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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / 23. Sonntag nach Trinitatis, 08.11.2015

Predigt zu Lukas 17:20-24, verfasst von Th.-M. Robscheit

 

Im Namen des Vaters, des Sohnes & des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde,

wie ging es Ihnen bei Hören des Predigttextes?

Haben Sie überhaupt zugehört? Ich meine: richtig zugehört oder ist das alles nur so vorbeigerauscht? Könnten Sie mir zusammenfassen, was das gelesen worden ist?

Es geht und Menschen oft so, wenn uns ein Text oder eine Geschichte bekannt vorkommen, dass wir nicht mehr richtig zuhören & in unserem Kopf nur ein paar oberflächliche Phrasen herum wabern. Die könnten wir dann auch wiedergeben. Notfalls sogar im Halbschlaf. So ging es mir (& den meisten meiner Mitschüler) jeden Samstag 6:50 bis 7:35, wenn wir Stabü (Anm.: Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR) hatten.

Falls es Ihnen so beim Hören des Evangeliums ergangen sein sollte, hier noch einmal der Text aus dem Lukasevangelium:

 

Lukas 17,20-24

 

Liebe Gemeinde, dieser Text hat mich nicht an den Stabü-Unterricht erinnert, weil er langweilig ist oder ich bei der Predigtvorbereitung übermüdet gewesen wäre. Nein, die Erinnerung hat wohl eher mit dem Inhalt zu tun. Mein damaliger Lehrer würde wahrscheinlich noch jetzt hektische Flecken bekommen, wenn er wüsste, dass sein Unterricht beim Bibellesen assoziiert wird!

Wann kommt das Reich Gottes?“, wird Jesus gefragt.

Wann kommt der Kommunismus?“, haben wir Schüler spitzfindig gefragt, angesichts des realen Sozialismus der mittleren 80-er Jahre mit seinen unverkennbaren Defiziten. Uns war ja erklärt worden, dass der Sozialismus nur eine Vorstufe, ein Zwischenschritt der Geschichte sei, dem dann wie ein Naturgesetz der Kommunismus folgen würde.

Jesus antwortet: „Das Reich Gottes hat schon angefangen, es ist mitten unter Euch!“

Unser Lehrer hat nicht geantwortet: „Der Kommunismus hat schon angefangen, er ist mitten unter Euch!“; sondern er hat was erzählt von der Zeit, die noch nicht reif sei & dass dann irgendwann Kommunismus wäre, alle Menschen nach ihren Bedürfnissen leben würden (wobei uns Schülern sofort klar war, dass dann keiner Sonnabend früh um sieben in der Schule säße) und alles allen gehören würde und es deswegen z. B. auch keine Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft usw. geben würde. Ich kann mir nicht denken, dass auch nur einer meiner Mitschüler das für real gehalten hat; ob der Lehrer selber geglaubt hat, was er uns erzählte? Die Illusion einer guten & gerechten Welt mit besseren Menschen?

Das von unserem Stabülehrer so oft lächerlich gemachte und als Oma-Unsinn abgeurteilte Christentum ist da doch um einiges realitätsnaher als sein kommunistisches Weltbild: Wir phantasieren keinen neuen, besseren Menschen herbei, mit dem dann alles besser wird. „Das Menschen Herz ist böse von Jugend auf.“, so Gottes Resümee nach der Sintflut.

Und Jesus? Das Reich Gottes? Hier schon und jetzt? Ist das nicht ebenso utopisch wie der Kommunismus? Eine Vision?

Ja, damit haben Sie recht! Eine Vision, aber keine Illusion! Das Reich Gottes fängt an, klein und unscheinbar. Es wird nicht vom Himmel fallen und plötzlich bricht auf dieser Erde das Paradies aus. Jesus ist Visionär, aber er ist auch Realist. Der Mensch wird immer auch Fehler machen, wird immer auch egoistisch, ängstlich, wankelmütig sein. Aber er kann auch immer gut, nächstenliebend und stark sein!

Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man´s beobachten kann; es hat schon angefangen.

Wie soll das Reich Gottes denn sein?

Im Reich Gottes soll es gerecht sein. Wir erleben auf dieser Erde auch Gerechtigkeit. Es gibt tausende Menschen, die mehr zahlen, wenn dadurch andere nicht übervorteilt werden!

Im Reich Gottes ist Barmherzigkeit selbstverständlich. Auch das erleben wir! Hungernde, denen Essen geschenkt wird; Fremde, denen nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.

Im Reich Gottes ist der Mensch Gottes Ebenbild und hat seine Würde. Auch das erleben wir, es ist sogar Anspruch unserer Gesetzgebung.

Aber.

Aber, das alles vermissen wir auch tagtäglich, erleiden die Defizite menschlichen Denkens, Fühlens & Handelns. Wir Menschen sind hin und her geworfen, verfallen immer wieder in Trägheit. Manchmal hat man den deprimierenden Eindruck, dass man wie wild rudert und doch nur auf der Stelle bleibt. So als würde man gegen die Strömung eines Flusses ankämpfen. Nichts wird besser, trotz der vielen Bemühungen, trotz der Mitmenschlichkeit, trotz des guten Willens!

Und dennoch gibt es das Reich Gottes schon unter uns. Es gibt Veränderungen, auch zum Besseren, ja zum Guten. Denken wir an die Menschenrechte. Welche gewaltigen Veränderungen hat es da seit Jesu Forderung gegeben! Das alles ist doch nicht von alleine passiert! Es gab Menschen, unzählige, die diese christliche Vision vom anbrechenden Reich Gottes gelebt und getragen haben! Das hat die Welt verändert! Oft langsam, aber stetig. In einem Punkt hatte unser Stabü-Lehrer nämlich recht: erst ändert sich die Quantität, dann gibt es irgendwann eine neue Qualität. Erst sind immer mehr gegen das Unrecht und den Wahlbetrug in der DDR zu den Friedensgebeten gegangen, die es schon viele Jahre gab. Und irgendwann hatte sich politische Situation völlig verändert.

Das Reich Gottes bricht seit 2000 Jahren an. Oft ist es kaum zu erkennen, aber überall dort, wo Menschen im Vertrauen auf Gottes Geist diesen Glauben leben, wächst es. „Das Reich Gottes hat schon angefangen, es ist mitten unter Euch!“ dieser Satz Jesu ist keine leere Phrase, die wir im religiösen Halbschlaf runterleiern können, sondern Trost und Aufforderung zugleich: Das Reich Gottes ist schon da. Und auch durch unser Glauben und Handeln wird es weiter wachsen.

 

Und der Friede Gottes, der größer ist als alle menschliche Vorstellungskraft, bewahre unsere herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

 

 



Pfarrer Th.-M. Robscheit
Apolda & Kapellendorf
E-Mail: thm@robscheit.de

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