Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 02.12.2007

Predigt zu Lukas 4:16-30, verfasst von Peter Skov-Jakobsen

Es gibt Worte und Sätze, die nicht aufhören, einen zu beschäftigen. Es gibt Bilder und Musik, die Sehnsucht hervorrufen und die Seele ahnen lassen, dass man unterwegs ist nach dem Geahnten, aber noch nicht Gesehenen; auf dem Weg nach dem Angedeuteten, aber noch nicht ganz Erfassten.

                In den Sehnsüchten kommt unser Verlangen nach dem Leben zum Ausdruck. Seit urdenklichen Zeiten ist es, als wären wir mit einer göttlichen Phantasie ausgestattet. Wir sind in eine Welt gerufen, in der es ein Verlangen nach dem Ursprünglichen gibt.

                Mitten im Chaos, mitten im Tumult, mitten im reinen Nichts schuf Gott die Welt. Mitten in der Gewaltigkeit und Unbegreiflichkeit des Universums ließ er die Menschen das Licht ahnen, die Sträucher und Bäume sehen. Sonne, Mond und Sterne setzte er auf das Himmelsgewölbe, damit wir den Weg ahnen könnten. Seitdem haben wir die Schöpfung mit Verwunderung betrachtet. Wir haben geahnt, dass sich hier Himmel und Erde begegneten. Die Schönheit und die Wildheit der Schöpfung, ihre Anmut und Gewaltigkeit hat unsere Gedanken weit umherschweifen lassen, und jedes Mal ahnten wir, dass Erde und Himmel göttliche Orte sind - Orte, an denen Gott sich ersehnen lässt.

                Der Geist Gottes ist über uns mit Sehnsucht und Verlangen nach dem Leben. Aber Gott weiß auch, wie Menschen von Leblosigkeit bestimmt sein können; er ist nicht blind gegenüber der Wirklichkeit von Bosheit, Lüge und Hass. Es ist unser Glück, dass alle Mächte der Zerstörung auf Einspruch stoßen. Jesus von Nazareth ist Gottes Protest gegen Chaos und Zerstörung. Er ist Gottes Protest gegen die Leblosigkeit und Verfinsterung. Er ist das menschliche Angesicht, das Gott auf Erden ganz und gar gegenwärtig macht. Er ist der Protest der Sehnsüchte, der eigene Ausdruck des Verlangens nach dem Leben!

                Es war wohl zu erwarten, dass sich die Leute an jenem Tag in der Synagoge wunderten! Große Freude verbreitete sich unter ihnen, als sie die bekannten Worte aus dem Propheten Jesaja hörten. Wie oft haben diese Worte nicht in ihr eigenes Leben hineingesprochen und Zukunft und Hoffnung verbreitet? Ihre Erwartung war der Messias, der von sich selbst sagte: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat. Er hat mich  gesandt, um den Armen das Evangelium zu verkünden, um den Gefangenen zu predigen, dass sie frei sein sollten, und den Blinden, dass sie sehen sollten, und den Unterdrückten, dass sie frei und ledig sein sollten, und um das Gnadenjahr des Herrn zu verkünden."

                Sie wussten, dass diese Worte Leben bedeuteten. Das hatten sie jedesmal erfahren, wenn sie in die Verbannung geschickt worden waren - sie wussten es, wenn sie erfahren hatten, einem Despoten ausgeliefert zu sein. Sie wussten, dass Hoffnung in diesen Worten lag, wenn die Armut alle Ehre aus ihrem Leben entfernte und sie der Verachtung durch andere auslieferte.

                Die Worte tragen noch immer die Hoffnung auf Zukunft in sich, wenn jemand versucht, sich unseres Lebens zu bemächtigen und die Zukunft in uns zu ersticken. Die Worte lassen noch immer die Freiheit leuchten, wenn jemand uns mit Gerede, Dummheit und Unterdrückung niederwerfen will. Die Worte lassen uns noch immer ahnen, dass es ein ursprüngliches Verlangen nach Leben gibt, das alle Hoffnungslosigkeit erstickt, das uns glauben lässt, dass es Güte und Gerechtigkeit auf der Welt gibt.

                Aber zu dem Verlangen nach dem Ursprünglichen, zu der Begierde nach dem Leben und der Wahrheit gehört also auch die Tatsache, dass wir uns damit abfinden müssen, dass Gott sich nicht dazu überreden lässt, so auf Erden zu wandeln, wie wir es uns gewünscht haben mögen. Gott lässt sich nicht an unsere Vorstellungen binden, an unsere Worte, an unsere Taten. Gott lässt sich nicht für unsere Vorhaben missbrauchen und erfüllt nicht einfach unsere Idole. Gott lässt sich nicht in unseren Hoffnungen herumkommandieren.

                Jedesmal, wenn die Adventszeit kommt, entdecken wir, dass er derjenige ist, den wir noch nicht kennen - er ist derjenige, den wir ahnen und nur undeutlich sehen. Er ist derjenige, der das Licht in finsterer Zeit dämmern lässt, und er ist derjenige, der uns einen Zusammenhang ahnen lässt in all dem Chaos von Stimmen und Haltungen, die es in der Welt gibt. Irgendwie bewirkt er Hoffnung in uns, obwohl uns die Hoffnungslosigkeit umgibt.

                Advent, die Zeit der Erwartung, ist auch eine lange Auseinandersetzung und ein Aufruhr gegen die Welt. Es mag möglich sein, dass wir den Monat mit aller nur möglichen Gemütlichkeit umgeben und uns anscheinend hinter den Glanz des Idylls zurückziehen; aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass alle diesen lieben und idyllischen Phantasien uns unberührt lassen. Irgendwie sind sie auch Ausdruck des Verlangens. Sie sind unsere Weise, das Ursprüngliche zu suchen! Wir sind auf eine intensive Weise zusammen; wir versuchen, die Wünsche der Kinder zu sehen, wir sehen nach dem Verlangen in ihren Augen, freuen uns über ihre gespannten Stimmen, während wir zugleich rastlos tätig sind, versuchen wir auch, unsere Geschäftigkeit zu dämpfen, so dass wir jedenfalls unsere Lieben genießen und beobachten können.

                 Eigentlich ist das wohl alles ein Protest gegen die Geschäftigkeit anderer Tage, der uns nur in einen Zustand der Verwirrung und Verärgerung versetzt. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Oberflächlichkeit in unserem Dasein, und es ist eine Hoffnung, dass wir einander verstehen können und Einsicht in die göttliche Liebe erhalten können.

                In der Adventszeit entdecken wir auch, wie wir uns normalerweise für die sogenannte Wirklichkeit rüsten. In dieser Zeit begegnen wir dem, der keine anderen Waffen kannte als die der Liebe. Wir begegnen dem, der auf einem Esel in die Stadt Jerusalem geritten kam, dem, der so rätselhaft ist, dass kein Wort ihn vollständig beschreiben kann. Wir merken, dass er die eigentliche Macht ist, aber seine Waffen sind weder Schwert noch Schild, Helm oder Speer. Er kommt wirklich mit unergründlicher Rätselhaftigkeit. Der norwegische Dichter Överland drückt das auf einfache Weise im Gedicht aus:

"Wir kennen ihn noch nicht.
Wir wissen nicht, wer er ist.
Er trägt keine Krone.
Er führt kein Heer.
Wir bemerken nur eine Stille:
Jetzt ist er hier!"

Er ist die unerschütterliche Gottesliebe, der Fels der Wahrheit, und zugleich ist er der Ausdruck der hingegebenen Liebe. Niemand soll sich irren. Seine Liebesäußerungen geben uns nicht einfach nur Wärme und Freude; sie lassen uns auch aufspringen empört darüber, dass er uns nicht in Ruhe lässt; dass er gegen unsere Gewohnheiten protestiert, gegen unsere Eingebildetheit. Gott kommt immer als eine Überraschung - als Waffe des Lichts: der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, die Gerechtigkeit, das Maßhalten, die Weisheit kommen immer als eine Überraschung - und sie fordern die Menschen auf, tatsächlich zu leben wie im Bild Gottes geschaffen - also mit einer göttlichen Menschlichkeit.

 

Amen

 



Pastor Peter Skov-Jakobsen
København (Dänemark)
E-Mail: pesj(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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