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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / 23. Sonntag nach Trinitatis, 08.11.2015

Predigt zu Lukas 17:20-24, verfasst von Suse Günther

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Lukas 17,20-24

Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? Antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten kann, man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es oder da ist es. Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Er aber sprach zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohnes und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden sagen zu euch: Siehe da! Oder siehe hier (ist es)! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach. Denn wie der Blitz aufleuchtet von einem Ende des Himmels bis zum anderen, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Gott, segne unser Reden und unser Verstehen durch Deinen heiligen Geist. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Eine Situation, wie wir sie aus vielen Jesus-Filmen kennen, ein Bild, das wir uns vorstellen können: Jesus einmal mehr umlagert von Menschen, die es wissen wollen. Die Fragen an ihn haben und nach Antworten suchen. Die Pharisäer, die religiösen Oberen der Juden, haben durchaus auch ihre Fragen. Auch sie sind nicht immer nur die, die Jesus auf die Probe stellen wollen, auch sie wollen es wissen. Die Frage nach dem Reich Gottes ist ihnen wichtig. Sie haben erlebt, wie die Römer die Macht im Land übernommen haben. Was wird nun aus Gottes Reich, das sie erhoffen und erwarten?

„Es ist bereits mitten unter Euch“ – so antwortet Jesus. Was soll man mit so einer Antwort anfangen, die aller Realität zu widersprechen scheint?

In einem Lied unserer Tage heißt es:

Weißt du, wo der Himmel ist, außen oder innen?
Eine Hand breit rechts und links, du bist mittendrinnen.

Weißt du, wo der Himmel ist, nicht so hoch da oben.
Sag doch ja zu dir und mir, du bist aufgehoben.

Weißt du, wo der Himmel ist, nicht so tief verborgen.
Einen Schritt aus dir heraus, aus dem Haus der Sorgen.

Das Reich Gottes ist mitten unter uns?

Wir möchten all die schweren Erfahrungen dieser Welt dagegen halten. Wo, Jesus, ist beispielsweise das Reich Gottes, wenn einem Menschen eine schwere Diagnose zugemutet werden muss?

Ich will eine Antwort auf diese Frage mit einem Bild versuchen.

Das Bild vom Theater, in dem eine dunkle Kulisse durchaus den Blick auf den weiten, manchmal lichtdurchfluteten Hintergrund verstellen kann. Ein Vorhang ist vorgeschoben, an manchen Stellen kann man aber ahnen, was sich dahinter verbirgt, etwa wenn man an einem Spalt in der Kulisse das Licht durchscheinen sieht.

Es gibt beide Wirklichkeiten. Das Reich Gottes ist nicht hoch oben, sondern unter uns, wenn wir einander annehmen.

Das Reich Gottes ist nicht tief verborgen, sondern unter uns, wenn wir einmal die ständigen Sorgen, die uns zermürben, hinter uns lassen.

Die Pharisäer bemühen sich. Sie wollen mit ihrem Leben Gottes Reich vorbereiten.

Wir Menschen bemühen uns. Wir möchten uns einsetzen, füreinander. Wir möchten die dunkle Kulisse ein wenig zur Seite schieben.

Und immer wieder kommt es dann zu Erfahrungen, die uns an unsrem Glauben scheitern lassen. Ob das Bestechungsgelder im Sport sind oder Betrug bei den Abgaswerten, ob das die große Politik ist, die trotz aller Anstrengung keine Einigung erzielen kann oder ob es die kleinen selbsternannten Politikmacher der rechten Szene sind, die andere verunglimpfen.

Ob es die Art ist, wie seit Monaten in der Öffentlichkeit mit unserem Krankenhaus umgegangen wird – viele Kulissen haben sich vorgeschoben. 

Und dann Jesu Antwort: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Weiß er, wovon er da redet? Kennt er unsere Situation wirklich? Kennt er die Situation der Zuhörer, die sich täglich mit dem römischen Reich konfrontiert sehen?

Mir persönlich hilft in solchen Situationen die Erinnerung daran, dass ich durchaus weiß, dass es hinter der Theaterkulisse noch etwas anderes gibt. Ich weiß es, weil ich es erlebt habe. Ich habe das Licht gesehen, auch wenn jetzt gerade in einem überzeugend gegebenen Stück alles ganz anders aussieht. In diesem überzeugend gegebenen Stück muss ich mich ganz bewusst daran erinnern: Ich habe es erlebt, meine Welt ist eine andere. Daran halte ich fest. Dafür schärfe ich meinen Blick gerade jetzt, damit ich in aller Endlichkeit und Schwierigkeit dieser Welt die Ewigkeit und Fröhlichkeit von Gottes Welt aufleuchten sehen kann.

Wir können es leugnen und sagen: Nein, in meiner Welt gibt es nur diese dunkle Kulisse. Wir können aber auch daran festhalten, dass wir einmal ein Licht in dieser Dunkelheit haben aufblitzen sehen.

Es wird niemanden geben, der diese Erfahrung nicht einmal gemacht hätte: DA ist mir etwas ganz besonders passiert, da bin ich geführt worden, geschützt worden, das ist kein Zufall gewesen.

Wenn wir dieser Erfahrung trauen, wenn wir den Kontakt zu Gott, der uns diese Erfahrung hat zuteilwerden lassen, suchen, dann werden wir Zeichen des Reiches Gottes unter uns entdecken können.

Der heutige Tag, der neunte November, ist ein geschichtsträchtiger Tag für unser Land.

Am 9.11. 1918 galt der erste Weltkrieg als offiziell beendet, Philipp Scheidemann rief an diesem Tag die erste deutsche Republik aus. Am 9.11. 1923 scheiterte Adolf Hitlers Putschversuch in München, zum ersten Mal machten die Nationalsozialisten von sich reden, dieses Mal noch vergeblich. Am 9.11.1938 fand die Reichpogromnacht statt, in der jüdische Geschäfte und Gotteshäuser, auch die Zweibrücker Synagoge, in Schutt und Asche gelegt wurden. Am 9.11. 1990 wurde die Berliner Mauer geöffnet und damit offiziell das Ende der DDR besiegelt.

Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr aber kommt. In nur 82 Jahren das Ende des Kaiserreiches, das Ende des Naziregimes, das Ende des kommunistischen Deutschlands. Große politische Ideen, die von ihren Führern auf alle Ewigkeit hin angelegt waren und dann zusammenbrachen, womit kaum einer gerechnet hatte, am wenigsten die, die darunter zu leiden hatten.

Vom römischen Reich redet heute keiner mehr.

Dunkle Kulissen, vor das Reich Gottes geschoben. Jesus warnt davor: „Sie werden zu Euch sagen: Sie, hier ist das Reich Gottes, sieh, da ist es. Lauft denen nicht nach, die so etwas sagen“.

Lauft denen nicht nach, die von sich behaupten, ein göttliches Reich aufrichten zu können. Gottes Reich ist bereits angebrochen. Sein Sohn steht den Menschen Rede und Antwort, gibt sich zu erkennen, handelt.

Er tut das, ohne für sich Macht zu beanspruchen. Ein Licht leuchtet auf in den dunklen Kulissen dieser Welt. Bei seinem Tod ist der Vorhang im Tempel zerrissen. Wenn er wiederkommt, wird sein Licht leuchten von einem Ende des Himmels bis zum anderen.

Und bis es soweit ist?

Bis es soweit ist halten wir uns an Menschen, die für uns das Reich Gottes Wirklichkeit werden lassen. Menschen, die uns glaubwürdig erscheinen. Einfache Menschen, die sehr oft gar nicht von sich reden machen, die aufrecht füreinander einstehen und auf diese Weise zu Gottes Boten werden füreinander. Menschen, die uns den Vorhang ein wenig zur Seite ziehen und auf diese Weise daran erinnern: Es gibt mehr als das, was Du jetzt siehst: Es gibt das Licht dahinter. Menschen, die uns in unserem Alltag begegnen und uns geprägt haben. Oder Menschen die dafür berühmt geworden sind, wie Martin von Tour, dessen Gedenktag in der nächsten Woche Millionen von Kindern mit ihren Lichtern begehen: Kinder, die auf diese Weise selbst wieder Licht in die Welt bringen.

Es kommt nicht in erster Linie darauf an, ob meine persönliche Geschichte möglichst lange andauert und möglichst siegreich verläuft. Es kommt darauf an, ob ich auf meinem Weg Mensch werde.

Mensch werde in Freuden und Schmerzen, in Lieben und Leiden, voller Hoffnung und voller Angst,   einmal stark, ein anderes Mal schwach, einmal handelnd, ein anders Mal gezwungen, mich behandeln zu lassen.

Es kommt darauf an, ob ich Mensch werde in bedrohlichster Krankheit oder bei bester Gesundheit, in Jubel und Niedergeschlagenheit, im Leben und Sterben.

Wenn es uns gelingt, trotz aller Grenzen, die uns auferlegt sind, Mensch zu werden, dann kann Gottes Reich unter uns aufleuchten. Wir können uns auf diesem Weg gegenseitig stärken und helfen. Und wir können dem Wirken Gottes in unserem Leben immer stärker trauen. Wir können ihm unser oft so eingeschränktes und bruchstückhaftes Leben in die Hand legen, jeden Tag aufs Neue. Wir können erleben, wie vieles sich weitet und löst und wie das Reich Gottes unter uns Raum gewinnt.

Manchmal wird der Blick freigegeben für das, was uns nach unserem Leben hier endgültig erwartet: Unsere Heimat bei Gott. Bei Jesu Tod ist der Vorhang zerrissen. AMEN

 



Pfarrerin Suse Günther
Zweibrücken
E-Mail: suse.guenther@web.de

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