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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buss- und Bettag, 18.11.2015

Was aus Grenzen wird
Predigt zu Lukas 13:1-9, verfasst von Wolfgang Petrak

 

13,1 Es kamen aber einige zu der Zeit, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. 4 Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. 6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

Liebe Gemeinde!

Natürlich. Der Baum muss weg. Da steht in unserem kleinen Vorgarten eine mächtige Robinie, die wächst und wächst, die sich aussamt und breit macht; andererseits ist neulich im Sturm ein Ast herunter gekracht: nein, so geht nicht mehr weiter. Alles muss seine Grenze haben. Der Baumfäller ist bestellt; allerdings hat er keinen Termin nennen können. Wir warten auf ihn, ziemlich ungeduldig. Natürlich.

Natürlich kann ich den Weinbergbesitzer, von dem Jesus erzählt. verstehen. Umsichtig hat er in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt, wie man es eben macht: Die Mischbepflanzung in der Hanglage auf wenig ertragreichem Boden schützt vor Erosion und einseitigem Nährstoffentzug. Die Feige ist im Prinzip eine anspruchslose Pflanze, benötigt außer der Sonne nur ein wenig Wasser, spendet Schatten und trägt mehrmals im Jahr Früchte. Wenn aber nicht? Der Weinbergsbesitzer hat Geduld. Er wartet. Drei Jahre. Doch der Ertrag ist ausgeblieben. Eine eindeutige Negativbilanz. Irgendwann hört alles auf. Alles hat seine Grenze. Es muss was getan werden. Und zwar jetzt gleich. Also: Weg damit. Natürlich.

Der Drang zur Entscheidung hängt mit dem Erkennen einer Grenze und dem Bewusstsein der Zeit zusammen. Denn die Grenze weiß offensichtlich einzuordnen und damit anscheinend zu sichern. Sie soll trennen und zugleich schützen können. Ob deshalb von Grenzen in unserer unruhigen Zeit so viel die Rede ist, anfangen von den Forderungen auf Pappschildern, zwischendurch auch ein beleuchtetes Kreuz, am Montag in Dresden über den politischen Überlegungen zu Obergrenzen bis hin zu Grenzsicherungen nun auch an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien, dem entschlossenen Feststellen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann und dem unentschlossenen Hin- und Her der Regierung, aus der am Dienstag verlautete, dass die syrischen Flüchtlinge gemäß dem Dublin - Abkommen wieder in die EU-Herkunftsländer zurück geschickt werden können, am vergangenen Wochenende der Innenminister Gegensatz zum Flüchtlingskoordinator zu erkennen gab, dass er eine Begrenzung des Nachzuges von Familienmitgliedern unumgänglich hält, während zuvor der Konsens formuliert worden ist, dass die Asylverfahren geordnet durch geführt werden sollen?

Bilder unserer Zeit. Menschen in Bewegung. Durch Regen und Kälte und Schlamm. Zelte. Rauchwolken über zerschossenen Städte, darüber schwarze Rauchwolken. Aufsteigende Bomber. Wer will da bleiben? Wer kann da bleiben? Die Bilder, die wir empfangen, spiegeln sich in jenen Worten wieder, die der Parabel vom Feigenbaum voran gehen. Da kommen welche, die sagen, dass der Turm von Siloah zusammen gestürzt ist und Menschen erschlagen hat, und wir wissen, dass ein Flugzeug über dem Sinai abgestürzt ist, wissen von einem ungeklärten Geräusch; ja, immer werden wir die die fallenden Zwillingstürme vor Augen haben und wissen, dass unsere Welt seitdem so anders geworden ist. Aber können wir je die Schreie hören, die Verzweiflung und die Trauer ahnen? Nie wieder hat man vom Turm von Siloah gehört. Oder vom Terroranschlag auf gläubige Galiläer, deren Blut sich mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte, sodass am Ende das undifferenzierbare Nichts des Grauens steht, dem sich die Worte entziehen. Höchstens, dass man nach den Schuldigen fragt, nach den Zusammenhängen, und auch nach dem, der der Höchste zu sein beansprucht und sich , wenn überhaupt, in seinem Sein rechtfertigen müsste. Natürlich. - Nein?

Nein. Denn der, dem das Gehörte zugetragen wird, fragt nicht nach der Schuld der Täter und Opfer und ihren Zusammenhängen, gibt auch nicht den Gedanken nach dem Höchsten und seiner Infragestellung Raum, keineswegs, sondern: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle“…(V5). Das ist schwerlich zu ertragen, weil es gegen die eigene Natur geht; weil es nicht um die anderen geht, von denen ich zu hören meine und von denen ich zusehend mich distanzieren kann; nein, es geht um mich, um das, was ich tue und was ich unterlasse oder auch zulasse, wie die Geldströme der Ungerechtigkeit, an deren Zinserträgen ich mich bereichere; wie die Waffenexporte, deren Spuren der Gewalt auf mich zurück führen; vor allem aber wie die Spuren einer milden Religiosität, die dem Höchsten das Handeln in der Zeit nicht mehr zutraut, sondern alles nach innen verlagert, wo es unangreifbar und nicht hinterfragbar zu sein scheint, so ungefähr in dem Sinn, dass das Höchste sich im Ich und seiner kulturellen Verständigung entfaltet, und zwar ganz natürlich, aber dennoch spirituell: Nein, so ist eben nicht. Und so ist es eben auch kein Wunder, dass von außen diese Welt, in die ich mich eingesponnen habe, den Glauben nicht erkennen lässt. Wer Angst vor der Religiosität des Islam hat, muss eigentlich Angst vor dem Verlust seiner eigenen haben. Nein, da gibt es keinen Zweifel: Jesus setzt das Handeln des Höchsten voraus. Er bleibt in seinem Willen erkennbar, und wenn ihr, das heißt: wir, also ich und du, nicht Buße tut, dann werdet ihr alle, also du und ich, wir: dann werden wir- ich merke, dass ich das so nicht sagen kann. Denn es führt zur Grenze des Sagbaren.

Paul Tillich hat einmal gesagt, dass die Grenze der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis ist. Denn die Grenze markiert den Bereich des Gewohnten und damit auch den Bereich des Neuen und des Anderen. Das Wissen um die Grenze ist die Voraussetzung, um über sie hinwegzugehen und sich durch die fremde Möglichkeit des Neuen und des Anderen erweitern lassen, und sei es um den Preis, Denkgewohnheiten, also Lebensgewohnheiten, die einem lieb und teuer geworden, also scheinbar natürlich zugewachsen sind, aufzugeben.

Der Weinbergsbesitzer hatte Geduld. Er wartete. Drei Jahre. Doch der Ertrag war ausgeblieben. Eine eindeutige Negativbilanz. Alles hat seine Grenze. Es musste was getan werden. Und zwar gleich. Natürlich. Also…redete der Weingärtner. Nicht dass er einfach redete. Vielmehr bat er. Und das heißt: Er unterbrach den Ablauf des Informationsflusses, der in gewohnter Weise die Arbeitsabläufe zu regeln pflegt. Er bat, der Hierarchie und der gärtnerischen zum Trotz, ohne einen Grund zu nennen: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr“ (V8). Er unterließ dabei nicht, seine eigenen Handlungsmöglichkeiten zu nennen, nämlich umgraben und düngen. Auch dieses ist völlig neu, obschon aus anderen Arbeitsvorgängen bekannt. Jedoch: Einen Feigenbaum düngt man nicht. Mit der Bitte um Zeit und Zusage einer nicht selbstverständlichen Zuwendung wird die Grenze überschritten. Die Zukunft wird benannt. Sie bleibt dabei offen und gewinnt gerade dadurch eine ganz neue Dimension: „Vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so haue ihn ab“ (V.9). Was nichts anderes heißt, als dass der Herr am Ende der gesetzten Zeit selbst handeln muss.

Wie hatte doch unsere Bundeskanzlerin an einem Sonntag im Spätsommer gesagt? Wir schaffen das. Und: Unser Land wird anders werden. Unsere Zeit ist so offen, dass wir unsere gesetzten Eingrenzungen aufgeben und unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten geben können Für die Menschen, die uns brauchen. Denn am Ende ist er es, der für uns handelt. Da bin ich ganz sicher.  Amen.

 



Pastor in Ruhe Wolfgang Petrak
37077 Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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