Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag), 15.11.2015

Predigt zu Matthäus 25:31-46, verfasst von Jörg Christian Salzmann

 

I

Für die Zeitgenossen Jesu gab es in der Geschichte, die Jesus erzählte, zwei Überraschungen. Dazu gehörte nicht die Vorstellung vom Gericht am Ende der Zeiten. Damit rechneten die Leute, dass sie am Ende von ihren Taten würden Rechenschaft geben müssen. Nicht dass sich jeder danach verhielt; die Gedanken ans Ende lassen sich ja leicht verdrängen. Aber die Geschichte vom letzten Gericht war für die Leute nichts Neues.

Es war auch nicht überraschend, dass man gute Taten tun und den Armen, Kranken und Benachteiligten helfen sollte. Das wussten die Leute schon, dass wir im Leben nicht immer nur an uns selbst denken und uns auch um andere kümmern sollten. Freilich, wer kann das schon, immer nur an andere denken; und schließlich, was kann ich als einzelner schon bewirken? Aber trotzdem war es in Israel klar, dass nicht jeder nur für sich lebt.

Nichts Neues also. Dennoch gab es in der Geschichte, die Jesus erzählte, zwei überraschende Wendungen. Die erste Überraschung war die: Der Richter sagt, „Was ihr an einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“. Der höchste König und Richter macht gemeinsame Sache mit den armen Schluckern, den Flüchtlingen, denen, die im Elend sind. Er identifiziert sich mit ihnen. Das ist schon starker Tobak. Sind nicht Armut und Krankheit eher Zeichen der Gottesferne?

Das andere, was überrascht, ist die Verwunderung derjenigen, welche der Richter lobt. Was haben wir denn getan, wo sollen wir dir Gutes getan haben?

 

II

Lasst uns bei diesen beiden eigenartigen Punkten einsetzen, um die Geschichte richtig zu verstehen, die Jesus erzählt. Das ist ja ein merkwürdiger Herrscher, der sich so mit den Armen identifiziert. Die nichts anzuziehen haben, die Heimatlosen, die Hungerleider, Bettler und Schmarotzer, die Gefangenen, die ihr Leben verpfuscht haben, die Kranken, bei denen man sich nicht anstecken will – lauter unterprivilegierte Leute sind das, Menschen, auf die man herabschaut. Es mag Leute geben, die sich besonders stark und gut fühlen, wenn sie sich zu so jemand herablassen, aber viele gehen dem Elend doch lieber gleich aus dem Weg.

Jesus aber sagt: „Wer sich einem solchen zuwendet, der wendet sich mir zu. Wenn du einen Kranken besuchst, wenn du dem Armen gibst, wenn du den Flüchtling unterstützt, dann tust du das an mir. Was da aus Liebe geschieht, das beziehe ich direkt auf mich. Wo du Menschen in Not begegnest, da begegnest du mir, da begegnest du Gott selbst.“

Deshalb ist es gar nicht so, dass du dich zu den Geringen herablässt, wenn du hilfst. Sondern du handelst am Höchsten selbst, in der Niedrigkeit wohnt Ehre, die Verlassene ist eine Schwester, der arme Schlucker ein Bruder des menschgewordenen Gottes. Was du tust, ist Gottesdienst.

Nun könnten wir daraus die Lehre ziehen, dass man auf der Hut sein muss. Überall könnte uns Gott begegnen; nur ja niemandem auf die Füße treten, nur ja jedem unter die Arme greifen, der auch nur irgendwie bedürftig erscheint, nur ja nichts verkehrt machen! Da wird das Leben zum Krampf: Gott beobachtet dich, er hat dich auf dem Kieker – wehe, wenn du nicht genug barmherzige Taten vollbringst!

In der Tat kann die Geschichte vom Gericht, die Jesus erzählt, auf diese Weise Angst machen. Da landen doch die, die nichts tun, in der Hölle; und müssten wir nicht alle die Ärmel hochkrempeln, damit das Elend in der Welt wenigstens etwas weniger wird?

 

III

Nun aber kommt die andere Überraschung ins Spiel: Diejenigen nämlich, die da von dem Richter gelobt werden, die sind sich gar nicht dessen bewusst, dass sie etwas Besonderes getan hätten. Sie haben nicht ängstlich darauf geschielt, wie sie alles richtig machen könnten. Sondern sie haben sich den Menschen um sie herum einfach zugewendet. Zuwendung – das bringt uns auf die richtige Spur, nämlich auf die Spur der Liebe. Es geht um Liebe und gerade nicht um Angst. Die Liebe Gottes will in unserm Leben Raum gewinnen. Das ist ein Unterschied, ob jemand etwas aus Angst tut oder aus Liebe. Wer nur darauf bedacht ist, Strafe zu vermeiden und alles richtig zu machen, der tut das Seine verkrampft und nicht mit Freuden. Wer aber den anderen Menschen im Blick hat und seine oder ihre Not, wer dabei nicht sich selbst ins beste Licht rücken muss, der kann etwas tun.

Trotzdem funktioniert auch mit der Nächstenliebe nicht immer alles von selbst. Auch wer Liebe übt, muss über sein Handeln nachdenken und Entscheidungen treffen. Wir können ja nicht die ganze Welt retten und müssen Schwerpunkte setzen in dem, was wir tun. Außerdem kann auch etwas, das ich aus Liebe tue, anstrengend sein und schier über meine Kräfte gehen. Oft genug erleben das Angehörige, die einen lieben Menschen voll Aufopferung pflegen und dabei an ihre Grenzen kommen. Da kann es sein, dass eben andere Wege gefunden werden müssen, bevor es zum Zusammenbruch kommt.

Dennoch bleibt es dabei: Es ist etwas völlig anderes, ob ich etwas aus Angst tue oder weil mich die Liebe treibt. Woher aber soll diese Liebe kommen; wer hat ein so großes Herz? Das erzählt Jesus nicht in seiner Geschichte vom Gericht. Aber wir hören es oft genug: Es ist die Liebe Gottes zu uns, welche uns zur Liebe befähigt. Gott lässt dir sagen: Du bist mir unendlich wertvoll. Diesen Wert hast du nicht erst durch das, was du leistest und tust. Nicht deine guten Taten machen dich zu einem Kind Gottes, sondern dass er dich angenommen hat um Christi willen. Die Taufe hat dich zu einem Kind Gottes gemacht. So ist uns die Liebe Gottes geschenkt, und als solchermaßen Beschenkte können wir Liebe weitergeben.

 

IV

Diese unsere Liebe gilt nun den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Sie alle hat Gott lieb. Ja, gerade mit den Verachteten solidarisiert sich Gott, so dass Herablassung völlig fehl am Platz wäre. Auch die Fremden und Andersartigen sind Geschöpfe Gottes, sind Menschen mit ihrer je eigenen Geschichte und ihrer Würde. Ihnen zu begegnen und sie nicht zu meiden, dazu macht Gott uns frei.

So denken wir in diesen Tagen daran, dass unser Leben endlich ist und wir Verantwortung tragen für das, was wir sind und was wir tun. Tröstlich aber ist die Vorstellung, dass dabei nicht die Angst zur Triebfeder wird für unser Leben. Gut ist es zu wissen, dass wir beschenkt sind mit Liebe und Leben. Und schön kann es sein, von dieser Liebe weiterzugeben.

Am Ende magst du dann selbst überrascht sein, wenn du die Bilanz deines Lebens hörst. Was Gott alles an Gutem in meinem Leben sieht, wo soll ich denn das getan haben?

Wie immer es damit sein mag, wir sind geborgen in der Liebe Gottes durch Jesus Christus; so zu leben, das schenke uns Gott.

 



Prof.Dr. Jörg Christian Salzmann
Oberursel
E-Mail: dr.jchr@jmsalzmann.de

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