Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag), 15.11.2015

Predigt zu Matthäus 9:18-26 (Hes. 37,1-4) dän. Perikopenordn., verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

 

Gott ist ein Gott, der Leben schafft, wo kein Leben ist, der alles neu macht fort, wo alles hoffnungslos ist. Das ist so groß, so stark, dass wir nicht wissen, ob wir es wagen, uns darauf einzulassen; wir wissen in der Tat nicht, ob wir das wollen.

„Meine Tochter ist soeben gestorben!“ Eine furchtbare Aussage. Wir können es uns durchaus vor Augen stellen, aber wir wollen es nicht. Wer von uns kann sich vorstellen, wie es weitergeht? Dass der Vater des Kindes, der Synagogenvorsteher, danach nicht stumm wird, weil über den Tod nichts mehr zu sagen ist als dies, dass er eingetreten ist. Aber er fährt fort! Aber …, ja eben ein „Aber“, ein kleines Wort, das wir dort verwenden, wo alles sich wendet und anders wird.

„Aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig!“ So wenig isdt nötig – ein Zeichen der Liebe, eine Berührung.

„Könnte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund“, denkt die blutende Frau. Also nur eine Berührung von außen, am Kleid, ist genug. Eine Kleinigkeit mit großer Bedeutung, ein Zeichen der Liebe, eine Berührung, der Saum eines Kleides. Groß ist die Kraft der Liebe, und im Kleinen erkennen wir die hier von dem Geliebten, wenn wir merken, wir gut uns die Berührung tut, und wenn wir daran denken, wie wir zuweilen Kleider teilen können, abwechselnd mit dieselbe Jacke oder demselben Pullover tragen können, und wie gut uns das tut.

Aber das wissen wir sehr wohl: Von bis zum Glauben an ein Wunder nur durch Berührung ist ein weiter Weg. Die toten vertrockneten Knochen im Tal, die durch dem Lebensgeist Gottes rasseln, sich sammeln, mit Sehnen, Fleisch und Haut  überzogen werden und sich schließlich wie ein Heer erheben – das ist wie ein schlechter Halloweenfilm. Zombies, lebendige Tote, Menschen, die sich aus der Vergangenheit erheben, ohne eine Gegenwart oder Zukunft zu haben? Nein danke!

Wenn wir die Wahl hätten, wäre ich wirklich im Zweifel. Stelle dir vor, du sitzt an einem Sterbebett und du hast gerade einen Menschen verloren.  Da würdest du vielleicht doch Ja danke sagen zu dieser Möglichkeit, dass der Tote wieder leben dig wird, auch wenn du sicher darauf bestehen würdest, dass der betreffende dann auch gesund würde. Zunächst ist es ja die Krankheit unserer Lieben und ihr Leiden, die dein und unserer Feind sind. Dann aber sind es der Verlust und die Vergänglichkeit, die unsere Feinde sind, wenn wir das Leben ohne unsere Toten weiterleben müssen und alles wieder neu aufbauen müssen.

Stell dir nun vor, du stehst an einem Grabe, Jahre danach. Du spürst noch immer den Verlust, die liebe, den Schmerz, nie mehr zu sehen, zu hören, nahe zu sein. Du kannst sehr wohl in er Erinnerung dir den lebedigen Menschen zurückrufen, aber der Mensch hat keinen Platz mehr in deiner Gegenwart, in deiner Zukunft. Das heit ja, jemanden zu verlieren. Würdest du nun ja danke sagen, wenn Gott käme und rufen würde? Seinen Lebensgeist in die toten Gebeine blasen würde?

Vielleicht … Ich weiß es nicht, ich bin wirklich im Zweifel. Und im Angesicht des eigentlichen „Punkt des Wunders“, wie man es nennen kann, ist mit auch schmerzhaft deutlich, wie klein mein Glaube ist. Gar nicht zu vergleichen mit dem des Synagogenvorstehers oder dem felsenfesten Vertrauen der blutflüssigen Frau zu Jesus. Ich kann nicht eine Madonna-Statue küssen oder ein besonderes Kruzifix und zu meinen Kranken zurückkehren im Vertrauen darauf, dass das Wunder geschehen ist und dass ich sie gesund weiderfinde oder auf dem Wege der Besserung. Großer Respekt vor dem, denn ich bin überzeugt, dass es geschieht – auch in dieser Form. Wunder sind möglich, es gibt wahrlich Glauben, der den Menschen so stark berührt, dass sich alles verändert –daran zweifle ich nicht.

Aber mein Glaube ist ein anderer; vielleicht ist dein Glaube von einer dritten Art, und nur wenn wir darüber reden, können wir gemeinsam klüger, stärker liebender und weiser werden. So wage ich den Versuch, meinen Glauben in Worte zu fassen, von meinem Vertrauen auf Jesus als dem Sohn Gottes zu reden, dem Herrn über Leben und Tod – auch mein Leben meinen Tod. Ich glaube daran, dass Gott die Toten auferwecken kann, ich glaube an die Auferstehung von den Toten und das ewige Leben. Aber oft klingt das dann wie eine Trostprämie oder die Lösung einer unmöglichen Gleichung – und so kommt es leicht zu noch einem großen Stein in der schmerhaften Mauer, die die Lebenden von den Toten trennt. Eine Mauer, durch die wie erst hindurchsehen können, wenn wir selbst das Leben verlieren und in einen anderen Zustand übergehen. Und wenn man es so hört, wird mein Glaube an die Auferstehung keinen Unterschied machen für das Leben hier und jetzt.

Wenn ich am Grabe meiner Lieben stehe, wenn ich auf sie zurückblicke und das, was ich in meinem Leben verloren habe, verspielt, zerbrochen, dann spüre ich, dass ich an die Auferstehung glaube. Ich glaube wirklich, dass Gott noch immer alles in seiner Hand hält, die Toten und die Lebendigen zusammen, gleichzeitig – und dass nichts von dem, was verloren ist, endgültig verloren ist. Es ist aufbewahrt bei Gott, verborgen vor unseren Augen, und hoffentlich ist es auch verwandelt, verändert, vollendet. Der Schmerz, die Trauer, das Leiden, all das in unserer Geschichte mit einander, was weh tut, böse ist, verwandelt und verändert sich. Ein Teil des Rätsels liegt dort verborgen. Da liegt eine verborgene Verheißung in unserer schmerzlichen Trauer und Sehnsucht, wenn wir einen Menschen verlieren. Nämlich die Verheißung einer Veränderung. Wir ändern uns ja in der Trauer und zu unseren Lebzeiten verändern wir uns auch durch die Verluste, die wir erleiden. Insofern befinden wir uns mitten im Fragment einer größeren Wirklichkeit, die Gott gehört. Darauf zu bestehen, im Fragment zu bleiben, ist nicht Glaube, sondern ein Suchen nach einer Sicherheit oder Garantie dafür, das zu behalten, was ich kenne und schon habe.

Vielleicht können wir dies hier am besten verstehen, wenn wir daran denken, wie wir einen Verlust erlitten hatten und etwas wiederfanden hier im Leben – Vergebung und Versöhnung erfuhren in unserer Geschichte. Freundschaften können zerbrechen, wir können „Todfeinde“ werden, wie man sagt, Feinde werden und auseinander gehen. Wenn die Liebe stark genug ist, finden wir den Weg zurück, schlucken furchtbar viel Scham, Trauer und Schmerz herunter und bauen zusammen etwas Neues auf. Das wird niemals dasselbe, das kann nur etwas Neues werden. Wir haben uns verändert – aber im besten und glücklichsten Fall sind wir stärker, weiser, liebende geworden, und das Neue, das wir erfahren, ist schöner, stärker und tiefer als zuvor. So glaube ich von der Auferstehung, so glaube ich von Christus, dem Sohn Gottes, an den, der Tote auferwecken und alles neu machen kann, Leiden beenden und mir neue Möglichkeiten eröffnen kann. Das gibt mir Hoffnung, die stärker ist als die Trauer und der Schmerz über den Verlust. Das gibt mir Mut, das neue andere Leben anzunehmen – das Leben, das ich nun ohne den verlorenen Menschen leben muss, ohne das, was ich unterwegs verloren habe. Und ich kann sehen, ahnen durch den dünnen Vorhang zwischen Lebenden und Toten, dass wir noch immer gemeinsam in der Hand Gottes sind und gemeinsam auf dem Wege zu dem, was neu ist und stärker, schöner – ewig vollendet. Eine Reise in die große Wirklichkeit Gottes.

Gott ist ein Gott, der Leben schafft, wo kein Leben ist, der alles neu macht fort, wo alles hoffnungslos ist. Das ist so groß, so stark, dass ich nicht anders kann als es zu glauben! Amen.

 



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm(a)km.dk

(zurück zum Seitenanfang)