Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 22.11.2015

Predigt zu Johannes 5:24-29, verfasst von Th.-M. Robscheit

 

   24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.

26 Denn wie der Vater hat das Leben in ihm selber, also hat er dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in ihm selber,

27 und hat ihm Macht gegeben, auch das Gericht zu halten, darum daß er des Menschen Sohn ist.

28 Verwundert euch des nicht, denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören,

29 und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts

 

 

Ewigkeitssonntag, oder wie im Volksmund oft gesagt: Totensonntag, ist heute. Der Tag im Jahr, an dem wir innerlich besonders nahe an der Schwelle zwischen Leben & Tod stehen. Wir denken an die Verstorbenen des letzten Jahres, besuchen Gräber und sind traurig, schwermütig.

Eigenartig ist das! Sollte uns Christen da nicht Ostern viel näher sein? Die Schwelle vom Tod zurück ins Leben? Unser Predigttext jedenfalls legt darauf Wert und doch wirkt er seltsam sperrig. Sind wir zu sehr in Tod & Trauer gefangen, so dass wir das Frohe nicht erkennen können? Ist der naßkalte Herbst so sehr in unser Gemüt gezogen, dass uns blühende Osterwiesen vorkommen wie der Traum von einer anderen Welt, aber nicht wie eine Erfahrung, die wir schon dutzendfach gemacht haben?

Nein, der Text ist nicht deswegen sperrig, weil in uns die Hoffnung auf ein Leben nach der Finsternis fremd ist. Wenn wir die Augen schließen und nur ein wenig Herbstsonne im Gesicht spüren, sehen und riechen wir die Frühlingsblumen. Der Text wirkt auch nicht fremd, weil Johannes eine für uns ungebräuchliche Sprachform wählt. Nein, vor dem Text schrecken wir zurück, weil er unsere heile Welt in Frage stellt! Wir haben uns schön in dem Gedanken eingerichtet, dass nach dem Tod, der zwar für die Hinterbliebenen immer auch schmerzlich ist, Frieden, Ruhe oder das Paradies kommt.

Kaum ein Vater wird auf die Frage seines Kindes, wo denn nun die Oma sei antworten: „Die haben wir erst verbrannt, dann die Asche in eine kleine Dose gefüllt und die vergraben.“ Keine Mutter wird ihren Sohn versuchen zu trösten: „Der Opa liegt im Sarg, zwei Meter tief eingegraben, dort kann er in Ruhe verrotten!“ Sondern die Antwort läuft fast immer darauf hinaus zu sagen, die Oma sei jetzt im Himmel und schaue auf ihr liebes Enkelchen hinab. Nach meiner Erfahrung wird das paradoxerweise umso bildlicher beschrieben, je weniger fromm und kirchlich sozialisiert die Gefragten sind. Doch der dahintersteckende Gedanke, der ist uns fast allen gleich: ein Mensch stirbt und unmittelbar darauf kommt seine Seele in den Himmel zum lieben Gott.

 

Jesus ist da anderer Meinung.

Es ist keineswegs selbstverständlich, dass der Tod ein seeliges Tuch des Vergessens über das Leben breitet. Das ewige Lebens ist nicht bedingungslos!

Reicht es, „eigentlich“ kein schlechter Mensch gewesen zu sein? Welche Rolle spielt unser Tun & Lassen?

Nichts von dem, was man im Leben macht ist folgenlos. Das ist so banal, dass wir kaum darüber nachdenken. Alles was wir tun oder lassen hat Folgen, manchmal nebensächlich, schnell vergessen, manchmal sehr weitreichend.

Sie wollen Tee trinken und stellen den Teekessel auf den Herd. Sie drehen den Schalter, Strom fließt. Irgendwann kocht das Wasser. Sie brühen Ihren Tee. Ganz einfach, alles gut.

Oder die dramatische Folge, die einträte, wenn sie nun den Teekessel wieder auf den Herd stellten und den Strom nicht ausschalteten. Eine weitreichende Folge Ihres (Nicht-)handelns. Ebenso einfach, aber schlecht.

So können wir Rechenschaft von unserem Leben geben. Die großen Ereignisse bleiben in Erinnerung, wir sollten wissen, ob wir gut oder schlecht gehandelt haben. Und dann kommen wir zu dem Schluß, dass wir eigentlich kein schlechter Mensch sind

Doch so gradlinig, wie das Teekochen auf den ersten Blick scheint, ist es nicht; ebensowenig unser Leben: Schon wenn wir den Kessel auf den Herd stellen und diesen einschalten fängt es an: Was ist mit den Leitungen, durch die der Strom transportiert wird? Wie war das bei der Herstellung des Kupfers dieser Leitungen? Und: wie wird der Strom produziert, den wir nun verbrauchen? Bei den Teeblättern stellt sich die selbe Frage & je mehr man in die Tiefe geht, desto unduchsichtiger wird das Gestrüpp von Folgen, die unser simples Teekochen hat. Wie kompliziert ist das dann erst, wenn man das ganze Leben, jeden Tag mit unzähligen alltäglichen Handlungen betrachten will! Reicht es, „eigentlich“ kein schlechter Mensch gewesen zu sein? Das „eigentlich“ bedeutet letztlich, dass man ein Leben voller Fehler & Verstrickungen in Böses, Ungerechtigkeit und Ignoranz hinter sich hat. Mit dem „eigentlich gut“ lügt man sich nur selber das Gewissen rein.

Und (es) werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts!“ - was ist denn Übles & was ist Gutes? Soll das gegeneinander aufgewogen werden? Das was Jesus da verkündet ist doch pure Werkgerechtigkeit! Wie paßt das zu unserem lutherischen Verständnis?

Nun, die Rede Jesu besteht nicht nur aus diesem Wort! Im ersten Vers unseres Predigttextes geht es nicht um das Tun, sondern um den Glauben & da sind wir ganz nah am sola fide!: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“

So sperrig die Rede Jesu auf den ersten Blick ist, so hoffnungsvoll ist sie bei genauerem Hinsehen! Der Glaube an Gott befreit von der Fessel, immer richtig handeln zu müssen. Das ist kein Persilschein mit dem man nun getrost Übles tun kann, sondern das Versprechen, dass unsere Absicht zählt, unser Wollen. Den Glauben zu leben bedeutet, Nächstenliebend sein zu wollen, gerecht leben zu wollen; aber es beinhaltet auch immer das Scheitern. Das Scheitern durch unsere menschlichen Unzulänglichkeiten.

Und wenn das ganz und gar nicht gelingt? Wenn Trägheit, Ignoranz oder Egoismus Menschen dazu bringen, Übles zu tun? Nicht zu glauben? Die Übles getan haben, werden auferstehen zum Gericht. Immerhin nicht gleich in die ewige Verdammnis. So besteht Hoffnung. Welcher Mensch wollte ein Urteil darüber abgeben, wie groß Gottes Gnade sein wird?

Heute ist Ewigkeitssonntag: Wir beklagen den Verlust für uns wichtiger Menschen. Und wir sind melancholisch, traurig manchmal schwermütig, wenn wir auf unser eigenes Leben blicken und uns seiner Endlichkeit auf dieser Erde bewußt werden: Soviel Wollen, so wenig Tun. Immerwieder sehen wir uns selber scheitern. Man könnte daran verzweifeln, aber wir dürfen hoffen. Wir dürfen an Gottes Erbarmen & Liebe zu uns glauben: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

 

Der Friede Gottes, der größer ist als unsere menschliche Vorstellungskraft, bewahre unsere herzen & Sinne in Jesus Christus. Amen.

 



Pfarrer Th.-M. Robscheit
Apolda & Kapellendorf
E-Mail: thm@robscheit.de

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