. Auslöser war die Bewerbung von Ablass in der Nachbarschaft Wittenbergs durch den Dominikanermönch Tetzel. Zahle etwas, dann gewährt dir die Kirche Ablass für deine Sünden, oder genauer: die Kirche erlässt dir aus dem Schatz der Verdienste Christi und der Heiligen die von dir zu leistende Wiedergutmachung. Die Strafe für deine Sünden wird dir erlassen, ja, du kannst durch Ablass auch den Aufenthalt Verstorbener im Fegefeuer verkürzen. Nach Luthers Erfahrung führte der Handel mit Ablassbriefen zu einem Verlust an ehrlicher Buße und Umkehr und zu einer falschen Sicherheit. Billige und zugleich teure- mit Geld bezahlte- Gnade.

Luther sagt dazu in den 95 Thesen, ich zitiere:

1. Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.

36. Jeder wahrhaft reumütige Christ erlangt vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld, der ihm auch ohne Ablassbriefe zukommt.

62. Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.

94. Man muss die Christen ermutigen, darauf bedacht zu sein, dass sie ihrem Haupt Christus durch Leiden, Tod und Hölle nachfolgen.

95. Und so dürfen sie darauf vertrauen, eher durch viele Trübsale hindurch in den Himmel einzugehen als durch die Sicherheit eines (falschen) Friedens. (www.ekd.de/glauben/95_thesen.html)

Wie war Luther zur Überzeugung gekommen, dass Gott durchs Evangelium von Jesus aus der Friedlosigkeit gegenüber Gott befreit? Dass das Evangelium der wahre Schatz der Kirche ist, zu dem jeder durch den Glauben Zugang hat?

Luther berichtet davon in der „Vorrede zum ersten Band seiner lateinischen Schriften“, 1545. Er erzählt, wie er sich bei der Auslegung einer Stelle aus dem Römerbrief, Kap. 1, 17, quälte, aber schließlich zum richtigen, befreienden Verständnis fand und schreibt:

 

Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: ‚Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm (im Evangelium) offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. Ich fing an zu begreifen, dass dies der Sinn sei: durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart, nämlich die passive, durch welche uns der barmherzige Gott durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘. Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht.“ [Martin Luther: Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften der Wittenberger Luther-Ausgabe (1545), S. 16. Digitale Bibliothek Band 63: Martin Luther, S. 1083 (vgl. Luther-W Bd. 2, S. 20) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]

 

Soviel als Rückblick auf den Beginn der Reformation im 16. Jahrhundert. Luther hat Befreiung aus seiner Glaubens- und Gewissensnot im Studium der Hl. Schrift gefunden, deshalb wurde ihm die Hl. Schrift, deren Zentrum er im Evangelium von Jesus fand, zur Grundlage für die Kirche, für Glauben und Leben der Christen. Nicht irgendwelche Lehren sind aus der Schrift zu erheben, es geht nicht zuerst um Lebensweisheiten und Regeln, sondern wer Jesus Christus für uns ist. Darin ist die Schrift völlig klar.

Kehren wir zu unserm Abschnitt aus Mt. 5 zurück. Ich umschreibe im Folgenden die Sätze der Seligpreisungen:

 

Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Ich zitiere z. T. nach der prägnanteren Einheitsübersetzung- ich denke im Einverständnis mit Luther, dem es auf die Verständlichkeit des Wortes ankam.) Das habe ich erklärt im Horizont der Reformation, will aber noch etwas hinzufügen: Denen, die arm sind vor Gott und bittend zu ihm kommen, schenkt er seinen Hl. Geist. Er gibt ihnen sozusagen eine Sicherheit dafür, dass sie wirklich zu ihm gehören, Teil haben am Himmelreich.

 

Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.“ Gott wird die Trauernden trösten, die ihre Trauer in seine Ohren seufzen.

Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.“ In Psalm 37, 11 heißt es: „Doch die Armen werden das Land bekommen.“ Wer gesellschaftlich an den Rand gedrängt ist, verzichtet deshalb nicht auf Gewalt. Es muss immer die Frage beantwortet werden, von wem ich mit brennendem Herzen Befreiung erwarte? In vielen Konflikten regieren Gewalt und Gegengewalt; gewaltloser Protest würde die Gewalttäter bloßstellen, aber er ist riskant, nicht nur wegen des Risikos für das eigene Leben. Gott hört das Schreien der Unterdrückte; können wir darauf vertrauen? Taugt unser Wort als Weisung zur Gewaltlosigkeit in einer hochgerüsteten Welt mit vielen gewalttätigen Konflikten? Ich weiß es nicht.

In ähnliche Problematik führt die Seligpreisung: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ Können wir glauben, dass Gott Recht schaffen wird und Gerechtigkeit? Jesus steht dafür ein!

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Es wird hart geurteilt unter Menschen, auch in Kirche und Gemeinde. Aber wenn es schon in dieser Welt nicht ohne Streit und Auseinandersetzungen geht, sollten wir unsere Gegner wenigstens nicht schwarz malen, dämonisieren, sondern ihnen ein paar Farben lassen. Oder anders: wer im Elend steckt braucht meistens Annahme und Hilfe, nicht Verurteilung, selbst wenn er an seinem Elend Schuld ist.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Diesen Vers liebe ich besonders; wenn Gott dem Bittenden die Schuld vergibt und ein großes Aufatmen schenkt, wie wohl tut das! Hier wird Gottes Gnade oft direkt erfahrbar. Da wird in aller irdischen Vorläufigkeit etwas von Gott sichtbar. Denken wir auch an das, was im Jakobusbrief, Kap. 5, 16 steht: „Bekennt einander eure Sünden und betet füreinander.“

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Welch hohe Auszeichnung für Friedensstifter; sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt, denn sie tun Gottes Werk. Friedensstifter sind auch Gewaltlose. Wer sich selbst kennt, weiß, wie sehr er den Frieden Gottes braucht, um Frieden zu halten und Konflikte zu entschärfen.

 

Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Damit ist zuerst Jesu Weg selbst angesprochen; ER ist der, der den Weg der Gerechtigkeit Gottes geht. Er will, dass Menschen, auch die außerhalb der Gemeinde Gottes stehenden, hineinkommen in die Gemeinschaft mit Gott. „Er wird sein Volk retten von ihren Sünden“, Mt, 1, 21. Gott schafft Gerechtigkeit auf seine eigenen Kosten, er rechtfertigt durch Jesus, den er zum Sühnopfer macht, Rö. 3, 25, alle, die auf Jesus ihr Vertrauen setzen. Dieser Weg der Gerechtigkeit stellt alle selbstgemachte Gerechtigkeit in Frage; deshalb werden die verfolgt, die ihn in der Spur von Jesus gehen und öffentlich bekanntmachen. Aber dieser Weg hat, wie in der ersten Seligpreisung, die Verheißung des Himmelreichs.

 

Liebe Gemeinde, die Erneuerung der Kirche im 16. Jahrhundert war im Kern eine Erfahrung der Rechtfertigung des Menschen aus dem Glauben an Christus. Gott macht Menschen gerecht, schenkt ihnen seine Gerechtigkeit, wenn sie ihr Vertrauen auf Jesus Christus setzen. Menschenwerk, selbst wenn es in kirchlich frommem Gewand daherkommt, hat nicht diese Qualität und Kraft. Rechtfertigung, ich umschreibe es mit dem Zuspruch und der Erfahrung tiefer Annahme, ist Gottes Sache allein. Zurzeit hängen bei uns im Odenwald überall Plakate mit dem Bild einer Inderin, genannt Amma- Mutter, die zu einer Veranstaltung mit Vorträgen, Musik und Meditation einladen. Am Ende jeder Veranstaltung können die Besucher sich umarmen lassen. Über 30 Millionen Menschen soll Mata Amritanandamayi schon weltweit umarmt haben. „Amma inspiriert, ermutigt und transformiert Menschen durch ihre körperliche Umarmung, ihre spirituelle Weisheit und ihre karitativen Projekte.“ So auf ihrer Webside. Die Sehnsucht nach Annahme- Rechtfertigung ist groß, es ist die Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit. Wird in unserem Leben als Christen und Gemeinde noch spürbar, dass wir durch Jesus Christus von Gott wirklich angenommen sind. Haben wir auch Frieden miteinander, oder sind bei uns die Streitigkeiten nur gut zugetüncht? Leben wir die Rechtfertigung des Sünders auch für andere? Selig die arm sind vor Gott. Amen





Pfr. i. R. Winfried Klotz
64732 Bad König
E-Mail: winfried.klotz@web.de

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