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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 13.12.2015

Seid Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse!
Predigt zu 1. Korinther 4:1-5, verfasst von Dieter Splinter

 

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man von den Haushaltern nicht mehr, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.


I.

Liebe Gemeinde!

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“  Die Zeit des Fragens und Suchens ist vorbei. Wer weiß schon, wer ich bin? Die Eltern? Freunde und Kollegen? Partner, Partnerin, Kinder? Weiß ich denn selbst, wer ich bin? Wozu lebe ich? Paulus hat alle diese Fragen hinter sich gelassen und kennt seine Aufgabe: „Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Alle anderen Ansprüche an die Person haben ihr Recht verloren.

Zur Welt kommen, geboren werden, das bedeutet in der Regel sich von Anfang an lauter Ansprüchen gegenüber zu sehen. Schrei nicht so laut! Sei ein gehorsames Kind! Ein fleißiger Schüler! Ein zuverlässiger Azubi! Eine leistungsstarke Studentin! Ein braver, steuerzahlender Bürger! Ein starker, möglichst gut aussehender Mann! Eine schöne, intelligente Frau! Behaupte dich im Leben! Sei erfolgreich – in Schule, Ausbildung, Studium, Beruf! Verdiene genug Geld und lege es gut an! Führe ein harmonisches Familienleben, möglichst mit zwei oder drei Kindern! Sei ein frommer Christenmensch! Zwäng dich hinein in dieses Korsett aus Ansprüchen und Idealen!

Das alles ist für Paulus vorbei. Deutlich wehrt er sich gegen die Idealbilder, an denen die Gemeinde zu Korinth ihn und seine Arbeit messen will und setzt dagegen: „Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“  Ja, meint Paulus, auch Christen sind mit ihrer Geburt in eine Welt voller Ansprüche gekommen. Aber wir sind den Maßstäben der Welt entzogen. Eine einzige Wirklichkeit zählt. Eine einzige Zugehörigkeit bestimmt unser Leben und zerreißt alles andere, was uns abhängig macht. Wir sind „Diener und Verwalter“ im Bereich der Macht Jesu Christi. In diesem Machtbereich haben die sozialen, die moralischen und die religiösen Normen der Welt ihre uneingeschränkte Geltung verloren. Es gilt vielmehr das Gesetz der Gnade Christi. Das verbietet jede Vorverurteilung: „... der Herr ist's, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, ehe der Herr kommt.“

II.

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ „Diener Christi“ - „und Haushalter über Gottes Geheimnisse“: Was meint Paulus damit?

Ein Leben lang sind wir Geheimnissen auf der Spur. Es beginnt früh und unbewusst schon als Säugling in der Wiege. Da ist die Mutter immer wieder einmal abwesend. Sie kehrt zurück und hebt ihr freundliches und lächelndes Angesichts über einem. Wie kommt das? Bald danach und immer wieder die Entdeckung des eigenen Körpers – und dann auch dies (im Lauf der Zeit): Einsichten in den eigenen Charakter. Das und das gehört zu mir. Etwa: Ich bin klug, neige aber bisweilen zur Faulheit. Ich bin ehrgeizig, stelle mir dabei aber hin und wieder selber ein Bein. Und: Ich bin anders als mein Bruder, anders als meine Schwester!  Die können manches besser als ich, etliches weniger gut. Dazu die Rätselhaftigkeiten und die Entdeckung des anderen Geschlechts. Und schließlich – die Rätsel der Welt: Entwicklungen in  Geschichte und Gesellschaft. Die Naturgesetze des Universums. Unsere Hochschulen kann man als Einrichtungen ansehen, das herauszufinden, was man nicht weiß, aber wissen könnte. Und dann, wenn man es weiß, wieder auf neue Rätsel stößt!

Aber auch hier hat Paulus eine Alternative. Wir sind auf der Welt, um viel zu entdecken. Die Geheimnisse der Schöpfung wollen gelüftet werden. Die Entwicklungen in Geschichte und Gesellschaft wollen verstanden werden. Probleme und Krisen wollen bewältigt werden: Wohin mit den vielen Flüchtlingen, wie die Ursachen bekämpfen?Aber wir sind auch dazu auf der Welt, um uns auf die Geheimnisse Gottes einzulassen. Wir sollen dabei „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ sein.

Paulus redet hier ganz nüchtern von „haushalten“, „verwalten“. Doch erwächst aus dieser Nüchternheit eine Schwierigkeit. Wie kann man ein Geheimnis, gar die Geheimnisse Gottes treu verwalten? Ein Vorwurf, der den großen Kirchen ja immer wieder gemacht wird ist, sie würden Religion nur noch verwalten und zu wenig oder gar nicht mehr mit dem Geist Gottes rechnen. Manchen Theologen sagt man sogar nach, sie könnten zwar die Geheimnisse Gottes  auf den Begriff bringen, hätten aber gerade deshalb von nichts eine Ahnung. „Nun fordert man“ aber „von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.“

Wie geht das überhaupt - die Geheimnisse Gottes verwalten? Es gibt wahrscheinlich nur eine Haltung, in der das wirklich geschieht. Das ist die Anbetung. Wer Gott lobt, lässt alle Welt hinter sich. Der will nicht mehr verstehen und nicht mehr erklären, weil er das Fragen und Suchen immer mehr vergisst. Diese Einsicht führt so manchen Evangelischen auf Zeit in ein katholisches Kloster. Und: Je tiefer man in das Geheimnis Gottes eindringt, umso weniger muss man darüber Bescheid wissen: „Christi Leib, für dich gegeben.“  „Christi Blut für dich vergossen.“  „Groß ist das Geheimnis des Glaubens.“

III.

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Zur Welt kommen heißt nach sich selber zu suchen und die Rätsel der Welt zu erforschen. Mit ihren Problemen umgehen. Zur Welt kommen heißt aber auch unter das Urteil anderer Menschen zu geraten. Von Anfang an, seitdem wir uns erinnern können und längst vorher, sitzen andere über uns zu Gericht.

Wie schmerzlich kann das erste Wort der Kritik sein, das Vater oder Mutter über einen verhängen. Wie tief können Schüler und Schülerinnen von einer schlechten Note getroffen werden. Und selbst die, die so tun als ob sie die Schule gar nichts anginge, verraten durch ihre negative Haltung ihre Sehnsucht nach einer positiven Bestätigung. Wie spannungsgeladen können jene Lebensphasen sein, in denen wir oder jemand, den wir lieben, durch eine Prüfung geht. Und - wie unerträglich kann es sein, von einem anderen Menschen abgelehnt zu werden.

Zur Welt kommen, das heißt immer auch: dem Urteil anderer ausgesetzt werden, manchmal direkt, manchmal indirekt. Und das heißt dann: Zeugnisse, Personalakten, Orden; aber auch: Klatsch und Tratsch, Gerüchte und Gerede – und im schlimmsten Fall, nach entsprechend schlimmen Taten zu Recht, Gerichtsurteile.

So oder so, gibt es immer Anklagen, die von außen kommen. Und Vorwürfe, die man sich selber macht. Die sollte man auch nicht vorschnell zur Seite schieben. Bekanntlich ist Selbsterkenntnis immer noch der erste und beste Weg zur Besserung. Doch all das – die Vorwürfe von außen und die Selbstanklagen – dürfen dann, so Paulus, auch einmal vorbei sein. Gegen alle Beschuldigungen aus der Gemeinde setzt der Apostel den Satz: „Mir aber  ist's ein Geringes,   dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht, auch richte ich mich selbst nicht.“

„Christi Leib – für dich gegeben!“ „Christi Blut für dich vergossen – zur Vergebung der Sünden“. Wer im Machtbereich Christi lebt, der kann vom Urteil der anderen nicht mehr getroffen werden. Der ist auch und vor allem von Selbstvorwürfen befreit. Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Ist es genug? Was mache ich heute daraus? Darüber haben nicht andere, darüber habe noch nicht einmal ich selber zu urteilen. Vielmehr wird er, wird Christus „ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist und wird das Trachten des Herzens offenbar machen. Dann wird einem jedem von Gott sein Lob zuteil werden.“

Wunderbarerweise steht hier dieses eine Wort: Lob. „Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ Wir guten und schlechten Schüler und Schülerinnen, wir guten und schlechten Menschen, wir guten und schlechten Christinnen und Christen – wir werden gelobt werden.

IV.

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von diesen Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.“ Wie also sieht diese Treue aus?

Wir kommen in die Welt, um ihr darin um Christi willen fremd zu werden und damit frei vom Diktat der Ideale. Sie mögen uns bisweilen Orientierung geben, doch schüren sie eben all zu oft auch die Angst vor dem Versagen. Und wenn man den Idealen und Ansprüchen nicht genügt, bekommt so mancher Schuldgefühle und macht sich Vorwürfe. Wer aber frei vom Diktat der Ideale wird, wird frei vom ewigen Zwang über sich selber nachzudenken. Warum ist es so gekommen und nicht anders? Was habe ich alles falsch gemacht? Warum gelingt mir nicht das, was anderen gelingt? „Der Herr ist's, der mich richtet.“ Nicht ich selbst, nicht andere. „Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.“

Advent – Ankunft. Der Herr kommt. Er war schon einmal leibhaftig da. Alle Jahre wieder erinnern wir uns daran. Wir erinnern uns daran, dass der „Herr der Herrlichkeit, der König aller Königreich, der Heiland aller Welt zugleich“, „ein Kindlein klein“ geworden ist. Anders ist er in die Welt gekommen als man das vom Herrn und Schöpfer der Welt erwartet hätte. Das lässt hoffen. Wenn er einmal wiederkommen wird zu richten die Lebenden und die Toten,  wird es erneut anders sein als erwartet. Was wir im Herzen bewegt haben, wird offenbar werden. Wonach das Herz zu trachten hat, worin es treu zu sein gilt, ist für Paulus klar: Diener Christi zu sein und Haushalter über Gottes Geheimnisse. In der Anbetung Gottes, indem wir uns in das Geheimnis des Glaubens versenken, sind wir es. Und finden darin neue Kraft, uns den Problemen und Rätseln der Welt zu stellen!

So bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist denn all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.




Pfarrer Dr. Dieter Splinter
79249 Merzhausen
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de

Bemerkung:
Dr. Splinter ist Landeskirchlicher Beauftragter für den Prädikantendienst


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