Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 22.11.2015

Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Rainer Stahl

 

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch allen!“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Heute sind uns zwei Herausforderungen, zwei Interessen, zwei Themen wichtig:

Zuerst die Erinnerung, das Gedenken an die Toten in unserem Familien- und Bekanntenkreis – Eltern, Großeltern, vielleicht ein eigenes Kind, die Ehefrau, der Ehemann, der Lieblings-Onkel, ein Kollege oder eine Nachbarin…
Ihre Leben treten vor unsere geistigen Augen. Besonders wichtig wird uns die Erinnerung an den direkten Abschied werden – wenn es den denn gegeben hat.

Und wir werden mit unserem eigenen Lebensweg konfrontiert, mit dem Wissen, dass wir sterben müssen, mit unseren Ängsten vor dem Schwächer Werden, vor Krankheiten und Leiden.

Für beide Themen, für beide Interessen, für beide Herausforderungen steht eine große Frage im Raum:

Rechnen wir mit einer irgendwie bestehenden Lebensmöglichkeit auch jenseits des Todes – egal jetzt wie?
Oder: Schließen wir eine solche Möglichkeit von vornherein aus?

Die Verneinung einer Hoffnung über den Tod hinaus ist ganz alt. Selbst in alten Überlieferungsschichten der Bibel leuchtet sie auf: „Lasst uns essen und trinken, wir sterben doch morgen!“ (Jesaja 22,13b). Heutzutage ist diese Überzeugung weit verbreitet: Für unser irdisches Leben können wir Schwieriges und Gutes erwarten. Unser irdisches Leben können wir ausgestalten, reich werden lassen, auch teilweise leer belassen. Aber darüber hinaus gebe es nichts. Mit dem Tod sei auch wirklich Schluss, sei wirklich alles aus.

Ist das nicht auch eine entlastende Vorstellung? Eine Vorstellung, die uns nicht mit unkontrollierbarer Verantwortung belädt?

Die Bejahung einer Hoffnung über den Tod hinaus dagegen ist die grundlegend andere Haltung. Auch sie ist sehr alt. Im Grunde ist die gesamte Beerdigungskultur Ausdruck verschiedenster Formen von Hoffnung über den Tod hinaus, von Hoffnung auf ein jenseitiges Leben:

„Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter allen Menschen“ – wie Paulus es festhält (1. Korinther 15,19).

Fragen wir uns in diesem Moment: Ist wirklich eine solche Hoffnung diejenige, die mich trägt? Die mich veranlasst hat, in diesen Gottesdienst zu kommen?

Ich habe einen Gedanken: Was ist das Öl für die Lampen der Frauen in unserem Bibeltext? Ich schlage für uns heute vor: Das Öl ist diese Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Die Frauen, die kein Öl bevorratet hatten, sind dem Diesseits verpflichtet. Sie haben keine Hoffnung über unser Leben hinaus. Die Frauen, die Öl bereithalten, sind Menschen, die sich eine Sehnsucht nach Leben nach dem Tod bewahrt haben. Für die unser Leben wichtig, aber nicht alles ist. Die auf Neues und Großes noch an der Schwelle zum Tod warten.

Und nun erst, liebe Schwestern und Brüder, wird bedeutsam, dass wir in einer Kirche zusammengekommen sind. Dass wir als christliche Gottesdienstgemeinde beisammen sind. Damit ist eine Grundentscheidung der Hoffnung getroffen:

Es gibt vielfältigste Jenseitshoffnungen. Die muss ich nicht alle darstellen. Für uns als Christinnen und Christen aber gibt es nur eine: In Gemeinschaft mit dem auferstandenen gekreuzigten Christus. Der ist der Bräutigam. In seiner Gemeinschaft wird sich ewiges Leben für uns erschließen. Mit ihm – mit keinem sonst; etwas anderes kann ich als christlicher Pfarrer nicht sagen! –, mit keinem sonst wird es in die Gemeinschaft des Hochzeitsfestes – so unser Bild – hineingehen.

Vor einiger Zeit habe ich mir auf dem Flughafen Scheremetjewo / Moskau eine Mappe mit Plakatnachdrucken zu Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt: Lenin, gekauft. Zwei Plakate – aus den Jahren 1957 und 1967 – haben ein Wort von Wladimir Wladimirowitsch Majakowskij zum Thema. Majakowskij war Mitbegründer des Futurismus in der russischen und sowjetischen Literatur. 1930 hat er sich das Leben genommen. Von ihm gibt es folgende Aussage über Lenin, die er wohl 1924 oder 1925, auf jeden Fall nach dem Tode Lenins gemacht hat:

 

«Ленин жил. »Lenin lebte.

Ленин жив. Lenin lebt.

Ленин будет жить.» Lenin wird leben.«

 

 

 

 

 

 

 

 

Und ein anderes Plakat aus dem Jahr 1925 von einem unbekannten Künstler ist hochinteressant. Künstlerisch gar nicht schlecht, dem modernen Strukturalismus verpflichtet, zeigt es
eine Leninstatue auf einem hohen Sockel, angestrahlt von Scheinwerfern, und davor zwei in Ehrerbietung gesenkte Fahnen. Auf einer steht:

«Везде, »Überall,

всегда, immer,

безраздельно ungeteilt / vollständig /
besser: unzertrennlich

с нами» mit uns«

Und auf dem unteren Rand des Plakats die Auflösung in Großbuchstaben:

«ЛЕНИН» »LENIN«

 

 

 

 

 

Zu einer Dame neben mir auf den Warteplätzen am Gate meinte ich, als ich die Blätter betrachtete und mit ihr über sie sprach: „That’s like Christ – Lenin at the place of Christ!“ / „Das ist doch wie Christus – Lenin an der Stelle von Christus!“ Und sie darauf: „But without crucifixion…“ / „Aber ohne Kreuzigung…“

Ich muss zugeben: Erst viel später habe ich erfahren, dass das russische Wort безраздельно an dieser Stelle mit „unzertrennlich“ übersetzt werden muss. Es wird also keine Aussage über Lenin allein gemacht, sondern eine Aussage über ihn und die Lesenden des Plakats: „Überall, immer und jede Trennung zwischen sich und den Lesenden aufhebend – so ist Lenin gegenwärtig!“ Aber auch das ist eine Hoffnung, die eigentlich von den Hoffnungen mit Blick auf Christus her bekannt ist. Wir Christinnen und Christen glauben, dass Christus „überall, immer und jede Trennung zwischen sich und uns aufhebend gegenwärtig ist!“

Und insofern ist es doch richtig, dieses Leninplakat als unter dem Gegenteil verborgenen Hinweis auf unseren Christusglauben zu verstehen: Das Leben, das wir als Christinnen und Christen von Christus her verheißen bekommen, geht nur über den Tod, ist das Ergebnis einer Auferweckung!

Wie das gehen wird, weiß ich nicht. Aber, dass es gehen wird, glaube ich. Und diesen Glauben bezeuge ich Euch heute mit noch einem Satz des Apostels Paulus:

„Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“, weshalb unser Glaube machtvoll und meine Predigt sinnvoll ist
(1. Korinther 15,20 und der Vers 14).

Amen.

„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“

 



Pfarrer Dr. Rainer Stahl
91054 Erlangen
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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