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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 29.11.2015

Predigt zu Römer 13:8-12 , verfasst von Christoph Rehbein

 

Liebe Gemeinde,
die Nacht ist vorgerückt.
Ich möchte in meiner Auslegung mit einem der mittleren Verse beginnen. Ich kann in diesem Jahr nicht unmittelbar im Advent ankommen. Meine Gedanken hängen noch fest in jener schwarzen Nacht von Paris und dem Tag danach:
Wir standen mit unseren Vorkonfirmanden am Samstag um 12 am Portal der katholischen Kirche. Das Thema war Kirchenerkundung: Was unterscheidet eine katholische von den evangelischen Kirchen?
Ich bin erstaunt: Der Priester ist nicht da. Wo er doch sonst so zuverlässig ist. Ich rufe ihn an und höre seine erschrockene Entschuldigung. Er habe uns total vergessen über den Ereignissen von Paris. Die würden ihn schon den ganzen Vormittag beschäftigen. Nun gut – der Unterricht kann auch anders weitergehen. Aber auch ich bin jetzt ein wenig aus der Bahn geworfen. Bis dahin hatte ich mich auf meine Aufgabe konzentriert: Konfirmandenunterricht. Die schlimmen Nachrichten hatte ich noch nicht richtig an mich herangelassen. Nach dem Telefonat mit dem bestürzten Kollegen gehen sie auch mir ganz plötzlich unter die Haut.

Drei Tage später kommt die Schockwelle endgültig in unserer Stadt an. Eine Lichterkette mit 1000 Menschen, die am Rathaus beginnt, endet vor dem Fußballstadion. Das Länderspiel wird abgesagt. Wegen Terrorwarnung. Unsere Tochter ruft an, wann ich komme. Sie ist allein zuhause. Mit dem Rad fahre ich dann durch fast menschenleere Straßen. Wer irgend kann, ist daheim und verfolgt dort die Nachrichten. Es ist als ob die Angst herumschleicht.

Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.
Jochen Klepper hat zu diesem Text ein bekanntes Adventslied gedichtet. Die ersten beiden Strophen haben wir gerade gesungen. Es ist ein Lied gegen die Angst. Die ging auch damals umher. Und ergriff viele, die nicht systemkonform waren in den späten 30er Jahren. Jochen Klepper stand theologisch der Bekennenden Kirche nah, war also Gegner der Deutschen Christen. Auch wenn er sich politisch kaum betätigte. Er hatte auch so genug Probleme. Schon kurz nach der Machtübernahme Hitlers verlor er seine Festanstellung beim Berliner Rundfunk. Er war SPD-Mitglied und hatte auch noch eine jüdische Frau. Sein Leben geriet zunehmend unter Druck, so dass die Eheleute und eine Tochter 1942 ihrem Leben selbst ein Ende setzten. Auf der Hälfte dieser bergab führenden Wegstrecke schreibt er dieses Lied. Überhaupt so lange am Leben zu bleiben, dazu hilft ihm und seiner Familie das Wort Gottes. Unter dem Schatten Seiner Flügel – so lautet der Titel seiner Tagebücher aus finsterer Zeit. In ihnen hat jeder Tag, auch jeder traurige, die Herrnhuter Losung als Überschrift. Neben die Angst tritt das, was die Heilige Schrift zu sagen hat. Neben der Macht des Terrors existiert eine ganz andere Realität: Das, was Gott zu sagen hat. Das, was ER zu tun gedenkt.

Auf ebenso festem Glaubensgrund kann Paulus sagen: Der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns nun ablegen die Werke der Finsternis.
In Kleppers Lied klingt das (in der dritten Strophe) dann so:
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf. Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

Der Dichter spricht sich selbst nicht frei von Schuld. Und er nennt die Macht beim Namen, die größer ist als jedes Ego. Und stärker als alles menschliche Versagen. Er weiß, wer aller Zeiten Lauf den Takt vorgibt. Wer die Waffen des Lichts anlegt, hat einen festen Verbündeten. Es ist das Kind im Stall, das die Nacht hell macht. Und damit jede Dunkelheit vertreibt. Auf dieses Ziel lohnt es sich zuzugehen: Ihr sollt das Heil dort finden.

Der Autor des Römerbriefs traut uns noch mehr zu. Ich gehe einen Vers weiter nach vorn in unserem Text.
Und das tut – gemeint ist die Nächstenliebe – weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
Wie meint Paulus das? Er hat fest damit gerechnet, dass der Auferstandene bald vom Himmel zurückkommt zur Erde. In dieser Zuversicht, mit Blick auf Christus, schreibt er auch seinen letzten Brief. An die junge christliche Gemeinde in Rom, dem Zentrum des Kaiserkultes. Paulus hat sich leider geirrt. Auch ihm gebührte nicht zu wissen Zeit noch Stunde (Apg 1,7!) der Rückkehr Jesu Christi. Resigniert könnte man sagen: Paulus verkündigte die endgültige Herrschaft Gottes – was kam, war das Kirchenjahr.

Alle Jahre wieder werden die Feste gefeiert, die damaliger Hoffnung gedenken. Sie in die Gegenwart ziehen wollen. Ganz ehrlich, liebe Gemeinde, ich bin froh, dass wir diese Feste noch immer feiern. Und so als Kirche ausnahmsweise der Welt an entscheidender Stelle immer etwa einen Monat voraus sind. Heute beginnt das neue Kirchenjahr quasi wie der erste Tag der Schöpfung: Aus Dunkelheit wird Licht. Im Advent leben wir auf die Zeit hin, in der die Tage wieder länger werden. Die Dunkelheit weicht schon kurz vor der Heiligen Nacht. Jesu unbekannter Geburtstermin wurde in der Alten Kirche bewusst auf die Zeit der Sonnenwende festgelegt. Um den vergänglichen Glanz römischer Kaiser, namentlich des unbesiegten Sonnengottes (sol invictus), zu überstrahlen.

Und noch einen dritten Vers möchte ich vor unseren Ohren noch einmal lesen. Und gehe dazu wiederum einen Schritt nach vorn Richtung Anfang unseres Textes:
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Dies möchte ich nicht naiv interpretieren. Auf Terroristen findet der erste Satz keine Anwendung. Wie können sie Nächste sein, wenn sie jede Nähe verlassen? Sie müssen an ihrem Morden gehindert werden! Es mag sein, das sie als Kinder nicht genug Liebe erfahren haben. Das gibt ihnen nicht das Recht, sich mit Bomben und Sprengstoff zu Vollstreckern eines angeblichen Gotteswillens zu erklären. Das ist Lästerung auch des Namens von Allah.

Was helfen nun dagegen die biblischen Waffen des Lichts in Gestalt aktiver Nächstenliebe? Unmittelbar noch gar nichts.
Avni Altiner ist Vorsitzender des muslimischen Dachverband Schura. Er sprach beim Gebet der Religionen zwei Tage nach der Pariser Nacht in der Marktkirche. Und er sagte etwas sehr treffendes: „Terror hat keine Religion.“...

Ich ergänze: Religion bietet aber Waffen gegen den Terror. Gelebter Glaube an Gott greift zur Waffe der Liebe. Die ist noch nicht weltbeherrschend. Aber am Ende wird sie den Terror ausdörren. An solcher Zuversicht  gilt es festzuhalten gegen Ende eines weltpolitisch schwierigen Jahres. Nicht umsonst trat Martin Luther King wieder in den Blickpunkt 60 Jahre nach der mutigen Tat von Rosa Parks im Linienbus von Montgomery. Der Film Zelma spricht auch Jugendliche an, weil er eindrucksvoll zeigt: Gewalt ist die Sprache der Finsternis. Als Christen reihen wir uns ein bei denen, die sich dem Licht entgegenkämpfen. Ohne Gewalt, aber entschlossen. Ohne Rosa Parks und King gäbe es heute keinen Barack Obama als US-Präsidenten.

Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.
Mit dem verbündet sich Paulus an dieser Stelle, ganz auf der Linie jesuanisch-jüdischer Wurzeln. Alle Gebote wehren gieriger Selbstüberhebung und haben das eine Ziel: Der Liebe Gottes zum Durchbruch zu verhelfen, dass sie jeden, aber auch wirklich jeden Menschen erreicht.
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
(Micha 6,8)
Um Liebe zu üben – man verlernt sie in dunkler Zeit leicht – braucht es Vorbilder. Von einem Vorbild für Demut ist in der Liturgie jüdischer Sabbat-Gottesdienste vor Beginn des Chanukkah-Festes die Rede. Wir haben schon in der Schriftlesung von ihm gehört (1. Mose 50,15-25): Joseph sagt seinen Brüdern eine ewige Wahrheit über unseren Gott. Die hatten ihn einst aus Eifersucht verstoßen. Doch der kann ihnen am Ende verzeihen mit den Worten: Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. (1. Mose 50,20)

Vielleicht, liebe Gemeinde, dürfen wir dies in einem kühnen Schwung auf das ganze große Menschenvolk beziehen. Gott will, dass es am Leben erhalten wird. Nächstenliebe übend tragen wir dazu bei. Auch dann, wenn wir gegen Waffenexporte eintreten. Wenn wir stattdessen Gottes Liebe exportieren, also nach außen tragen. Hin zu den Zugewanderten, um die so viele von uns sich schon kümmern. Ihnen helfen, dass sie bei uns ein Zuhause finden, wo ihr Recht auf Lebensfreude nicht bedroht ist.

Zum Schluss möchte ich noch aus der jüdischen Tradition über Joseph den Gerechten erzählen, wie sein Vorbild weiterwirkt:
Babylonischer Talmud, Sota 13a, zitiert nach J. Petuchowski, gefunden in Axel Töllners Auslegung in den neuen Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext
„All die Jahre hindurch, in denen die Israeliten durch die Wüste wanderten, wurden von ihnen zwei Kästen nebeneinander getragen. In dem einen lagen die Gebeine Josephs, und in dem anderen lagen die Steintafeln mit den 10 Geboten. Wenn Menschen, die die Wüste durchquerten, die Israeliten fragten: ’Welche Bewandnis hat es mit diesen beiden Kästen?‘, erhielten sie die Antwort: ‚Einer ist der eines Toten, der andere ist Gottes.‘ Als dann erstaunt weiter gefragt wurde: ‘Aber ist es denn passend für einen Toten, zusammen mit der göttlichen Anwesenheit zu wandern?‘, antworteten die Israeliten: ‚Dieser hat erfüllt, was auf jenen geschrieben steht‘.“

Und wenn er nicht gestorben ist, dieser Gedanke, dann lebt er auch in uns weiter.
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf.

Wir singen vom angefangenen Lied noch die Strophen 3 bis 5.
Und Gottes Friede...

Amen

 



Christoph Rehbein

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