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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 22.11.2015

Vorrat des Glaubens
Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Christian Wolff

 

Der Predigttext (Matthäus 25,1-13) wird als Evangelium im Gottesdienst verlesen

Krankheit, Alter, Sterben, Tod. Es ist wie bei der Tür im Gleichnis von den zehn Frauen: Sie fällt - langsam oder plötzlich - ins Schloss und öffnet sich nie mehr, so sehr wir auch darum bitten und betteln. Was vor und was hinter der Türe ist - es bleibt unwiderruflich getrennt. Gemeinsame Lebenswege sind für immer versperrt. Kein Weg führt mehr zum Verstorbenen. Auch der Gang zum Grab ist nicht mehr als ein folgenloses Klopfen an der Tür. Da öffnet sich kein Spalt. Und auch ein Blick durchs Schlüsselloch bleibt uns verwehrt. Nichts von dem, was wir erhoffen:

nichts von dem können wir sehen. Alles ist Spekulation, die die Trauer nicht leichter macht. Wir haben am Ewigkeitssonntag das Gleichnis Jesu von den fünf klugen und den fünf törichten Frauen gehört: Wie auch dort die Tür ins Schloss fällt und für immer verriegelt bleibt für die, die zu spät kommen. Kein Erbarmen, keine Nachsicht. Draußen vor der Tür - das ist der Tod mitten im Leben.

Wären wir doch nur zwei Stunden früher ins Krankenhaus gegangen, wir hätten ihn noch lebend angetroffen und hätten uns verabschieden können ... Hätten wir nicht doch noch einen Arzt hinzuziehen sollen? Wäre nicht doch noch eine weitere Chemotherapie sinnvoll gewesen? ... Warum haben wir nie über das Sterben gesprochen? Warum dieser verwirrte Geisteszustand in den vergangenen Wochen, wo doch noch so viel hätte geklärt werden müssen? ... Warum sind wir heute Morgen wortlos auseinander gegangen – und jetzt ist er tödlich verunglückt?

Das sind die Fragen, die sich dem Trauernden tief ins Herz und in den Kopf bohren - die Schuldgefühle vor der verschlossenen Tür. Und dann ist da noch die Namenlosigkeit:

Ich kenne euch nicht.

sagt der Bräutigam. „Kennt mich denn keiner mehr?“, fragt sich verzweifelt die trauernde Mutter oder auch die geschiedene Frau oder der tief gefallene erwerbslose Mann. Das Empfinden, mit der Trauer vergessen zu sein, gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen nach dem Tod, nach der Trennung, nach dem Zerplatzen von Hoffnungen: wie sich einer nach dem anderen zurückzieht, verlegen wegschaut, dem Trauernden aus dem Wege geht, nicht mehr anruft. Doch hier im Gleichnis ziehen sich nicht irgendwelche Freunde und Bekannte zurück. Hier verweigert sich der Bräutigam, Jesus selbst, den fünf Frauen, die vor der Tür stehen. Warum diese Härte?

Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

Das aber ist nicht die einzige Schwierigkeit, die uns im Gleichnis begegnet. Als der Bräutigam - sehr verspätet - mitten in der Nacht auftaucht, sind die Öllampen der zehn Frauen längst verloschen. Fünf aber haben vorsorglich für Nachschub gesorgt, die anderen Fünf haben nichts mehr. Doch wer nun an Teilen denkt, sieht sich getäuscht:

Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst

erwidern kühl die Frauen, die von Jesus auch noch als klug gewürdigt werden. Widerspricht diese Haltung nicht allem, was wir von den Lebensmaßstäben Jesu kennen? Hat er in der Bergpredigt nicht vor zu viel Vorsorge gewarnt: „Sorget nicht für den morgigen Tag“? Hat er nicht die Menschen aufgerufen zu teilen, wenn Mangel am Lebensnotwendigen herrscht? Warum geschieht hier nicht - wie im Wunder der Brotvermehrung - eine wundersame Vermehrung des Öls, die einen Ausgleich zwischen den Verständigen und Einfältigen hätte schaffen können? Und dann ist da noch eine dritte Schwierigkeit. Jesus beendet sein Gleichnis mit dem Aufruf:

Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

Aber im Gleichnis wird erzählt, dass alle zehn Frauen müde werden und einschlafen. Also ist es mit der Wachheit der Klugen auch nicht so weit her. Warum werden dann nur die fünf törichten unter den Frauen gemaßregelt?

Wie also sollen wir Jesu Gleichnis verstehen:

Ich vermute, dass Jesus - wie so oft - mit diesem Gleichnis alle Klischees (hier die Guten, dort die Schlechten) überwinden und den Ernst der Lage für jeden Einzelnen darlegen will. Darum fügt er der harten Reaktion gegenüber den fünf törichten Frauen eine deutliche Warnung an - und zwar an die, die in der Zeit des Wartens schlafen, anstatt zu wachen. Und dazu gehören auch die fünf klugen Frauen. Niemand soll sich in falscher Sicherheit wiegen.

Auch wir nicht! Zwar richten wir uns mit diesem Gottesdienst besonders an die, die um einen nahen, lieben Menschen trauern - und vor und nach dem Sterben manche schlaflose Nacht durchgemacht haben; den Kampf ums Wachbleiben kennen. Aber gleichzeitig gilt uns allen die Mahnung aus dem 90. Psalm: Jeder möge sein eigenes Sterben bedenken, auf dass er klug werde! Jeder möchte sich darüber im Klaren sein, dass heute der erste Tag des Restes seines Lebens ist. Und dieses Leben kann morgen unwiderruflich zu Ende sein - vor oder hinter der Tür! Niemand soll also meinen, er wisse, wozu er gehört: zu den Klugen oder den Törichten. Denn im Gleichnis gehören alle Zehn zunächst zu den Schlafenden. Und dieser Schlaf ist an sich bedenklich genug. Denn angesichts dessen, was mit dem Bräutigam zu erwarten ist, besteht kein Anlass zu dieser Verschlafenheit. Angesichts dessen, was Gott uns mit Jesus Christus verheißt, müssten wir hellwach, freudig erregt sein. Angesichts dessen also, was wir als Kirche mit dem Kommen Gottes zu verkünden haben, dürfte es bei uns in der Kirche nicht die oft so miefige, trost- und lustlose Stimmung geben. Eine Kirche, die im Namen des Gottes redet, der das Volk Israel aus der Sklaverei befreit hat, eine Kirche, die sich und andere an den Gerüststangen der Gebote Gottes aufrichten kann, eine Kirche, die aus dem Fundus der reichen prophetischen Botschaft schöpfen kann, eine Kirche, die über den Reichtum der Musik nicht nur Bachs und Mendelssohns verfügt und die dem Licht und Kreuz Jesu Christi folgt - sie dürfte niemals in Schlaf versinken, sondern müsste umgekehrt unsere so müde, so gleichgültig gewordene und gleichzeitig so provozierend kalt-abweisende Gesellschaft, die im Morast der nur noch Ansprüche versinkt und den Zuspruch für die Benachteiligten vergisst, aus dem elenden Stillstand in heilsame Bewegung versetzen. Denn alles, was die Kirche zu verkünden hat, wird ja noch besser, noch aussichtsreicher, wenn am Ende aller Zeit Gott kommt. Alles, was wir so vorläufig, so bruchstückhaft im Namen Jesu tun, wird vollendet, wenn der Bräutigam erscheint und sich unsere Lebensfragmente mit Gottes Gerechtigkeit, seinem Frieden im neuen Himmel und der neuen Erde vereinen.

Aber nun ist das mit dem wachen Warten, mit der Geistesgegenwart, mit dem Überwintern der Hoffnung in kalter Zeit so eine Sache. Im Gleichnis versinken die zehn Frauen sehr schnell in einen tiefen Schlaf. Darum der Ruhe störende Lärm mitten in der Nacht:

Wachet auf, ruft uns die Stimme.

Ja, ihr Christen, ja Kirche, ja Bürgerinnen und Bürger, wacht auf! Nehmt den Kopf endlich aus dem Sand der Larmoyanz, der Selbstzufriedenheit, der einfachen Antworten und Schlagworte, des sich Abschottens gegen alles Fremde, Neue, Überraschende. Seht und hört, wie sehr wir Menschen – Christen wie Nichtchristen - angewiesen sind auf die befreiende Botschaft Jesu:

Und denkt daran: Jesus Christus will uns wach, bei der Arbeit, engagiert vorfinden als hoffnungsvolle Menschen, mitten im Problem beladenen Leben, mitten in dieser zerrissenen Welt, auch im Angesicht des Todes erfüllt und gefüllt von seinem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Jedoch - wie schnell ermüden wir wieder. Jesus hat selbst schmerzlich erfahren müssen, wie seine engsten Freunde in tiefsten Schlaf versinken, als er ihren wachen Beistand so dringend benötigt: im Garten Gethsemane kurz vor seiner Gefangennahme. Und dann, als die Jünger aufwachen, nicht weil der Bräutigam kommt, sondern weil das Gebrüll der Soldaten sich nähert, da packt sie die nackte Angst. Denn sie haben nichts im Kopf, im Herzen, auf das sie in diesem Augenblick hätten zurückgreifen können. Also rennen sie besinnungslos davon in die Nacht. Darum kommt der Bevorratung des Öls im Gleichnis eine so besondere Bedeutung zu. Es geht um die Frage: Worauf greifen wir zurück, wenn wir wieder aufwachen und dem Bräutigam entgegengehen? Was haben wir in den Händen, in unserem geistlichen Rucksack, wenn unsere Geistesgegenwart gefordert ist, wenn es um uns herum blitzt und kracht und der Terror seine Blutspur zieht? Was sagen wir, wenn die Menschen uns fragen: Was ist jetzt der Weg und die Wahrheit? Wie und nach welchen Maßstäben sollen wir leben? Wo finden wir Stärkung, Trost, Hilfe, Anteilnahme - offene Türen?

Haben wir dann einen Vorrat an Öl, an Glauben, an Geist, an Hoffnung? Besitzen wir dann das, was in besseren Zeiten viele als überflüssig ansehen und uns Christen darum nicht abverlangt wird: eine Aussicht auf das Leben nach dem Tod, der Blick hinter die Kulissen, hinter die verschlossene Tür? Verfügen wir über die Perspektive des Jenseits, auf das niemand vertröstet werden darf, von dem her wir aber Wegweisung und Trost erfahren? Wird uns die Bevorratung der Glaubenshoffnung dazu befähigen, den Menschen wach und unerschrocken zu sagen: Du hast die Wahl zwischen gut und böse, richtig und falsch, zwischen Liebe und Hass, Leben und Tod. Aber diese Wahl setzt Vorräte an Öl, an Geist, an Glauben, an Wissen, an Bildung voraus. Also ergeht die Frage schon an Kinder und Jugendliche, an Konfirmandinnen und Konfirmanden, Schülerinnen und Schüler: Wie sieht es mit eurem, mit unserem geistlichen Fundus aus? Ist was drin in den Behältern, in den Köpfen und Herzen vom Geist Gottes, von der biblischen Botschaft, von der reichen Tradition unseres Glaubens - wenigstens die zehn Gebote und das Doppelgebot der Liebe, wenigstens die Botschaft von der Rechtfertigung eines jeden Lebens durch Gottes Gnade, wenigstens eine blasse Ahnung von der Kraft der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe, wenigstens diese so rationale, vernünftige Überzeugung des Paulus „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“? Es ist aber auch eine Frage an uns Erwachsene, an Eltern, Erzieherinnen und Lehrerinnen: Was geben wir jungen Menschen an geistlicher Nahrung mit und wie ist es um unseren eigenen Vorrat bestellt? Unterschätzen wir bitte nicht, dass sich an diesen Fragen unsere Zukunft weit über unseren Tod hinaus entscheidet! Wir sehen ja an aktuellen Ereignissen, wie schnell wir bereit sind, Grundwerte außer Kraft zu setzen oder ganz aufzugeben, wenn Ängste, Nützlichkeitserwägungen, und Verdrängungsmechanismen die Diskussion bestimmen.

Das Bild vom Ölvorrat hat für mich aber noch eine andere Dimension: Es ist ein Bekenntnis Jesu zum Überflüssigen, zum Glaubensluxus. Ein Bekenntnis gegen die Mangelverwaltung und für eine Mangelgestaltung in Kirche und Gesellschaft. Das ist notwendig. Bedenken wir bitte: Bei den fünf törichten Frauen handelt es sich nicht um armselige Geschöpfe, die kein Geld haben, sich einen Ölvorrat anzulegen. Nein – die klugen und törichten Frauen stehen materiell gesehen auf der gleichen Stufe. Nur die törichten Frauen tun das ihnen Mögliche nicht. Das ist ihr Fehler. Übertragen auf uns heute, heißt dies: Wenn auch das Geld knapp ist – für ein Sparprogramm in Sachen Geist, Ideen, Hoffnung, Glaubwürdigkeit gibt es keinen Grund! Wir haben ja das Öl des Glaubens. Wir sollten es aber nicht sinnlos verschütten oder versickern lassen (das macht bekanntlich den Boden und Wasser unfruchtbar und ungenießbar), oder brennen lassen, wo doch nur geschlafen wird und es keiner sieht. Vielmehr gilt es, mit dem Öl die Lampen der Menschen zu füllen, Lichter zu setzen, Wege zu weisen. Da haben wir als Kirche, als Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt ein riesiges Betätigungsfeld in unserer verschlafenen, ausgebrannten Gesellschaft vor uns liegen.

Darum: Füllt jetzt die Gefäße neu mit Öl, das Licht bringen und leuchten soll. Hören wir auf, nur noch von der Substanz zu leben, ohne uns darum zu kümmern, wie es in den nächsten Generationen zugehen soll. Unter Umständen müssen wir auch zum Krämer gehen. Das Öl kostet auch Geld. Doch wir dürfen nicht warten, bis wir es haben. Wir müssen, wir können darauf vertrauen, dass wir es bekommen. Also sollte uns die Einfalt der fünf Frauen zur Warnung gereichen: die meinten, es sei früh genug zum Krämer zu gehen, wenn der Bräutigam auftaucht. Nein, wenn es so weit ist, wenn das Fest losgeht, wenn die Menschen kommen und uns unseren Glauben abverlangen, dann können wir nicht erst damit anfangen, beim Krämer unsere Gefäße zu füllen. Wenn wir so gedankenlos leben, dann stehen wir - mitten im Leben - wie vor einer verschlossenen Tür und müssen schmerzlich feststellen, dass woanders zum Tanz aufgespielt wird - und wir haben damit nichts mehr zu tun. Dann ergeht es uns wie denen, die nicht mehr aus Trauer, Ohnmacht, Lähmung herauskommen. Dann werden wir auch als Kirche - unkenntlich. Und nicht einmal der, nach dem wir uns nennen, weiß unseren Namen, schlimmer noch: hat ein Interesse an uns. Darum: Jetzt Öl tanken! Jetzt den Vorrat anlegen! Jetzt Überflüssiges und doch so Notwendiges tun! Jetzt investieren in Hoffnung, in Glauben, in Liebe – und darauf vertrauen, dass Gott uns entgegen kommt und die Tür weit offen hält. Amen.

 



Pfarrer i.R. Christian Wolff
04105 Leipzig
E-Mail: info@wolff-christian.de

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