Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 22.11.2015

Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Bernd Giehl

 

Zu. Einfach so. Die Tür ist zugeschlagen. Verschlossen und verriegelt. Drinnen die Musik und das Lachen und draußen die Dunkelheit und die Stille. Natürlich nicht im Lichtschein des Hofes, in dem sie sich jetzt noch befinden. Und dann haben sie ja auch noch ihre gerade frisch gefüllten Lampen. Die ihnen jetzt aber auch nicht mehr helfen. Sie sind zu fünft. Und doch fühlt sich jede von ihnen allein. Sie gehören nicht zusammen. So jedenfalls scheint es ihnen. Gleich werden sie, eine nach der anderen, ihre Lampen löschen und hinausgehen in die Dunkelheit. Jede für sich. Keine von ihnen wird das Bedürfnis spüren, mit den anderen zu reden. Vielleicht in drei Tagen. Oder in einer Woche. Aber jetzt nicht.

Es ist zu spät.

*

Beklemmend? Ja, ich glaube schon. Viele von Ihnen haben es ja erlebt. Vielleicht in diesem Jahr, vielleicht in einem früheren. Erlebt, wie da eine Tür zuging; langsam und behutsam oder wie sie schwer und schnell ins Schloss fiel. Wie da plötzlich kein Gespräch mehr möglich war. Vielleicht war das Gespräch ja schon lange sehr erschwert; weil der Verstorbene dement war oder schwerkrank und jedes Wort Kraft kostete. Also wurde nur noch das Nötigste geredet. „Möchtest du etwas trinken? Soll ich dir das Bett machen?“

Aber es gibt ja nicht nur die Sprache der Worte. Es gibt auch die Sprache der Hände. Oder die einer Umarmung.

Aber irgendwann ist auch das zu Ende. Eine Tür ist ins Schloss gefallen. Sie wird sich nicht mehr öffnen.

*

Eine merkwürdige Geschichte – dieses Gleichnis. Auch nach mehr als dreißig Jahren Dienst als Pfarrer will mir die Auswahl für den Toten- oder Ewigkeitssonntag immer noch nicht so recht einleuchten. Jedenfalls dann wenn das Gedenken an die Toten im Vordergrund stehen soll. Wenn Trost angesichts der Vergänglichkeit alles Irdischen gesucht werden soll.

Dann ist der Text – sagen wir es mal vorsichtig – eher problematisch.

*

Kann natürlich auch sein, dass ich da falsch liege. Oder die Sache etwas einseitig sehe. Denn so wichtig die Trauer um die Toten, die uns nahe waren, auch ist: so wichtig ist auch der Satz, dass auch uns der Tod bevorsteht. Vielleicht morgen, vielleicht auch erst in 30 oder 40 Jahren. Und die Frage, wie wir leben wollen, wenn das so ist.

Vor ein paar Tagen aß ich in einem Schnellrestaurant zu Mittag. Am Nebentisch saß ein Pärchen und der Mann erzählte vom Stress im Beruf. Plötzlich fragte die Frau: „Was würdest du tun, wenn du dir keine Sorgen mehr ums Geld machen müsstest?“ Der Mann überlegte kurz und antwortete dann: „Ich würde nach Mallorca ziehen und den Tag damit verbringen zu lesen und an den Strand zu gehen.“ Und das ist alles“?“ fragte die Frau, die offensichtlich eine andere Antwort erwartet hatte. „Das ist alles“, erwiderte der Mann. Aber ein wenig unsicher schien er dann doch zu sein. Ob ihm die Arbeit fehlen würde, überlegte er dann halb für sich und halb für seine Freundin. Er wusste es nicht. Das machte ihn mir sympathisch.

Was würdest du machen wenn? Wenn du plötzlich im Lotto gewinnst und nicht mehr arbeiten musst. Wenn du die Diagnose bekämest: Noch drei Monate, dann ist Schluss? Würdest du dein Leben ändern? Würdest du all das tun, was du bisher aufgespart hast?

Fragt sich nur, was das ist.

*

Aber jetzt muss ich wohl noch einmal einen Gang zurückschalten. Zumindest in unserer Geschichte ist von „sein Leben ändern“ erst einmal keine Rede. Da geht es um ganz praktische Dinge. Um eine Hochzeit. Genauer gesagt: um ein Detail. Der Bräutigam ist auf dem Weg zu seiner Braut. Ob er noch mit dem Brautvater um den Kaufpreis verhandeln muss – mehr oder weniger symbolisch wahrscheinlich - oder ob er gleich ins Brautgemach einziehen darf, das ist nicht ganz klar. So genau kennen wir die Bräuche im damaligen Israel nicht. Klar aber ist: Auf seinem Weg werden ihm Ehrenjungfrauen leuchten. Braut und Bräutigam haben sie extra für den Einzug des Bräutigams ausgewählt.

So weit, so klar. Aber nun wird es interessant: Diesmal stehen die Hauptpersonen nicht im Mittelpunkt. Die Braut spielt überhaupt keine Rolle und der Bräutigam fehlt auch. Das ist ausnahmsweise sogar wörtlich zu nehmen: Er verspätet sich. Und nicht nur um neun Minuten wie die Bundeskanzlerin am Freitag vor acht Tagen, als ihre Stellungnahme zu den Attentaten in Paris für neun Uhr angekündigt war und der arme Rainald Becker neun Minuten lang vor dem Kanzleramt sich die Worte aus der Kehle und dem Gehirn pressen musste, bis es nicht mehr ging, weil es bekanntlich nichts Tödlicheres im Fernsehen gibt als die ungewollte Stille. Neun Minuten können zur Ewigkeit werden.

Wie mögen sich da erst die Brautjungfern auf ihrem Posten an der Straße gefühlt haben. Da dauerte es ja nicht Minuten sondern Stunden. Viele Stunden. Nun haben sie ja im Orient ein etwas anderes Verhältnis zu der Zeit als bei uns aber dennoch: Was wird die Braut zu all dem gesagt haben?

Aber die tritt hier ja gar nicht in Erscheinung. Der Fokus ist immer noch auf die Brautjungfern gerichtet. Ob das gerecht ist oder unbarmherzig, das mag jeder selbst entscheiden. Jedenfalls schlafen sie ein. Nicht nur zwei oder fünf, sondern alle. Dafür zumindest sind sie nicht zu tadeln, auch wenn einer der frühen Kirchenväter, dessen Namen ich nicht mehr erinnere, das meinte. Und dennoch dürfen am Ende nur fünf der zehn Mädchen in den Hochzeitssaal. Weil sie mehr Öl für ihre Lampen mitgenommen hatten als die anderen fünf. Weil nur sie offensichtlich auf das Unmögliche gefasst waren, das dann auch eintrat.

Und nun mal ehrlich: Sind Sie vorbereitet auf das Unmögliche? Und falls nicht: Darf ich Sie dann „töricht“ nennen.

Nein, natürlich darf ich das nicht. Es sei denn, dass ich mich mit einschließe. Und selbst dann tue ich es wohl eher im Stillen.

*

Wahrscheinlich muss man die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Gleichnis erzählt wird, erst einmal in Frage stellen. So selbstverständlich ist hier nämlich gar nichts. Nun passt es natürlich zu den anderen Gleichnissen die Jesus erzählt hat. Auch die sind nur an der Oberfläche selbstverständlich. Oder sagen wir mal so: Weil Jesus sie erzählt hat, ist es klar, dass es sich so und nicht anders verhalten muss. Aber wenn man sich länger mit ihnen beschäftigt, merkt man, dass man selbst sie ganz anders erzählen würde. Oder dass die Schlussfolgerungen, die sie ziehen, andere sind als die, die man selbst ziehen würde.

So auch hier. Sind die törichten Brautjungfern wirklich töricht also dumm, nur weil sie nicht mit dem Unwahrscheinlichen gerechnet haben? Weil sie nicht buchstäblich auf alles vorbereitet waren? Und sind die Klugen deshalb klug, weil sie mit dem Schlimmsten rechneten?

Ich kann die Frage immer noch nicht beantworten. Nicht wirklich jedenfalls.

*

Aber klar ist natürlich auch, warum die junge Kirche dieses Gleichnis so weitererzählte. Es konnte ihr kaum besser ins Konzept passen. Der Herr selbst hatte gesagt, dass er bald auf den Wolken des Himmels wiederkäme. Womöglich noch bevor seine Jünger starben. Aber dann vergingen die Jahre. Zehn, zwanzig, dreißig, fünfzig. Die Generation, die Jesus noch selbst erlebt hatte, starb. Die Generation, denen die Jünger von Jesus erzählt hatten, starb ebenfalls. So ging es weiter. Jahrzehnt um Jahrzehnt verging, ohne dass sich etwas änderte. Natürlich wurde die Frage, wann der Herr denn nun wirklich wiederkäme, immer drängender.

So gesehen ist die Antwort, die hier gegeben wird, klug: Wir wissen nicht, wann der Bräutigam kommt. Wir wissen nur: Er wird kommen. Also haltet euch bereit.

*

Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was bedeutet das: klug zu sein?

Oder beantwortet sich die Frage womöglich von ganz alleine? Schließlich ist heute der Sonntag, an dem wir vor allem über unsere Endlichkeit nachdenken. Ebenso wie wir über unsere Toten nachdenken und die Beziehung, die wir zu ihnen gehabt haben. Gibt es etwas, was sie uns lehren? Gibt es etwas, was wir ihnen noch gern gesagt oder für sie getan hätten? Oder war alles so, wie wir es uns gewünscht hätten?

Wenn ich an meine eigenen Toten denke, dann sehe ich manche Frage, die ich ihnen nicht gestellt und den einen oder anderen Satz, den ich ihnen nicht mehr gesagt habe.

Ich denke, es geht vielen Menschen so. Vielleicht sind es keine schwerwiegenden Dinge, aber manches bleibt eben offen.

Und im eigenen Leben? Gibt es Dinge, die ich unbedingt noch tun will, bevor ich sterbe? Wenn ja, dann sollte ich sie jetzt tun. Und nicht mehr warten. Gründe dafür etwas auf später zu verschieben gibt es immer. Man ist so angespannt im Beruf, man muss sich um die kranken Eltern kümmern, die Kinder fordern einen mehr als man eigentlich will.

Vielleicht ist es so. Zu sagen: mach es anders ist leicht. Ich selbst muss es ja nicht ausführen. Also sage ich lieber: Nehmt euch einmal eine Stunde Zeit und wägt ab. Was ist wirklich wichtig? Und was ist mir persönlich wichtig? Und was davon kann ich noch verwirklichen?

Wahrscheinlich heißt das: klug zu werden.

 



Pfarrer Bernd Giehl
64569 Nauheim
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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