Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 13.12.2015

Predigt zu Lukas 1:67-80 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Eva Tøjner Götke

 

„Grüß die Leute in der Kirche schön!“, sagte die 108-jährige Frau, die in unser Gemeinde wohnt. Ich besuchte sie in der letzten Woche, einen Tag vor ihrem Geburtstag.
Das ist hiermit getan.
Ich konnte es ja nicht übers Herz bringen, ihr zu erzählen, dass all die, die sie aus der Kirche kannte, nicht mehr leben.

Aber für sie waren „die in der Kirche“ wohl auch Ausdruck einer Gemeinschaft, die Gemeinde, an der sie früher teilnahm, ja in ihrem ganzen langen Leben war sie Glied der Gemeinde.

Ich erinnerte mich daran, als ich sie kennenlernte, war sie schon eine Frau von 88 Jahren – und damals kam sie also treu in die Kirche, konnte am Altar knien und nahm an den Vortragsabenden im Gemeindesaal teil.
Nun lag sie in ihrem Bett. 108 Jahre alt.

Willst du ein Lied für mich singen?
Näher komm Gott, zu dir (Nærmere Gud til dig).
Und ich fand ihr altes Gesangbuch, mit einer Ergänzung aus der Thomas Kingo Kirche aus dem Jahre 1958! – Und ich begann, das Lied zu singen.
Und die Alte in ihrem Bett sang mit, sie konnte alle Strophen auswendig.

Willst du nicht auch singen Die Liebe kommt von Gott (Kærlighed fra Gud).
Auch da konnte sie mitsingen.

Das war ein großes und starkes Erlebnis.
Die Kraft des Liedes, die Kraft der Worte, ein ganzes Leben mit Kirchgang und Vertrautheit mit dieser Welt – das konzentrierte sich in einem Jetzt, als wir gemeinsam an ihrem Bett sangen.

Heute geht es auch um Gesang.

Was wir im Lied ausdrücken können – und vielleicht sogar, wie wir durch Singen Gefühle ausdrücken, für die wir im gesprochenen Wort schwer Worte finden.

Weil die Sprache, die uns zur Verfügung steht, allzu alltäglich ist – und für den Alltag, das Triviale und Vernünftige und Logische und Praktische verwendet wird.

Wir spüren die Bedeutung des Singens hier in der Weihnachtszeit.
Wie das Singen dazu beiträgt, das Fest emporhebt, so dass es um mehr geht als all unsere Geschäftigkeit mit Einkaufen und Arrangieren von weihnachtlicher Gemütlichkeit.

Durch den Gesang werden uns Worte auf die Zunge gelegt, die wir nie im Alltag verwenden – Worte wie verkündigen, Barmherzigkeit, Erlösung und Vergebung der Sünden – und heute – im Gesang des Zacharias – die Hoffnung auf den „Aufgang aus der Höhe, auf dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richten unsere Füße auf den Weg des Friedens.“

Die Vorgeschichte zu diesem Lied, in das Zacharias, der alte Priester, einstimmt, ist der Umstand, dass er und Elisabeth lange darauf gewartet haben, ein Kind zu bekommen.
Schließlich haben sie angeblich die Hoffnung aufgegeben.
Und sich mit der Kinderlosigkeit abgefunden.

Und siehe, plötzlich eines Tages, steht der Engel des Herrn zur Rechten von Zacharias am Altar, als er dem Herr Rauchopfer bringt, und verkündet ihm, siehe es ist geschehen: Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, des Namen sollst du Johannes heißen.

Aber Zacharias kann es nicht glauben. Das ist unmöglich.
Und weil er den Worten des Engels nicht glaubt, wird er mit Stummheit bestraft.
Das ist eine harte Strafe für einen Priester!
Bis der Junge geboren ist, und er auf einer Tafel geschrieben hat, dass sein Name Johannes sein soll.

Da bekommt er seine Stimme wieder.
Und da fängt er an zu singen.

Seine Freude wird zu Gesang.
Sein Leben wird ein Gesang.
Denn das, was er für unmöglich hielt, hat sich in seinem Leben zugetragen. Und Johannes, sein Sohn, wird der, der in der Heilsgeschichte die Hoffnung in den Menschen wecken und den Weg für den bahnen soll, der kommen wird: Christus.

Und eben dies kann der Gesang.
In den Liedern werden uns einige Worte in den Mund gelegt, die wir selber nicht glauben oder aussprechen können, weil sie so groß sind, dass sie uns verstummen lassen.
Wie Zacharias. Der Gesang kam uns zu Hilfe.

Und so wie Johannes der Täufer den Weg bahnen sollte und die Menschen auf ihn vorbereiten sollte, der kommen wird und Frieden bringen wird – und die Hoffnung am Leben erhalten soll – so ist es auch mit dem Gesang – und vielleicht vor allem in der Weihnachtszeit.

Die Weihnachtslieder öffnen den Himmel über uns, sie öffnen eine Tür hinein in unsere Herzen, in das, was sich darin verbirgt an Glauben, Sehnsüchten, Freude und Leid – und das wir alle in zerbrechlichen irdischen Gefäßen mit uns herumtragen.

Ein Glaube, eine Hoffnung, eine Sehnsucht, zu denen man sich im Alltag nur schwer verhalten kann und die man dort nur schwer ausdrücken kann, weil wir mit so vielen Dingen und Gedanken und Sorgen beschäftigt sind.

Und vielleicht flüchten wir ja auch davor, mit dem Glauben, dem Zweifel, der Hoffnung, der Verzweiflung und der Sehnsucht konfrontiert zu werden, weil das Gefühle sind, die schwer zu handhaben und auf eine Formel zu bringen sind – so wie wir das gerne tun, so dass wir das Gefühl haben, alles unter Kontrolle zu haben.

Deshalb halten wir Gottesdienst.
Um die Sehnsucht hinaus zu singen und zu beten, die in uns wohnt.
Und damit der Gesang der Klangboden in uns sein kann, der uns hilft, hier in der Welt zu sein.

Das gibt es etwas, was uns hilft, wenn wir keine Worte mehr finden.
Wenn wir alt werden – 108 Jahre – und Zeit und Ort nicht mehr kennen.

Oder an dem Tag, wo wir nicht wissen, was wir sagen sollen: Wenn wird traurig sind und gebrochen – oder wenn wir froh sind und dankbar und nicht wissen, was wir mit unserer Freude anfangen sollen.

Dann darf ich lieber treu sein zu der Botschaft heute, den Redestrom stoppen und alle auffordern, der Weihnacht singend entgegenzugehen.

Ein froher Advent!

 



Pastorin Eva Tøjner Götke
DK-5230 Odense M
E-Mail: Etg(at)km.dk

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