Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buss- und Bettag, 18.11.2015

Predigt zu Lukas 13:6-9, verfasst von Paul Kluge

 

Heute möchte ich von einem Arbeiter erzählen. Sie werden ihn vielleicht kennen und erkennen. Er kommt im Lukas-Evangelium vor, und was da erzählt wird, habe ich ein wenig ausgeschmückt:

Schon früh ist er zur Arbeit gegangen. Die Tage sind heiß, da will er die Kühle des Morgens nutzen. Es gibt viel zu tun, er muss sich ranhalten. Doch die Arbeit ist nicht nur Schufterei für ihn; sie schenkt ihm auch Zufriedenheit, ja, Freude. Wenn nämlich durch seine Pflege zunächst die Reben, dann die Trauben sich gut entwickeln. Denen gilt seine Fürsorge. Eine gute Ernte ist ihm Dank und Anerkennung für seine Mühen.

Am Rande des Gartens wachsen einige Feigenbäume. Genügsam sind sie, brauchen kaum Wasser, keinen Schnitt. Wachsen auf ziemlich jedem Boden und tragen fast das ganze Jahr über Früchte, reife und unreife zur gleichen Zeit.
Als der Tag seiner Höhe nahe ist, gönnt der Arbeiter sich eine kleine Pause. Setzt sich in den Schatten eines großen Feigenbaums, nachdem er ein paar Früchte gepflückt hat, und isst etwas Brot. Sein Blick fällt auf einen noch jungen Feigenbaum, den der Sohn seines Chefs vor ein paar Jahren gesetzt hat. Getragen hat der Baum noch nie, nicht einmal geblüht.

Der Arbeiter unterbricht seine Pause etwas abrupt, als er den Esel seines Herrn schreien hört. Um sich geschäftig zu zeigen, geht er zu dem jungen Feigenbaum hinüber und trifft dort auf seinen Chef. „Was ist mit dem Baum?“ fragt der; der Arbeiter zuckt die Schultern. „Hat der schon Früchte getragen?“ – „Hab keine gesehen, Herr, auch keine Blüten.“ – „Hm. Mein Junge ist so stolz auf den selbst gepflanzten Baum. Freut sich immer, wenn er ihn sieht. Aber der Baum ist nutzlos. Der bringt nichts. Zieht nur Wasser aus der Erde, das andere gebrauchen können. Der ist wie der Mohn da drüben im Kornfeld. Unnützes Zeug. Ausreißen und verbrennen. Weißt du was? Hau den Baum ab und grab die Wurzeln aus.“
Herr und Knecht schweigen. Der Herr denkt an den Baum und dass die anderen Bäume noch mehr trügen, wenn dieser Schmarotzer verschwände. Der Knecht denkt an die Enttäuschung des Jungen, an seine Tränen, wenn der Baum gefällt würde. Und an den grünen Daumen, den er hat.

„Nun, Herr, da habt ihr wohl recht“, stimmt der Knecht zu, „aber euer Junge wird traurig sein.“ – „Darüber kommt er weg“, antwortet der Chef, „dass das Leben hart ist, muss er so früh wie möglich lernen.“ – „Nun, Herr, da habt ihr wohl recht, das muss er lernen. Aber muss er nicht auch Geduld lernen?“ -  „Da sagst du was“, lacht der Chef, „von mir kann er das nicht lernen. Geduld habe ich nicht. Das weißt du.“ Der Knecht schweigt zustimmend, und auch der Herr schweigt wieder.

„Herr?“, beginnt dann der Knecht, „könnt ihr mir nicht befehlen, den Baum zu pflegen? Um ihn herum umzugraben, dass er mehr Luft bekommt, ihn zu wässern und zu düngen? Vielleicht steht er ja an einer besonders mageren Stelle.“ – „Und wenn das nichts nützt?“ fragt der Chef. - „Nun, Herr, dann haue ich ihn nächstes Jahr um.“ – „Hm“, macht der Chef wieder, „ein paar Feigen weniger machen mich nicht arm. Und mein Junge ist in einem Jahr verständiger. Außerdem kann er lernen, dass Arbeit sich lohnt.“ – „Meine Arbeit“, denkt der Knecht, hält aber den Mund und grunzt stattdessen zustimmend. “Na gut“, sagt der Chef, „mach das. Und wenn das nichts nützt, machst du Brennholz aus ihm.“
Mit einem „Hüh“ setz er den Esel in Bewegung und reitet grußlos davon
   
Der Arbeiter geht zu dem großen Feigenbaum zurück und setzt seine Mittagspause fort. Überlegt, was er mit dem Baum macht, damit der Frucht trägt, denn von nichts kommt nichts. Er überlegt, wie der Junge darauf reagieren und was er davon lernen könnte.

Während er noch nachdenkt, hört er fröhliches Kindergeplapper. Er blickt in die Richtung und sieht den Sohn seines Herrn mit ein paar anderen Kindern kommen, darunter sein Enkelsohn. „Die schickt mir der Herrgott“, denkt der Arbeiter; „willst du zu deinem Baum?“ fragt er den Jungen. „Klar doch; ich will meinen Freunden zeigen, wie schön er gewachsen ist.“ – „Na, dann komm ich mal mit“, bietet der Arbeiter an und wundert sich über die Antwort des Jungen: Nicht um die Früchte geht es ihm, sondern dass der Baum so schön ist. Nutzlos, aber schön. Man kann sich über ihn freuen. So können wohl nur Kinder denken, überlegt der Arbeiter, dass sie eben nicht zuerst nach dem Nutzen fragen, nach Gewinn und Profit, und dass sie wohl dadurch viel zufriedener, ja, glücklicher leben als die Erwachsenen.

Zusammen mit den Kindern ist er bei dem Feigenbaum angekommen. Lässt zunächst den Jungen seinen Freunden den Baum zeigen. Alle finden ihn schön, keiner fragt nach Früchten. Davon gibt es ja genug an den anderen Bäumen.

Der Arbeiter ruft die Kinder zu sich und erklärt, dass er den Boden umgraben will, damit der Baum bald Früchte trägt, etwa so weit, wie die Krone reicht. „Und dann“, spricht er den Sohn seines Chefs an, „dann sorgst du dafür, dass er wenigsten einmal in der Woche Wasser bekommt. Deine Freunde helfen dir sicher dabei.“

Allgemeine Zustimmung, doch der Arbeiter hat seine Zweifel, wie lange die anhält. “Wisst ihr“, fährt er fort, „so ein Baum, besonders ein junger, braucht Pflege. Er braucht Licht und Luft, braucht Wasser als Nahrung, braucht Platz, sich zu entfalten. Dabei können wir ihn unterstützen und fördern. Wir können ihn aber nie zwingen, so zu wachsen und zu werden, wie wir das wollen. Denn er ist ein eigenes Wesen. Das müssen wir achten.“

Nach kurzer Pause fährt er fort: „Schwache Bäume brauchen ganz besonders Pflege und Unterstützung, damit man sie nicht abhaut und Brennholz aus ihnen macht. Jeder Baum, der das bekommt, was er braucht, trägt auch Früchte. Manche tragen große Früchte, andere nur kleine. Aber manchmal sind die kleinen sogar süßer als die großen. Darum sollt ihr nie vom Aussehen auf das Innere schließen.

Ihr könnt viel lernen, wenn ihr euch um den Baum kümmert, und ihr könnt dabei noch Freude haben. Der Baum wird euch zurückgeben, was ihr für ihn tut.“
„Und wenn nicht?“ fragt sein Enkelsohn und bringt ihn damit in Verlegenheit. „Tja“, sagt der schließlich, „was würdet ihr den machen, wenn der Baum überhaupt keine leckeren Feigen trägt?

„Noch mehr düngen“, schlägt einer vor, „abhauen“, ein anderer. Nun entsteht ein munteres Hin-und-Her an Gründen für das Eine wie für das Andere, Gründe, die alle vernünftig und einsichtig klingen. Fast entsteht Streit, und der Arbeiter beruhigt die Rasselbande mit dem Rat, doch erst einmal das Beste zu versuchen und dann geduldig abzuwarten. „Im nächsten Jahr um diese Zeit treffen wir uns hier wieder und sehen, was aus unserer Anstrengung geworden ist. Und nun muss ich wieder an meine Arbeit, hab schon viel Zeit verloren. Oder auch nicht.“

Damit verabschiedet der Arbeiter sich von den Kindern. Als er außer Sichtweite ist, blicken die Kinder einander an. Ohne ein Wort holen sie sich Werkzeug und fangen an, den Boden zu lockern. „Im nächsten Jahr feiern wir ein großes Feigenfest“, tönt der Sohn des Chefs, „versprochen.“

 



Landespfarrer i.R. Paul Kluge
D-26789 Leer (Ost-Friesland)
E-Mail: paul-kluge@live.de

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