Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / 23. Sonntag nach Trinitatis, 08.11.2015

Mitten unter euch
Predigt zu Lukas 17:20-24, verfasst von Sven Keppler

 

I. „Der König befiehlt: Alle hüpfen auf einem Bein!“ Und schon hüpfen 10 Kinder auf einem Bein. „Alle strecken die Zunge heraus!“ Aber keine Zunge ist zu sehen. „Der König befiehlt: Alle strecken die Zunge raus!“ Sofort kommen zehn kleine Zungen hervor.

Liebe Gemeinde! Vor gut zwei Jahren haben wir mit Konfi 3 begonnen. Das erste Konfi-Jahr findet nun während des 3. Schuljahres statt. Und bei den acht- oder neunjährigen Kindern gehört es natürlich dazu, regelmäßig in den Kleingruppen zu spielen. „Der König befiehlt:“ ist dabei sehr beliebt.

Abwechselnd dürfen einzelne Kinder der König sein. Als König dürfen sie Befehle erteilen, die alle ausführen müssen – aber nur dann, wenn vorher gesagt wurde: „Der König befiehlt:“. Ohne diese Einleitung ist der Befehl unwirksam. Wer dann dennoch die Zunge herausstreckt oder in der Nase bohrt, scheidet aus.

Neulich kam ein Junge dazu, der eigentlich nicht zur Gruppe gehörte. Er fragte, ob er mitspielen dürfe. Ein Mädchen sagte: „Aber nur, wenn Du Dich an unsere Regeln hältst.“ Nachher, als ich mit dem Mächen alleine war, fragte ich es, warum ihm das so wichtig war.

Sie erzählte: „Ich kenne den. Der will immer nur bestimmen. Ich dachte, wenn er dabei ist, will er der einzige König sein. Und der erwartet bestimmt sogar, dass wir immer tun, was er sagt. Auch wenn er vergessen hat, ‚Der König befiehlt:‘ zu sagen.“

 

II. Liebe Gemeinde, das hat mich an die gegenwärtige Lage in Deutschland erinnert. Die Gesellschaft lebt seit Jahrzehnten nach den Regeln, für die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden haben. Demokratisch. Gleichberechtigt. Und tolerant.

Seit Monaten wächst nun die Angst, dass diese Errungenschaften in Gefahr sind. Durch Fremde, die in unser Land kommen. Und die aus ihrer Heimat andere Spielregeln gewohnt sind. Sind vielleicht sogar Fanatiker dabei, die einen Gottesstaat errichten wollen? Wie die Terroristen des so genannten ‚Islamischen Staates‘ oder von Al Qaida, wie Salafisten oder Taliban?

Ein solcher Gottesstaat ist das genaue Gegenteil unserer freiheitlichen Ordnung. Es gelten nicht die Regeln, auf die sich die Gesellschaft mehrheitlich einigt. Sondern die Gesetze einer einzelnen Religion. Es wird nicht der Ausgleich zwischen unterschiedlichen Gruppen gesucht. Sondern die tonangebende Gruppe setzt ihr Rechtsverständnis durch.

Das Recht ist im Gottesstaat nicht in erster Linie dazu da, Freiräume für die Verwirklichung individueller Lebenskonzepte zu schaffen. Sondern um einen angeblichen Gotteswillen durchzusetzen, der vor bald eineinhalb Jahrtausenden wörtlich offenbart worden sein soll. Und der in den folgenden Jahrhunderten theologisch verbindlich entfaltet wurde.

Was die Konfirmandin zu dem neuen Mitspieler sagte, erwarten wir auch von den Flüchtlingen, die in Deutschland ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen: „Ja, Du darfst gerne dazukommen. Aber nur, wenn Du Dich an die Regeln hältst, die bei uns gelten.“

 

III. Die Idee eines Gottesstaates ist dem Christentum allerdings nicht ganz fremd. Denken Sie zum Beispiel an die Inquisition im Mittelalter. Der sich als christlich verstehende Staat setzte damals die Urteile um, die von kirchlicher Seite gesprochen wurden. Denken Sie an die geistlichen Herrschaften in Fürstbistümern und im römischen Kirchenstaat. Oder denken Sie an das evangelische Täuferreich in Münster.

Dahinter steht durchweg ein beeindruckender Anspruch: Gottes Wille soll nicht nur in schönen Predigten vorkommen. Sondern er soll auch das Miteinander der Menschen bestimmen. Oder von der anderen Seite betrachtet: Die Regeln unseres Zusammenlebens sollen nicht auf willkürlichen Beschlüssen aufbauen. Sondern auf Gottes Willen. Ob es sich dabei tatsächlich um Gottes Willen handelt, steht auf einem anderen Blatt. Oft genug wurde Allzumenschliches in den Mantel des Göttlichen gekleidet und mit einem angemaßten Glanz umgeben.

Der Anspruch war jedoch zunächst einmal ehrenhaft: Das mit Christus angebrochene Gottesreich sollte eine starke Gestalt gewinnen. Das Reich Gottes sollte nicht nur etwas Innerliches sein, eine private Frömmigkeit. Sondern es sollte auch die äußeren Lebensverhältnisse des Menschen bestimmen. Das Reich Gottes – sichtbar und in Kraft. Unwiderstehlich und machtvoll sollte es erblühen, indem die kirchliche und die weltliche Gewalt Hand in Hand arbeiteten. Gottesstaaten können auch solch eine idealistische Seite haben.

 

IV. Die spannende Frage ist bloß: Kann man sich dabei auf Jesus berufen? Entspricht es dem Neuen Testament, so etwas wie einen Gottesstaat aufbauen zu wollen? Ist ein Gottesstaat die Verwirklichung des Reiches Gottes, das Jesus verkündigt hat?

Befragen wir dazu unseren heutigen Predigttext. Er steht im Evangelium nach Lukas, im 17. Kapitel. [lesen: Lk 17,20-24]

Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Eindeutiger geht es kaum, liebe Gemeinde. Jesus warnt mit Nachdruck davor, das Reich Gottes mit einer sichtbaren Größe gleichzusetzen. Er warnt sogar vor denen, die so etwas für sich beanspruchen. Sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!

Das Reich Gottes ist kein Staat. Keine rechtlich verfasste Institution, die beständig unser Zusammenleben regelt. Sondern etwas, das plötzlich aufblitzen kann und dann auch wieder unsichtbar bleibt: wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern.

Von Jesus her lässt sich also schnell und eindeutig sagen: Das Reich Gottes ist kein Gottesstaat. Und ein Gottesstaat entspricht nicht dem, was Jesus angesagt hat.

 

V. Aber was hat es stattdessen mit diesem Reich Gottes auf sich? Es stand ja im Mittelpunkt von dem, was Jesus zu sagen hatte. In zahlreichen Gleichnissen hat er das Reich Gottes zur Sprache gebracht. Oder die ‚Königsherrschaft Gottes‘, denn so kann man die Worte von Jesus auch übersetzen.

Ich glaube, ein Schlüsselsatz steht in unserem Predigttext: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Anderswo heißt es: Das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen. Nahe, mitten unter uns. Was meinte Jesus damit? Wenn wir dafür ein Gespür bekommen, dann sind wir ganz nahe an dem, was Jesus verkündigt hat.

Weiter vorne in seinem Evangelium berichtet Lukas, dass die Jünger von Johannes dem Täufer zu Jesus kamen. Sie fragten ihn: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht und verkündet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht ärgert an mir.

Hier können wir sehen, was es heißt, dass das Reich Gottes mitten unter uns ist: Wo Jesus ist, da ist das Reich Gottes. Da leuchtet es auf wie ein Blitz. Menschen können Gottes heilsame Nähe spüren. Sie können Veränderungen erfahren. Befreiungen.

Entscheidend ist die Beziehung zu Jesus. Wer sich an ihm nicht ärgert, der wird selig. Das heißt: Der hat Teil an den Veränderungen, die Jesus bringt. Dem gehen die Ohren auf und die Augen über. Der sieht, wie arm er eigentlich ist – und kann das als Reichtum verstehen. Jesus ist Gottes Reich in Person – so hat das die Theologie genannt. Wer ein Verhältnis zu Jesus gewinnt, der hat auch eine Beziehung zu Gottes Reich.

 

VI. Es ist wie bei dem Spiel der Konfi-3-Kinder: „Der König befiehlt:“ Ein und dieselbe Aufforderung kann verbindlich sein oder völlig wirkungslos. Je nachdem, ob sie eine Beziehung zum König hat oder nicht. So gerät auch das Leben eines Menschen in ein anderes Licht – je nachdem, ob es auf Jesus bezogen ist oder nicht.

Das Reich Gottes kann auch mitten unter uns sein. Aber eben nicht in der Form eines Gottesstaates. Das Reich Gottes braucht keinen Wächterrat und keine Gotteskrieger. Keine Inquisition. Sondern es wurzelt in einer lebendigen, liebevollen Beziehung zu Gott. Und zu Jesus Christus, der uns diese Beziehung vermittelt.

Wenn wir beten, stehen wir mitten in dieser Beziehung. Wenn wir unser Leben ansehen und es vor Gott bedenken. Wenn wir Gottesdienst feiern und dabei auf Gottes Gegenwart vertrauen. Auch wenn wir anderen Menschen zur Seite stehen und damit Jesu Vorbild folgen.

Der König befiehlt:“ bekommt so einen ganz anderen Klang. Wenn unser König befiehlt, sind es keine grausamen Anordnungen. Wenn unser König befiehlt, löst er damit keine Angst aus. Sondern er eröffnet uns neue Lebensmöglichkeiten. Unser König befiehlt auf einladende Weise.

Jeder tritt dabei in eine ganz eigene, unverwechselbare Beziehung zu Gott. Jede Lebensgeschichte mit Gott hat einen ganz persönlichen Charakter. Deshalb entsprechen Vielfalt und Freiheit unserem christlichen Glauben. Und deshalb dürfen wir Christen uns unserem freiheitlichen, demokratischen Staat verpflichtet fühlen. Deshalb sollten wir für ihn eintreten, wenn er im Namen welchen Gottes auch immer in Frage gestellt wird. Amen.

 



Pfarrer, Dr. Sven Keppler
33775 Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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