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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 22.11.2015

"Was du heute kannst besorgen...“
Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Wolfgang Schmidt

 

Liebe Gemeinde,

mit dem heutigen Sonntag geht das Kirchenjahr zuende. Der Ewigkeitssonntag ist traditionell der Tag, da wir unserer Toten gedenken. Für uns in Jerusalem ist wieder einmal ein Jahr vergangen, in dem es uns erspart blieb, jemanden aus unserer Gemeinde zu Grabe zu tragen. Und trotzdem beklagt mancher und manche von uns einen Abschied auf immer in der nächsten Verwandtschaft, unter den Freunden oder Nachbarn. Auch wenn wir niemanden auf dem Zionsfriedhof beizusetzen hatten, ist der Tod nicht aus unserem Leben ausgewandert. Er hat seine Fratze gezeigt in den Opfern der politischen Konflikte hier in unserer Region - in unmittelbarer Nähe und weiter weg von uns. Aber er hat eben auch tief eingegriffen in das persönliche Leben so mancher, die hier zuhause sind. Menschen, die uns lieb waren sind von uns gegangen, manche lebenssatt, andere noch viel zu früh

Ja, eigentlich haben wir ja sehr oft, wenn ein Mensch stirbt, das Gefühl: es ist zu früh. Das gilt natürlich besonders, wenn der Tod einen Mann oder eine Frau in jungen Jahren ereilt oder wenn es gar ein Kind ist, das sterben muss. Aber auch wenn ein alter Mensch stirbt - oft wünscht man sich, er wäre doch noch ein wenig geblieben. Wir hätten gerne noch dies und das mit ihr gesprochen, gerne noch dies und das mit ihm erlebt, gerne noch dies und das gefragt. Es war zu früh. Wir waren noch nicht genügend vorbereitet. Und richtig schlimm ist es, wenn der Tod einen wirklich gänzlich unvorbereitet aus dem Leben reißt – ein Infarkt vielleicht oder ein Herzstillstand, ein Tod aus heiterem Himmel: Ohne Vorahnung, plötzlich und unerwartet, ohne dass man sich im Geringsten darauf einstellen konnte

Hingegen ist eine Zeit der Krankheit, so schwer sie für den Kranken und die Angehörigen oft sein mag, manchmal eine echte Chance, sich auf das einzustellen, was kommen wird und miteinander ganz bewusst auf das Unabänderliche zuzugehen. Manche können oder wollen diese Chance allerdings nicht nutzen, können oder wollen der Wahrheit nicht ins Auge schauen, verdrängen den Tod und versäumen es so, sich auf das Kommende einzustellen.

So erzählt uns auch Matthäus im heutigen Predigtabschnitt von verschiedenen Frauen - von solchen, die sich auf das große Ereignis vorbereitet haben, und von solchen, die ihm völlig unvorbereitet entgegen gehen. Ein Hochzeitsfest wird in der biblischen Erzählung zum Gleichnis für das Himmelreich, das wir uns herbeisehnen für das Ende unserer Tage – dann, wenn es mit uns einmal soweit ist.

Und wann wird es soweit sein? Unmittelbar nach unserem Abscheiden von dieser Erde? Es gibt Berichte von Sterbenden, die durch Wiederbelebung und medizinische Hilfeleistung wieder ins Leben zurückgerufen wurden. Die berichteten von beglückenden Lichterfahrungen, die sie machen durften - heller Glanz am Ende eines dunklen Tunnels und ein großes Harmoniegefühl. Ist das der Himmel oder zumindest eine Vorahnung des Himmels? Oder müssen wir warten, lange warten, bis unser Körper sich längst aufgelöst hat in der allgemeinen Materie? 1000 Jahre sind ein Tag bei Gott, so heißt es. Nach welcher Uhr, nach welchem Kalender zählen wir die Stunden?

Immer wieder, liebe Gemeinde, warnt uns die Bibel vor Spekulationen über den Zeitpunkt und sie prophezeit uns: wir werden überrascht sein! Ja, wir werden überrascht sein, so wie die zehn Jungfrauen überrascht waren, als ganz unerwartet, um Mitternacht, der große Moment kommt. Sie sind eingeschlafen, allesamt, denn keiner weiß genau, wann es soweit ist. Keiner weiß es! Von der Stunde der Wahrheit werden alle überrascht! Nur gibt es da einen Unterschied zwischen ihnen allen, einen kleinen, aber alles entscheidenden Unterschied: die einen sind vorbereitet für diesen Augenblick, die anderen nicht. Die einen hatten sich darauf eingestellt auf das Kommende, die anderen nicht. Und das Tragische ist: für die, die sich nicht rechtzeitig vorbereitet haben, ist um diese mitternächtliche Stunde schon alles zu spät.

Ja, nicht erst dann, als sie anklopfen am Festsaal, nicht erst da, als sie vor den verschlossenen Türen stehen, nicht erst dann ist es zu spät. Die verhängnisvolle Entscheidung ist vielmehr schon vorher gefallen. Die Entscheidung ist nämlich dort gefallen, wo sie aufbrechen und die einen ihr Ölkännchen noch zusätzlich zur Hand nehmen, während die anderen die Lampe allein für ausreichend halten. Die Törichten, wie sie genannt werden, die Dummen, die Unklugen haben den entscheidenden Zeitpunkt verpasst. Sie haben die Zeit der Vorbereitung nicht als solche erkannt. "Es wird schon noch Zeit sein," mögen sie vielleicht gedacht haben."Irgendwie werde ich mir schon noch etwas besorgen können, falls es nötig sein wird." Die Törichten haben den entscheidenden Zeitpunkt verpasst, um sich ausreichend auf das Kommende vorzubereiten, dann wenn der Bräutigam kommt und das große Fest seinen Anfang nimmt, jenes Fest ohne Ende!

Und worin, liebe Gemeinde, besteht die Klugheit der anderen? Sie besteht darin, dass sie mit Weitsicht erkannten: jetzt ist die Zeit! Jetzt ist die Zeit der Vorbereitung. Später mag es zu spät dazu sein, obwohl ich noch gar nicht weiß, wann dieses Später genau kommt. Die Entscheidung fällt noch weit vor Mitternacht, sie fällt weit bevor die Abenddämmerung des Lebens heraufzieht und sich die Nacht des Todes über uns herabsenkt. Die Entscheidung fällt jetzt. Jetzt ist die Zeit! Jetzt ist die Zeit der Vorbereitung! Heute! Später kann es zu spät dazu sein!

Daran erinnert uns Jesus, wenn er dieses Gleichnis vom Himmelreich erzählt. Du musst rechtzeitig für dich sorgen, für deine Zukunft sorgen, in geistlicher Hinsicht für deine Zukunft sorgen, damit du am Ende beim großen Fest dabei sein kannst.

Das Fest findet ja statt. Sowieso. Und eingeladen bist du auch! Der Bräutigam rechnet mit dir, dass du kommst! Die Tischkarten stehen schon. Dein Name ist aufgeschrieben. Du musst nur rechtzeitig dafür sorgen, dass du im entscheidenden Moment bereit bist, in den Festsaal mitzugehen. Und rechtzeitig, liebe Gemeinde, heißt jetzt, heißt heute! Denn was weiß ich, was morgen sein wird. Was weiß ich, wann Gott mich abruft von dieser Erde. Was weiß ich, wann ich gehen muss – und dann ist es garantiert zu spät, mich noch in irgend einer Weise vorzubereiten für den Tag des Herrn.

Wie aber, liebe Gemeinde, bereite ich mich vor auf jene Mitternachtstunde des Daseins, auf jene überraschende Begegnung mit dem Bräutigam? Lampenöl? Ölkännchen? Mit was und wie rüste ich mich aus?

Ich will Ihnen sagen, was für mich wichtig ist, was mein Lampenöl ist.

Der erste und wichtigste Ausstattungsgegenstand heißt für mich „Vertrauen“. Ich muss an eine Übung denken, die wir früher einmal gelegentlich mit den Konfirmanden machten. Einem wurden die Augen verbunden und er musste sich von einem anderen führen lassen, ohne den Weg zu sehen und zu kennen.

Welche Ängste konnte ich da immer wieder erleben, verkrampfte Haltung, krampfhaftes Festhalten. Die Erfahrung des Ausgeliefertseins ist eine wichtige, grundlegende Erfahrung. Und mehr noch: das bewusste Sich-Ausliefern, sich in die Hände und in die Bestimmung eines anderen zu geben, erfordert einen Vertrauensvorschuss: er wird es schon gut machen, wird es schon recht machen mit mir. Den Vertrauensvorschuss gegenüber Gott nennt man Glauben. Er meint es gut mit mir. Vertrauen zum anderen, zwischenmenschliches Vertrauen ist eine Vorstufe für Gottvertrauen. Oder wie kann ich mich etwa auf den verlassen, den ich nicht sehe, wenn ich mich schon nicht auf den verlassen kann, den ich sehe? Vertrauen lernen, zwischenmenschlich vertrauen, Gottvertrauen lernen: dazu ist jetzt die Zeit!

Und ein Zweites, dass ganz eng damit zusammenhängt: Loslassen. Loslassen können. Auch Vertrauen ist ja eine Art loszulassen: ich gebe die Zügel aus der Hand, für eine Zeit, für einen bestimmten Bereich; ich gebe die Zügel aus der Hand, lasse los, lasse einen anderen den Kurs und die Richtung bestimmen; ich lasse los von meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen. Vom Eigenen loslassen können – auch das ist ein Teil der Ausrüstung, die ich aufs Ende hin für nötig und sinnvoll halte. Loslassen können von den materiellen Dingen, das Haus, das Auto, das Geld. Oder Einstellungen, an den wir manchmal so verbissen festhalten. Loslassen bis dann einmal hin zum eigenen Leben am Ende, wenn ich es hergeben muss an den Herrn über Leben und Tod. Loslassen lernen, hergeben lernen, frei geben: dazu ist jetzt die Zeit.

Und schließlich will ich noch ein Drittes erwähnen: wo Schuld bedrückt, Vergebung erbitten oder Vergebung erteilen! Auch das muss heute geschehen, damit ich morgen frei bin, wenn Gott mich ruft. Denn auch Schuld bindet. Schuld macht uns unfrei. Schuld belastet. Schuld eingestehen, zur Vergebung bereit werden: auf dazu ist jetzt die Zeit.

"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen." Es könnte zu spät sein! Diese Dringlichkeit, liebe Gemeinde strahlt uns aus dem Bibeltext entgegen. Vielleicht findet es der ein oder andere von Ihnen ungerecht von diesem Bräutigam, dass er die fünf Törichten draußen stehen lässt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Soll das etwa auch bei Gott gelten? Gewiss nicht! Aber es gibt verpasste Chancen. Und vor denen will uns das Gleichnis bewahren. Jesus will die Gegenwart als eine solche Chance stark machen, die wir nicht verpassen sollten. Er hält uns das Beispiel der Törichten vor, damit wir klug werden. So wie es im Psalmvers heißt: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Die Klugen bereiten sich rechtzeitig vor, damit sie später, wann immer es soweit ist, frei sind für das große Fest, zu dem wir alle geladen sind. Lasst uns hingehen und desgleichen tun! Die Tischkarten sind schon aufgestellt!

 



Propst Wolfgang Schmidt
91140 Jerusalem, Israel
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

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