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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 25.02.2007

Predigt zu Matthäus 4:1-11, verfasst von Peter Skov-Jakobsen

Die Wüste ist ein gefahrvoller Ort. Sie ist da, wo alles zugrunde zu gehen scheint. Dazustehen und in eine Wüste hinauszublicken, ist faszinierend. Soweit das Auge reicht, gibt es nichts als die Konturen der öden Landschaft. Aber das öde Land ist auch mehr oder weniger unwegsam. In der Wüste unterwegs zu sein, muss mit Furcht und Schrecken verbunden sein. Hier darf man keinen Fehler begehen. Verirrt man sich, ist es aus.

             Die Wüste ist der Ort, wo man nicht mehr richtig wahrnehmen kann. Man ist so starker Sonne und Trockenheit ausgeliefert, dass es einem buchstäblich vor den Augen flimmert. Es ist unmöglich, klar zu sehen. Noch schlimmer ist, dass die Halluzinationen sich einzustellen drohen. Sie bringen die Wirklichkeit mit Unwirklichem durcheinander und bringen einen dazu, das zu sehen, was man sich vielleicht am allermeisten zu sehen wünscht - oder was man am allermeisten fürchtet.

             Niemand soll glauben, in der Wüste sei es leer. Es mag wohl sein, dass sie öde und leer aussieht. Aber in der Wüste tobt es. Zur Zeit Jesu war niemand im Zweifel. In der Wüste toben die Dämonen. Sie griffen alles Lebendige an und drehten die Kehrseite allen Lebens nach außen.

             Mit Dämonen tun wir uns schwer heutzutage. Unsere Ahnen versahen sie gern mit Gesichtern. Sie konnten den Dämonen auch Leiber geben. Die Dämonen lebten und tummelten sich unter Menschen. Glücklicherweise fanden unsere Ahnen es recht leicht, sie zu erkennen. Teils hatten die Dämonen zu viele Zehen, teils waren ihre Füße nach innen, gegeneinander gedreht, und sah man genau hin, konnte man auch ein dämonisches Aussehen ahnen: d.h. entlarvende Hässlichkeit und vielleicht sogar kleine Hörner an der Stirn. Man schaue sie sich selbst an auf unseren zahlreichen Fresken in Dänemarks Kirchen.

             Wir können heute kaum ein Lächeln unterdrücken angesichts solcher Vorstellungen unserer Vorfahren. Aber ehe wir nun allzu laut über sie lachen, sollten wir vielleicht die Ehrlichkeit betrachten, mit der sie dem Dasein begegneten. Sie bemerkten trotz allem, dass es nicht immer so leicht war, Mensch zu sein. Es gab so viele Mächte und Gewalten, die einen gut im Griff zu haben schienen. Viele Mächte dieser Art konnten völlig von einem Besitz ergreifen, und es war, als konnte man nicht von ihnen loskommen. Die Mächte bedienten sich aller möglichen Kniffe. Die Dämonen waren nicht nur böse, sie waren auch listig. Sie lockten Menschen mit großen Erwartungen - sie verkleideten ihre Bosheit in Zierlichkeit und Reichtum, und es war schwer, der Versuchung zu widerstehen. Ehe man sich's versah, war man bis zum Hals in Lüge und Dämonie verstrickt.

             Zu Jesu Zeiten unterschied man nicht. Ein jeder, der an einer Krankheit oder einem Handikap litt, galt auch als von Dämonen besessen.

             Dieser Gedanke liegt uns in der modernen Gesellschaft fern. Wir können Kranke und Behinderte nicht so sehen. Wenn wir uns des Wortes Dämon oder Dämonie bedienen, ist es mit einer unabwendbaren Bosheit verbunden.

             Aber sogar noch in dem letztgenannten Zusammenhang ist es, als weigere sich der moderne Mensch, den Begriff überhaupt zu gebrauchen.

             Ich habe in der letzten Zeit einige Bücher über Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher gelesen, von den Aufzeichnungen eines amerikanischen Psychiaters über die Gespräche, die er mit den großen nazistischen Führern während der Nürnberger Prozesse geführt hat, bis hin zu den Berichten eines kroatischen Autoren und Journalisten über Kriegsverbrechen der allerjüngsten Vergangenheit.

             Es liegt in der Luft: wenn man sich für derartige Probleme interessiert, dann gehört es zum guten Ton, dass man immer gleich feststellt, diese Menschen dürfe man nicht dämonisieren. Dem liegt wohl folgende Haltung zugrunde: eine der furchtbarsten Erkenntnisse über das Böse und über Kriegsverbrechen ist die, dass es oft sogenannte gewöhnliche Menschen sind, die sich verwandeln und unmenschlich werden. Und wenn man sie nun dämonisiert, entlarvt man gerade nicht die Banalität, die diesen Verbrechen anhaftet, sondern man macht sie zu etwas Besonderem.

             Mir ist einigermaßen schleierhaft, wann sonst man den Begriff der Dämonie verwenden kann, wenn man ihn in diesen Zusammenhängen nicht in Anspruch nehmen darf. Es kommt mir so vor, als täten einige moderne Beobachter der geschichtlichen Wirklichkeit so, als ob es für den Menschen ungewöhnlich und nahezu nur akademisch möglich sei, Fehler zu begehen - und als ob es dementsprechend selten vorkomme!

             Ich habe Verständnis für die Versuchung, den Menschen anders zu betrachten; aber niemandem von uns ist damit gedient, wenn man so tut, als könnte es nicht total daneben gehen. Dämonie ist gar nicht etwas so Besonderes! Das Dämonische hat immer eine Versuchung dargestellt, und zwar seit der Zeit, als wir gut und böse zu unterscheiden lernten - seitdem wir versuchten, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

             Dämonie ist eigentlich ganz und gar banal. Wenn der Mensch kein Mitgefühl mit den anderen mehr zu zeigen wagt und wenn der Mensch nicht mehr wagt nachzudenken, sondern von seiner Rachsucht ergriffen wird, ergriffen wird von seinem Drang, vor den anderen gesehen zu werden, ergriffen wird von seinem Egoismus, von seiner Angst, dann wissen wir aus der Geschichte, dass das vollkommen Undenkbare geschehen kann.  Wir wissen, dass wir nicht einmal die Phantasie haben, uns das Böse und das Grauen vorzustellen, das wir einander antun können. Als man im Kreise der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg diskutierte, wie die rechtliche Aufarbeitung vorzunehmen sei, schlug Stalin vor, man könne ja damit anfangen, 50.000 deutsche Offiziere hinzurichten - der geschwächte amerikanische Präsident Roosevelt wusste nicht recht, was er sagen sollte - und Churchill wurde so schlecht, dass er den Raum verlassen musste. Schon der bloße Gedanke ekelte ihn an. Gewiss waren sie Feinde, aber sich selbst zur Bestie zu machen, weil der Feind eine war, dazu konnte er keinen Grund erkennen.

             Es ist doch Dämonie, wenn üble Nachrede und Klatsch an Arbeitsplätzen nicht zu beenden sind, es doch Dämonie, wenn sich Lüge und Verdächtigung in einem politischen System ausbreiten, es ist dämonisch, wenn Schüler sich gegenseitig drohen und so ihr Dasein verpesten.

             Dämonie sind nicht zufällige Gedanken - es geht um Taten von Menschen, wir selbst sind es, die hinter dem Undenkbaren stehen.

             Aber hier drinnen sehen wir dem entgegen, dass alles anders werden kann. Wir predigen eine Hoffnung in der Welt. Wir erinnern einander an Jesus, der für das Dämonische nicht käuflich war, sich nicht von ihm verlocken ließ, sich nicht von ihm abschrecken ließ. Er war ihm ausgesetzt - und hin und wieder mögen wir wohl die Frage stellen, warum er absolut so menschlich sein muss? Konnte er denn nicht einfach das Dämonische überwinden und die ganze Welt in Besitz nehmen? Warum muss er sich absolut der menschlichen Schwachheit, Gebrechlichkeit und Verletzbarkeit aussetzen? Warum konnte er nicht auf ewig reinen Tisch machen und als mächtigster König der Welt auftreten? Warum muss seine Stärke immer durch seine Milde betont werden, durch seine Menschlichkeit, durch seine Verletzbarkeit? Wir stehen tatsächlich vor dem tiefsten Geheimnis des Glaubens - nämlich dass die Liebe alles überwindet! Aber es ist also die Liebe, die von Verbrechen und Bosheit fast stumm gemacht wird - es ist das Licht, das manchmal von Finsternis und Dunkelheit erstickt zu werden droht.

             Hier drinnen sollen wir uns gegenseitig daran erinnern, als Gott im Paradies wandelte. Nach einer jüdischen Auslegung geschah es, weil Gott Adam nicht aus dem Blick verlieren konnte. Er rief ihn an. Wenn Gott ruft, will er die Erkenntnis des Menschen bewirken, dass man zu antworten hat. Wenn die Quelle aller Güte und Wahrheit ruft, muss sich der Mensch fragen, ob er der Liebe und Wahrheit gegenüber gehorsam ist oder ob wir von anderem in Anspruch genommen sind.

             Es gibt Leute, die behaupten, der Mensch könne von seinen Irrwegen nicht abgebracht werden; aber genau das ist eine Verhöhnung Gottes. Es gibt einfach nicht den Ort, an den sich der Mensch verfügt hätte, ohne dass er mit Gottes Willen auch wieder davon entfernt werden könnte. Man kann in der Welt auf vielerlei Weise reagieren. Man kann zornig werden und auf Rache sinnen; man kann missmutig werden und sich der Lüge hingeben, man kann verbittert sein und töten oder hinrichten - aber das sind alles Irrwege, Sachgassen!

             Aber man kann auch auf den Ruf Gottes hören - hören auf die Hoffnung in der Welt, denn es gibt Möglichkeiten, Verlogenheit und Verdrehungen der Wahrheit zu vermeiden - es gibt die Möglichkeit der  Wahrheit, es gibt die Möglichkeit der Nachsicht, es gibt die Möglichkeit der Vergebung und der Barmherzigkeit. Trotz alles Dämonischen in der Welt ruft Gott den Menschen an, der sich seiner selbst schämt, und er schafft das Verlangen nach dem kostbaren Leben.

Amen



Pastor Peter Skov-Jakobsen
Gammelvagt 2
1312 København K

E-Mail: pesj@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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