Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 13.12.2015

Einander annehmen
Predigt zu Römer 15:4-13, verfasst von Jorg Christian Salzmann

 

I

Auf dem Adventskranz brennt die dritte Kerze, und innerlich gehen wir auf Weihnachten zu, selbst wenn das Wetter für unsern Geschmack insgesamt noch zu warm ist. Advent, das heißt: Der Herr kommt. Jesus Christus hat sich auf den Weg gemacht zu den Menschen. Er kommt auch zu dir und klopft an deine Tür – das wäre so eine richtige Adventsbotschaft.

Der Apostel Paulus allerdings hat etwas anderes zu sagen: Der von Gott einst versprochene Retter ist auch zu den anderen gekommen. Er kommt nicht nur zu mir, sondern auch zu denen, mit denen ich nicht so gut auskomme. Mein Heiland ist auch dein Heiland. Und deshalb gilt für uns und alle anderen: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“

II

Vorausgesetzt ist eine spannungsgeladene Situation. Das mögen wir im Advent wohl nicht gern hören, und doch kennen wir das zur Genüge: Es ist eben nicht so leicht einander anzunehmen.

In der Gemeinde in Rom gab es Spannungen. Ganz unterschiedliche Lebensweisen trafen aufeinander. Da waren die Einen, deren Leben von allerlei besonderen Regeln bestimmt war. Schweinefleisch zum Beispiel war ihnen ein Gräuel, sie hielten bestimmte Fastenzeiten ein, und ihr Wochenrhythmus war bestimmt von genauer und getreulicher Einhaltung des Ruhetages. Und da waren die Anderen. Denen fiel es schwer, dies ängstliche Beachten der Regeln zu verstehen. Waren nicht die durch Christus Erlösten frei von alledem? „Können die denn nicht mal einfach normal mit uns essen? Gott hat uns doch das Leben geschenkt und alle guten Gaben, nicht damit wir es uns extra schwer machen.“ Umgekehrt fragten die mit den Regeln, ob diejenigen, welche sich all solche Freiheiten herausnahmen, überhaupt etwas verstanden hatten vom Glauben, von Gott und der Zugehörigkeit zu Gottes Volk. Unterschiedliche Lebensweisen trafen da aufeinander in der Gemeinde. Die Leute dachten verschieden, fühlten verschieden, ihre Kleidung war anders, wahrscheinlich auch die Gerüche, und es fiel ihnen schwer einander zu verstehen.

Paulus nennt die einen mit ihren Regeln die Schwachen und die andern die Starken. Sich selbst zählt er zu den Starken, obwohl er selbst mit dem ganzen Regelwerk aufgewachsen ist. Nun aber will er nicht den einen Recht geben und den andern Unrecht. Vielmehr versucht er, allen eine neue Blickrichtung zu geben. Das tut er, indem er erst einmal die Blicke zurück lenkt auf das, was Gott in der Vergangenheit versprochen hat. Dann aber geht der Blick nach vorn, denn was Gott einst sagte, hat sich erfüllt, und deswegen sollen alle miteinander Gott loben.

Weshalb der Umweg über die Vergangenheit? Warum die vielen Zitate, die Paulus hier aus der biblischen Vorzeit heranzieht? Die Rückbesinnung wendet den Blick auf den gemeinsamen Grund für alle. Schriftzitate sind nicht für die Museumsvitrine, sondern sie leiten uns an, den Willen Gottes zu erkennen. Es lohnt sich darauf zu achten, weil damit unsere Selbstverständlichkeiten sich womöglich als Vorurteile entpuppen. Was uns ganz klar scheint, dass nämlich wir selbst im Recht sind und die anderen Unrecht haben, das kann auch ganz anders sein.

Was Paulus hier aus der Schrift anführt, sagt zweierlei: Erstens, dass nicht nur Israel als Gottes Volk zum Heil kommen, soll, sondern dass auch alle anderen, die Heidenvölker auf ihn hoffen können und zu seinem Lob kommen sollen. Zweitens ist die Zielrichtung bei allem das Gotteslob; Freude, Hoffnung und Friede sind angesagt, nicht Streit, Zwietracht und Rechthaberei.

So ganz nebenbei bekommen die mit den Regeln, das waren die Gemeindeglieder, die aus dem Judentum stammten, gesagt: Es ist keine Laune des Schicksals, sondern Gottes Wille, dass die anderen, die ihr so schwer versteht, auch mit dabei sind und zu Jesus Christus gehören. Und die anderen, die sich so stark fühlen, hören so ganz nebenbei: Eigentlich solltet ihr euch freuen, dass ihr überhaupt mit dazu gehört und nicht so tun, als wäret ihr diejenigen, die alles wissen und im Recht sind. Was für alle eigentlich zählt: Ihr habt eine gemeinsame Hoffnung, und die Verheißungen, das Heil Gottes gilt für euch alle.

III

Zugegeben: Die beschriebene Konfliktlinie ist wohl kaum ein Abbild der Probleme, die uns bewegen. Trotzdem haben die Worte des Paulus auch uns etwas zu sagen. Gerade dann nämlich, wenn ich andere Menschen in ihrer Andersartigkeit so schwer zu akzeptieren finde, dann lohnt sich die Frage, wieso ich vielleicht meine, ich hätte einen Vorrang vor denen. Und wenn ich glaube, ich allein liege richtig und die andern nicht, dann kann es gut sein, daran erinnert zu werden, dass ich kein Geburtsrecht darauf habe, von Gott angenommen zu sein. Dass er mich annimmt, ist sein Geschenk an mich. Und immer wenn einmal wieder Streit aufkommt, dann ist es gut, den Blick auf das eigentliche Ziel gelenkt zu bekommen: Das gemeinsame Gotteslob.

Allerdings fällt es schwer, solche Ratschläge zu befolgen. Deshalb ist der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen so wichtig, den wir bisher nur kurz erwähnt haben: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Allen Forderungen an mich geht nämlich das voraus: Ich bin von Christus angenommen. Darin habe ich Stärke, und deshalb muss ich mich nicht in allen Dingen und um jeden Preis behaupten. Meinen Platz bei Gott muss ich mir nicht erkämpfen; Christus hat mich angenommen.

Einander annehmen, das ist ja viel leichter, wenn ich weiß, dass ich nicht der Verlierer bin. Den anderen und die andere gelten lassen, auch wenn sie anders denken und sind als ich: Das geht gut, wenn ich nicht befürchten muss, dabei unterzugehen. Wie aber sollte ich untergehen, wenn Christus mich angenommen hat und Gott zu mir steht?

IV

Wäre es nicht schön, wenn im Advent alle Probleme und Streitigkeiten ruhen würden? Danach sehnen sich viele Menschen. Heute hören wir durch den Apostel Paulus die Botschaft, dass Christus auch zu den anderen gekommen ist. Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat: Das ist die Grundlage für Versöhnung und Frieden. Unsere Hoffnung richtet sich auf Gott. Er steht zu seinem Wort, er hat damals Juden- und Heidenchristen zusammengeführt; er schafft Versöhnung auch heute.

Wir feiern im Advent, dass Jesus Christus gekommen ist, dass er zu uns kommt und dass er dereinst wiederkommen wird. So hören wir voll Zuversicht das Segenswort, mit dem Paulus einen ersten Schlusspunkt unter seinen Brief an die Gemeinde von Rom setzt: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.“

 



Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann
61440 Oberursel
E-Mail: salzmann.j@lthh-oberursel.de

(zurück zum Seitenanfang)