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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 29.11.2015

Predigt zu Lukas 4:16-34 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Wir sollen uns nicht auf das Reich Gottes freuen, sondern an ihm. Das sollen wir uns vor Augen halten an diesem Neujahrstag der Kirche – dieser erste Sonntag im neuen Kirchenjahr, wo wir auf all das zurückschauen, was uns in der Verkündigung des alten Jahres zugesagt wurde, und auf alle die Erzählungen von der Liebe zwischen Gott und Menschen vorausschauen, die uns im kommenden Jahr begegnen. Wahrhaftig: Das Reich Gottes ist nicht etwas, auf das wir uns freuen sollen, sondern an dem wir uns freuen sollen.

Eben zwischen gestern und morgen, damals und bald, dem, was war, und dem, was kommt; eben mitten zwischen dem, was nie wiederkehrt, und dem, was noch nicht eingetroffen ist, befindet sich der kräftigste und stärkste Zeitfaktor: das Jetzt.

In der Vergangenheit liegt alles, was nicht zu ändern ist. Alles, was wir gesagt und getan haben, oder alles, was wir eben nicht gesagt oder getan haben. All das, was uns vergeben wird: von Gott, unseren Nächsten und uns selbst. Und all das, was wir selbst vergeben sollen. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Die Zeit heilt alle Wunden, sagen wir, aber das gilt nur, wenn diese Zeit „jetzt“ mit unserem Handeln gefüllt ist. Und nicht irgendwelchem Handeln, sondern einem aktiven Einsatz, der sich in Liebe und Vergebung erweist. Denn nur echte Liebe kann heilen, was zerbrochen ist. Darin liegt unser Glaube, und darin liegt das Reich Gottes.

Was sagt Jesus in der Synagoge von Nazareth, als er aus dem Propheten Jesaja liest, im Evangelium dieses Sonntags:

Der Geist des Herrn ist bei mir, darum weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie los sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“.

Das war das Schrift Wort aus alter Zeit. Das war die Prophetie, von der sie gelebt hatten. Das ist die Erwartung des Messias: Eines Tages wird es geschehen. Eines Tages wird Gott sein eigenwillige und ungeschickte, aber auch geleibte Menschenschöpfung besuchen. Der Bräutigam kommt zu seiner Braut. Gott schickt seinen Sohn, damit wir vereint werden können. Uns entgegenkommen in der Erkenntnis, dass es weit sein kann zwischen Gott und Mensch, und wenn Gott nicht zu uns kommt, verschwinden wir vielleicht in unserem Suchen nach ihm.

Einmmal würde es geschehen, sagten die alten Schriften; alle Propheten: Elia und Elisa, Maleachi und Micha, Jeremia und der unverzichtbare und hoch geschätzte Jesaja. Einmal wird es geschehen, hatte Gott ihnen ins Ohr und ins Herz geflüstert, so dass sie es laut rufen konnten draußen in der Wüste und auf dem Berge, in den Städten und gegen den großen Sturm, der auf dem Meer tobt. Rufen den vielen, es den wenigen anvertrauen, darüber sprechen im Dunkeln, wenn es sich um uns legt wie weiche Kissen und dicke Teppiche, und wenn Lichter und Lichter uns umwerfen.

Die Propheten haben es vor langer Zeit gesagt, mit alten und schwierigen Worten, in poetischen direkten oder gewundenen Wendungen, so wie sich zwei Liebende einander anvertrauen, und sie haben es fast in Ohnmacht und Zorn gesagt, wenn wir angeklagt wurden. Und warum? Weil es wichtig ist, das Wichtigste von allem. Weil wir geliebt sind, und dem, den man liebt, flüstert man süße Worte ins Ohr, klebt gelbe Zettel an den Kühlschrank, hinterlässt eine Nachricht auf dem Telefon und schimpft und kritisiert per Mail und SMS. Der, den man liebt – der, der für uns am wichtigsten ist – an den redest, gestikulierst und schreibst du auf alle möglichen Weisen und mit allen möglichen Mitteln, den das, was du sagen willst, ist das allerwichtigste.

Wir sind Gottes geliebte Geschöpfe, wir sind im Bilde Gottes geschaffen, wir tragen das Bild Gottes in uns, und weil wir geliebt sind, sollen wir die gute Botschaft in allen denkbaren Formen erhalten: als Offenbarungen, in Gesprächen, in der Verkündigung, in der guten Erzählung, in der Musik und der Malerei, in der Ruhe draußen in der Natur und in einem lauten Café. Auf dem Boden der Suppe und in den treibenden Wolken. Die Natur und die Kultur, die religiöse Sprache und das Flüstern und Rufen der Welt können dasselbe in je ihrer Weise erzählen.

Denn man denke nur, wenn wir kurz die Augen schössen für eine Augenblick, wo uns das gezeigt würde, die Ohren mit allem möglichen verstopft hätten, als es uns erzählt wurde, und durch Alltagsrutine und saure Pflichten selbst fesseln ließen an dem Tag, an dem nach unseren Händen gegriffen wurde, so dass wir es merken konnten. Wir bekommen viele Chancen, denn Gott ist nicht in allem, sondern Gott ist durch alles, und er kann alles für seine Botschaft in Dienst nehmen.

Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein kleines Kind, kommt nicht hinein. Und das Kind gebraucht fleißig alle seine Sinne für all das Neue und Spannende, und am allerwenigsten seine Vernunft. Und in gleicher Weise kann Gott vielleicht am schlechtesten mit dem gesunden Menschenverstand begriffen werden. Das ist ein Paradox, das am Verstande abgleitet wie ein Spiegelei von der Teflonpfanne. Das kann man mit der Vernunft denken, aber es soll ergriffen werden mit dem Herzen, dass Gott sein Volk besuchen will. Dass da Heil, Trost und Pflege für alle ist, die sich in dieser Welt abrackern, das kann niemand sich selber sagen, denn das schuldet Gott uns nicht und das haben wir uns nicht durch Werke zusammengespaart.

Der ganzen Welt erlaubt Gott, mitzusingen im Lobpreis des neuen Bundes, den er mit uns schließt Und die Propheten tun dies schriftlich: „Der Herr kommt, Gott besucht sein Volk!“ Ja, er kommt zu uns als der Menschensohn. Geboren von einer Jungfrau, still reitend auf einem Esel.

Er heilt Krankheiten, die der Arzt nicht heilen kann, und er spricht zu uns als einer, der nicht nur Einsicht und Weisheit besitzt, sondern als einer, der mit dabei war vom Anfang der Welt. Er besiegt den Tod auf seinem eigenen Felde, und er ist, wie der König, gesalbt, deshalb wird er Messias genannt. Gesegnet von Gott, und Gott hat ihn gesandt, sich selbst gesandt als einen armen und verfolgten Menschen, um den Armen gute Botschaft zu bringen, „zu predigen den Gefangenen, dass sie los sein sollen, und den Blinden, dass sie sehend werden, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“.

Das wird einmal geschehen, sagten die Alten. Das haben wir im alten Kirchenjahr gehört, und das sollen wir im neuen hören. Und plötzlich ist „einmal“ zu „jetzt“ geworden. Und was für ein phantastisches „Jetzt“. Es wurde nämlich ein „Jetzt2, das sich ausbreitete, und ausbreitet über alle, die wich von ihm überwältigen lassen. Ein „Jetzt“, das von Ewigkeit zu Ewigkeit währt, denn es war nie ganz weg. Wir konnten es nicht sehen, und wir glaubten, dass Gott nur zeitweise bei uns war, aber die Wahrheit ist, dass Gott nie weg war. Nicht eine Sekunde waren und sind wir ohne ihn.

Es war einmal ….“ - so beginnen die alten Märchen, und wir können fortfahren: „Es war einmal, und deshalb wird es immer sein“. Gott hat für immer sein Bild in uns gesetzt, und auch wenn es uns vorkommt, als ob Gott zeitweise für uns verschwindet, so verschwinden wir nie von Gott. Vergisst eine Mutter ihr Kind? Gibt ein Vater den Kindern Steine, wenn sie um Brot bitten? Immer haben die Eltern das Kind vor Augen, manchmal erwidert das Kind die Aufmerksamkeit, aber am Glücklichsten ist es, wenn die Liebe und die Aufmerksamkeit gegenseitig sind.

Das „Jetzt“ will eindringen und sich mit dem Licht verbreiten, rasch will es in dunkle Spalten eindringen, den Glauben aufmuntern und dem Zweifel, dem unvermeidbaren, schlechte Arbeitsbedingungen geben. Das Jetzt will zu uns singen, wenn wir in der Kirche sitzen, in den Tönen der Orgel, in der Sprache des Gebets und in der kargen Stimme der Kirchenglocke. Das Jetzt will uns zu Tanz und Sorglosigkeit einladen, aber vor allem will es uns zum Handeln auffordern: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“.

Heute, liebe Freunde, geschieht es“, sagt er. „Und von mir redet die Schrift“ fährt er fort. „Ich bin gesandt, die gute Botschaft zu bringen – Ja ich bin die gute Botschaft; Ich will die Befreiung der Gefangenen ausrufen, und ich will den Blinden das Augenlicht wiedergeben, die Unterdrückten befreien, und ich will ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen. Jetzt gilt es.“

Wie sehr brauchen wir ein solches Gnadenjahr, ein Jubeljahr des Herrn. Alle wir, die wir in der Sünde gefangen sind, alle wir, an Einsichten blind, Sklaven unserer Begierden. Wir sind ja nur Menschen, wo der Geist willig ist, aber das Fleisch schwach.

Jesus ist ein ewiges „Jetzt“. Er ist der „Augenblick“, der ergriffen werden muss und von dem wir uns erfüllen lassen müssen. Aber das fällt uns schwer. Es fällt uns oft schwer, uns dem Augenblick zuzuwenden. Wir greifen der Zukunft vor oder sitzen fest in unserer Erinnerung an die Vergangenheit. Aber diese Zeiten gehören uns nicht. Die Vergangenheit ist uns aus den Händen geglitten, und die Zukunft ist eine Gabe, die wir noch nicht öffnen können – wir können nur auf sie hoffen. Wir sollten den Augenblick beachten, und das nicht nur als Mittel, uns die Zukunft zurechtzulegen. Wir sollen das Jetzt zu einem Ziel und nicht nur ein Mittel machen.

Wahrlich: Das Reich Gottes ist nicht etwas, auf das wir uns freuen sollen, sondern an dem wir uns freuen sollen. Ergreifen wir nicht den Tag, dann leben wie nie; dann hoffen wir nur zu leben. Und es ist nicht die Hoffnung, die uns durch diese Zeiten trägt. Es ist nicht einmal der Glaube, sondern es sind Glaube, Hoffnung und Liebe gemeinsam. Und die größte ist die Liebe, den in ihr liegt Schöpfung und Tat. Amen.

 



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK-2000 Frederiksberg
E-Mail: mwb(at)km.dk

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