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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buss- und Bettag, 18.11.2015

Der Buß- und Bettag macht Mut zur Lebensbewältigung
Predigt zu Lukas 13:6-9, verfasst von Klaus Wollenweber

 

Liebe Gemeinde,
„das sollst du mir büßen!“ – so lautet eine offene oder geheime, ärgerliche Redewendung, wenn jemandem Unrecht geschehen ist und wenn man die betreffende Person zur Rechenschaft ziehen will. „büßen“ – das meint dann: du wirst die verdiente Strafe bekommen; du wirst für das vergangene Geschehen einstehen; du wirst den Tag der Abrechnung erleben für das, was du mir angetan hast; du wirst die selbst verschuldeten Folgen ausbaden.
„Bußtag“ – in diesem Verständnis ein Strafbußtag, ein Nachdenken über den eigenen Bußgeldkatalog; ein Gerichtstag - keine Chance zur Umkehr oder zum Umdenken! Vielmehr: „Du sollst mir büßen!“
Hören wir auf diesem Hintergrund den vorgeschlagenen Predigttext für den heutigen Buß- und Bettag aus dem Zeugnis nach Lukas, 13.Kapitel, Verse 6-9 ( aus der „Neuen Genfer Übersetzung“). „Weinberg“ und „Feigenbaum“ sind biblisch bekannte Symbolworte für das „Volk Gottes“.

6 Dann erzählte Jesus folgendes Gleichnis: »Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum stehen; doch wenn er kam und sehen wollte, ob der Baum Früchte trug, fand er keine.
7 Schließlich sagte er zu dem Gärtner, der den Weinberg pflegte: »Schon drei Jahre komme ich jetzt, um zu sehen, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde keine. Hau ihn um! Warum soll er den Boden noch länger aussaugen?‹
8 ›Herr‹, erwiderte der Gärtner, ›lass ihn noch dieses Jahr stehen. Ich will die Erde um ihn herum ´noch einmal` umgraben und düngen.
9 Vielleicht trägt er dann nächstes Jahr Früchte – wenn nicht, kannst du ihn umhauen.‹«

Liebe Gemeinde, ganz aktuell fand ich mich gleich in der Rolle des Weingärtners wieder. Denn vor drei Jahren bekam ich einen schönen Ableger eines kleinen Mandarinenbaums geschenkt. Ich hatte ihn dankbar eingepflanzt, jährlich ordentlich umgetopft, immer gehegt und gepflegt, so dass das Bäumchen wuchs und gedieh. Aber keine Früchte waren zu sehen. Was sollte ich weiter mit so einem Bäumchen? Was für einen Nutzen hatte er für mich? Ich schwankte, ob ich ihn ausgraben und entsorgen sollte oder noch bis zum nächsten Jahr warte. Noch steht das Bäumchen da und darf wachsen. Aber die Frage bleibt: wie lange noch ohne Früchte?
Eigenartig, dachte ich jetzt im Sinne des Gleichnisses: wer kommt und gibt mir den Rat, noch einmal geduldig zu warten? Dabei kann es ja nicht bei dem Ratschlag bleiben; in dem biblischen Gleichnis wird von dem Gärtner berichtet, dass er den Feigenbaum „noch einmal umgraben und düngen“ möchte. Seinen Worten sollen auch die Taten folgen!

Aber dann endet das Gleichnis völlig offen; jedenfalls pocht weder der Weinbergbesitzer auf sein Recht zur Beseitigung des Feigenbaums noch spricht er von einer Strafhandlung noch kann der Gärtner sein Vorhaben als sinnvoll beweisen. Alles bleibt offen,
wie im alltäglichen Leben: Geduldiges Hoffen auf Seiten des Besitzers, Aktivität auf Seiten des Gärtners, Chance zum Tragen von Früchten auf Seiten des Feigenbaums.

In der Übertragung des Gleichnisses ist das die frohe Botschaft am Bußtag: Gott lässt sich von Jesus Christus bewegen, uns Menschen nicht einen Straftag vor Augen zu führen und uns in Sack und Asche gehen zu lassen, sondern uns nochmals die Gelegenheit zu geben, unser Vertrauen in Gott in Verbindung mit unserer alltäglichen Lebensweise zu sehen und geduldig in Einklang zu bringen. Eine Chance ist uns gegeben. Da ist zwar schon die Axt an die Wurzeln gelegt, aber durch Jesu Aktivitäten im Kreuz und in der Auferstehung ist uns Menschen nochmals eine Perspektive eröffnet, die eigene Lebens-situation zu erkennen und sie entsprechend in die Richtung des Fruchtbringens im menschlichen Zusammenleben umzudenken. Wir können nicht permanent im Spiegel nur uns selbst betrachten, mit diesem Blick zufrieden sein, uns im Lebensalltag nur um uns selbst drehen und bei unserer Nabelschau bleiben. Fragen wir doch einmal: Welchen Einfluss haben wir mit unserer christlichen Lebenseinstellung auf andere?
Ich denke, in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation in Deutschland und Europa kann dies bedeuten: Behalten wir Ruhe und Geduld in der gewaltigen Flüchtlingskrise, versuchen wir mit viel Improvisation und Fantasie das Bestmögliche und lassen uns nicht durch Hassprediger verführen? Sicherlich herrscht bei uns viel Angst vor der Menge der Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund, mit der Unkenntnis unserer Sprache und unserer christlichen Kultur, unserer Lebenswerte und Ethik im Zusammenleben. Verständlich ist die Besorgnis, dass wir auf Dauer die Bewältigung dieser Völkerwande-rung nicht verkraften können. Aber es bleibt das christlich-biblische Verständnis, dass wir keinen Grund haben, - im Bild des Gleichnisses zu sprechen -  mit der Axt den Feigen-baum auf dem Weinberg zu fällen. Denn alle Menschen sind Geschöpfe des einen Gottes, auch wenn sie ein unterschiedliches Gottesbild haben. Wir Christen begegnen ihnen zunächst einmal mit Vertrauen in diesen einen Schöpfergott.
In diesem Vertrauen beginnt unser Prozess des Umdenkens, wo wir unsere Vorurteile und früheren Erfahrungen, unsere Ängste und Sorgen abwägen und diese in den Hintergrund stellen; denn wir sehen erst einmal Menschen in Not: heimatlos, verängstigt und hilflos. Wie der Gärtner im Gleichnis, der zur Tat schreitet, um den Baum zum Blühen und zum Fruchtbringen  zu bringen, erkennen wir heute, was aktuell notwendig ist. Nutzen wir doch die  Zeit und Chance für ein neues Zusammenleben, für nötige Unterbringung der Flüchtlinge, für deren Sprachbildung und für das Erlernen eines Berufes in unserem Kulturkreis.
Zum Umdenken gehört, dass wir Christen nicht dauernd wie gebannt zurückschauen auf die Ereignisse oder gar Jahre mit vielen rednerischen Beiträgen und Forderungen, in denen das Zusammenleben mit Fremden nicht gelungen ist, – mit den Worten des Gleichnisses gesprochen – in denen der Feigenbaum nur schöne Blätter, aber keine Früchte gezeigt hat. Richten wir doch besser den Blick nach vorn, den vertrauensvollen, hoffnungsvollen Blick auf den Schöpfergott! Er ist kein Gott der gesellschaftlichen Zerstörung und des Endes eines Zusammenlebens! Der christliche Gott ist ein Gott der Liebe und der Versöhnung. Halten wir daran fest, dass Gott uns mit seiner Zuneigung, Achtung und Wertschätzung beschenkt und zur Weitergabe dieser Werte an andere ermutigt. Dies betrifft uns selbst - ebenso wie die Flüchtlinge. Dieser Gott des Lebens räumt uns Zeit ein, lässt uns miteinander erfolgreich und zufrieden den Alltag bewältigen, so schwierig dies auch im Einzelnen sein mag. Unser Weg zu diesem liebenden und versöhnenden Gott ist durch Jesus Christus bereits am Kreuz frei geräumt von Hindernissen der Strafe und Schuld. Nun kommt Gott mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Da gibt es keinen Bußtag als Straftag oder als Gerichtstag oder gar als Tag der Abrechnung!
Dies ist die andere Perspektive, zu der uns Jesus Christus auch mit diesem Gleichnis führen will: Gott ist da, beobachtet uns, gibt uns mit Jesus Christus Zeit
und kommt somit seinen Geschöpfen entgegen. Diese frohe Botschaft am heutigen Buß- und Bettag macht uns immer neuen Mut zur Bewältigung unserer Lebensschwierigkeiten und auch der Flüchtlingsproblematik. Sie ruft uns heraus aus dem Bann der Ratlosigkeit und lässt uns dem in die Arme laufen, der uns alle in seinen Händen hält und mit Jesus Christus unsere Sorgen übernommen hat. Darüber können wir uns freuen. Am Buß- und Bettag gehen wir Christen nicht in Sack und Asche oder in schwarzen Trauergewändern. Wir leben zusammen mit sympathischen und unsympathischen Geschöpfen Gottes in froher Dankbarkeit. Lasst uns entsprechend fröhlich und selbstbewusst auftreten. Als Feigenbaum mit herrlichen Blättern im Weinberg des Herrn haben wir noch Zeit, Früchte zu bringen: Orientierung im Leben. Damit können wir anderen Menschen Lebensmut und Lebensfreude weitergeben. Es ist noch nicht zu spät!
Amen
Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen



Altbischof Klaus Wollenweber
53129 Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

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