Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / 23. Sonntag nach Trinitatis, 08.11.2015

„Dein Reich komme!“
Predigt zu Lukas 17:20-24, verfasst von Hans-Otto Gade

 

20 Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann;

21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.

23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!

24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

 

Liebe Gemeinde !

Der VW-Abgas-Betrug hat mich getroffen. Ich fahre ein Auto dieser Firma mit dem von der Abgas-Manipulation vor allem betroffenen 1,6 Liter Dieselmotor. Es sind nicht so sehr die nun erforderlichen technischen Änderungen an der Software und vielleicht auch am Motor selbst, die meine grauen Haare noch grauer werden lassen, sondern ein anderer Umstand berührt mich tief:

Ich habe mir dieses Fahrzeug mit der (angeblichen) Blue Motion Technologie vor allem deswegen gekauft, weil die Abgaswerte nach Werksangabe relativ gering sind und das Fahrzeug wenig Sprit verbraucht.

Weil ich unsere Welt, unsere Umwelt, schonen will. Weil ich in meiner begrenzten kleinen Welt etwas bewirken möchte für eine lebens- und liebenswerte Welt auch für die Zukunft meiner und meiner Frau Kinder und Enkel.

Ich möchte – es sei mir erlaubt das hier einmal so auszudrücken – ich möchte mit meinen Mitteln ein kleines Stück „Himmel auf Erden“ Wirklichkeit werden lassen. Weil ich weiß, dass wir nicht auf das „Gute von oben“ wie auf einen Blitz aus heiterem Himmel warten können und sollen, deswegen haben wir als Ehepaar und Familie immer wieder im Auftrage Jesu Christi einen Reißverschluss in die trübe Gegenwart und Zukunft mancher Menschen eingebaut. Damit sie durch ihre dunklen Wolken auch mal den fröhlichen Himmel Gottes sehen können.

Sorge und Zeit für Alte und Kranke, Sorge und Zeit für fröhliche und traurige Kinder, Sorge und Zeit für die uns anvertrauten Tschernobyl-Kinder in Belarus und in Deutschland, Sorge und Zeit für all diejenigen, die bei uns (Meine Frau war ihr Leben lang bewusst „nur“ Pfarrfrau) angeklopft haben.

Ein 40-jähriges Berufsleben lang und selbstverständlich auch jetzt noch im so genannten Ruhestande.

Wir sind uns sicher, dass wir für viele Menschen ein Stück Himmel auf Erden geschaffen haben. Im Auftrage Jesu Christi. Und viele, sehr viel Menschen haben das mit uns getan. Und viele, unzählige Christen schaffen diesen Himmel auf Erden immer wieder. In Buxtehude, in Deutschland, in der weiten Welt. Überall dort, wo Christen beten: „Dein Reich komme!“ Überall dort, wo Christen hoffen, dass Gottes Reich der Liebe, der Erfüllung, des Friedens eines Tages Wirklichkeit werden wird.

Die Juden zurzeit Jesu hatten allen Grund sehnlichst auf dieses Reich Gottes zu warten und zu hoffen. Als Lukas dieses Gespräch zwischen den frommen, besorgten Juden und Jesus aufgeschrieben hat, war es noch gar nicht so lange her, dass Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht worden war. Der Kaisersohn Titus Caesar Flavius Vespasianus hatte im Jahr 70 mit vier Legionen Jerusalem erobert und dabei ist das Zentrum des jüdischen Glaubens in Flammen aufgegangen: Der Tempel.

Auf diesem Hintergrund des „zerstörten Glaubens“ klingt die Frage der Pharisäer sehr viel eindringlicher: Wann kommt das Reich Gottes? Wann wird Gott uns erlösen aus dem Elend dieser Zeit und dieser Welt? Wann geht es endlich los mit der verheißenen

Zukunft Gottes? Wann wird die Herrschaft der Römer endlich abgelöst durch die Herrschaft Gottes? Wann wird unser Glaubenselend endlich durch die Gegenwart Gottes mit unaussprechlicher Freude weggewischt?

Doch Jesus wehrt ab. Das Reich Gottes ist nicht erkennbar an bestimmten Zeichen, es kann nicht eingegrenzt werden durch bestimmte Merkmale und Anzeichen. Es kommt – doch so überraschend, so ganz anders, als Menschen sich das vorstellen.

Das Reich Gottes kommt. Doch so ganz anders, als wir es uns vorstellen und zu Zeitpunkten, die wir nicht voraussehen können.

 

Die für die Juden damals und wohl auch für uns völlig überraschende Antwort Jesu: Das Reich Gottes kommt nicht erst, sondern es ist schon da. Es ist mitten unter euch.

Meint Jesus mit dieser Antwort seine eigene persönliche Gegenwart bei den Juden in Israel? Ist diese Antwort Jesu eine Aufforderung an die Pharisäer, an die Juden, an ihn, den Mann aus Nazareth, als den verheißenen Messias zu glauben?

Wenn das so stimmt und gemeint ist, was ist dann die Folgerung für uns? Wir haben Jesus heute nicht mehr als lebendigen Menschen mitten unter uns. Wir können nicht mehr, wie die Pharisäer in damals, Jesus direkte Fragen stellen. Aber seine Botschaft der Liebe treibt uns an, das Reich Gottes mit unseren Mitteln ein Stück Wirklichkeit werden zu lassen:

 

Das Reich Gottes ist da, wo du den Menschen neben dir als deinen Nächsten entdeckst, das Reich Gottes ist da, wo du dein Leben, deine Gegenwart und deine Zukunft ganz in Gottes Hände legst. Nicht erst irgendwann, sondern schon heute. Jetzt gleich!

 

Also ist dies unsere Aufgabe als Christen:

Zum einen schon jetzt im Auftrage Jesu Christi ein Stück Himmel auf Erden sichtbar und erlebbar werden zu lassen.

Zum anderen ist es unsere Aufgabe, auf das endgültige Reich Gottes zu warten.

Dieses geduldige Handeln und Warten ist nicht jedermanns Sache. Viele Christen wünschen sich schon jetzt das Reich Gottes auf Erden, und laufen dann den Endzeitpropheten nach, die immer wieder sicher sind und lauthals ein aus ihrer Sicht sicheres Datum für das Ende der Welt und somit für den Anbeginn des Reiches Gottes verkünden.

Die Antwort Jesu ist heute noch genauso wie damals gültig: Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!

Das Reich Gottes kommt. Für jeden von uns ganz persönlich. Jeder Mensch wird einmal dem Reich Gottes begegnen. Spätestens dann, wenn er in seinem sehr persönlichen Tode seinem Schöpfer begegnet. Spätestens dann wird er, wie wir sagen, hineingenommen in Gottes ewiges Reich des Friedens und der Liebe. Ein Datum, das wir nicht kennen, ein Zeitpunkt, der fast sprichwörtlich ist für die Unsicherheit jeder Vorherbestimmung.

In der Epistel des heutigen Tages heißt es: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum: wir leben oder wir sterben – wir gehören dem Herrn. Römerbrief 14, 8

Ein Satz, den ich schon über so etwa eintausend Gräbern gesprochen habe. Ein Satz, der uns gerade angesichts des Todes die ganze Wahrheit der Nähe Gottes im Leben und Sterben so eindringlich unterstreicht. Nur – wissen wir das auch, wollen wir das auch wahr haben?

Anders gefragt: Sind wir vorbereitet, dem Reich Gottes ganz persönlich am Ende unserer Zeit oder all umfassend am Ende aller Zeiten zu begegnen?

Oder schieben wir die Erwartung des Reiches Gottes nicht doch insgeheim hinaus? So lautet die Bitte des Vater Unsers stillschweigend manchmal: „Dein Reich komme“ – aber bitte nicht so bald! Denn wir wollen noch viel erleben, wir wollen noch so viel gestalten in unserem Leben, in unserer Zeit.

Das ist ja nicht verkehrt, wenn, ja wenn dieses Erleben und Gestalten immer unter dem Vorzeichen der Erwartung des Reiches Gottes geschieht. Wenn wir in unserem Leben durch unser vor Gott verantwortliches Handeln und Denken und Gestalten immer die Nähe des Reiches Gottes einrechnen.

Wir verwirklichen in und mit unserem Leben immer auch ein Stück des Reiches Gottes, des Himmels auf Erden für andere – und für uns selbst.

Wir warten auf das endgültige Reich Gottes mit der Gewissheit des Glaubens, mit der Sicherheit des Vertrauens auf die Gegenwart Gottes in unserer Zeit und auch danach.

Denn Jesus Christus hat mit seinem Kreuz und mit seinem Sieg über den Tod uns allen das sicherste Zeichen des nahen und fernen Reiches Gottes gegeben.

Darauf vertrauen wir, daraus leben und handeln wir. Amen

 



Pastor i.R. Hans-Otto Gade
21614 Buxtehude
E-Mail: Hans-otto.gade@ewetel.net

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