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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag im Advent, 20.12.2015

Unser Güte-Zeichen
Predigt zu Philipper 4:4-7, verfasst von Stefan Knobloch

 

„Freut euch im Herrn; ich werde es immer wieder sagen: Freut euch,“ mit diesen Worten empfängt uns heute der Apostel Paulus im Philipperbrief. Freut euch! Nun ja, könnten wir denken, etwas Freude kommt schon auf in diesen vorweihnachtlichen Tagen. Es sind irgendwie schöne Tage. Die Vorfreude ist dabei manchmal fast schöner als die festlichen Tage selbst. Man freut sich darauf, wenn die Familie oder ein Rest der Familie zusammenkommt, eine Vorfreude, die manchmal auch von der Sorge begleitet wird, ob alles gutgehe und nicht der „Festtagsteufel“ alles verderbe.

Freut euch, sagt Paulus, und er fügt hinzu: „im Herrn“. Was soll dieser Zusatz? Zielt er auf die emotionale Qualität der Freude, die die Aura des Heiligen Abend mit sich bringt? Eine Freude, eine Stimmung, die in uns die Weihnachtslieder wecken? Lieder, von denen wir in der Regel auch noch die zweite Liedstrophe im Ohr haben? Nein, die „Freude im Herrn“ reicht in andere Dimensionen, in Dimensionen, deren Erfahrung wir uns oftmals gar nicht mehr zutrauen, ja, der gegenüber wir leicht misstrauisch werden, wenn wir feststellen, an Weihnachten von ihr berührt zu werden.

„Freut euch im Herrn!“ Das ist eine Kurzformel, die sich erschließen lässt. Zu dieser Erschließung sind wir in der Lage, auch wenn sich Ablagerungen auf unser Wahrnehmungsorgan gelegt haben. Die Kurzformel „Freut euch im Herrn“ müssen wir nicht gleich aus einer streng religiösen Perspektive angehen. Wir müssen ihr nicht gleich eine kirchlich ausgestellte Identitätsmarke geben. Die Aufforderung, uns im Herrn zu freuen, klingt in unseren Ohren in ihrer Abstraktheit für uns möglicherweise verstaubt, antiquiert. Sie riecht nach abgestandener Luft in einem lange nicht gelüfteten Raum. Setzt das „Freut euch im Herrn“ bei uns zu viel voraus? Hilft da der weitere Satz des Paulus aus der Verlegenheit, oder macht der alles nur noch schlimmer: „Eure Güte werde den Menschen bekannt“? Hier bringt Paulus ein Güte-Zeichen ins Spiel, das sich zum einen sozial herumspricht. Zum andern ist es – und das ist das Wichtigere – ein Güte-Zeichen, aus dem die Freude im Herrn erwächst.

Diese Behauptung mag im ersten Moment überraschen. Versuchen wir uns der „Freude im Herrn“ so zu nähern: Die Glaubenstradition, an der wir – ohne verallgemeinern zu wollen - auf die eine oder andere Weise wohl alle Anteil haben, sagt uns, dass unser Leben einen Grund und Boden hat, den wir nicht selbst gelegt haben. Es ist ein Grund, der gelegt ist, der in tiefere Tiefen hinabreicht als wir es gewöhnlich wahrnehmen. Ein Grund und Boden, aus dem uns die Erfahrung des Angenommenseins, des Geliebtseins, des Wertgeschätztseins zuwächst. Dies freilich in unaufgeregter und oft verdeckter Weise. Es ist wahr, viele Lebenssituationen, Schicksalsschläge, die das Leben zerreißen, sprechen eine andere Sprache. Da klingt die Rede vom Angenommensein, vom Geliebtsein fast zynisch. Mein Leben soll angenommen sein? Vom Herrn? Sagt mir das die Glaubenstradition?

Ja, möchte ich sagen, nach einem kurzen Zögern. Ich denke dabei an Jesus von Nazaret, wie er mit den Menschen umgegangen ist. Er hat denen Lebensmut und Lebensraum verschafft, die nichts von sich hielten, die nichts hatten außer Sorgen, Kummer und Not. Die krank, gesellschaftlich geächtet, abgeschrieben, ohne Lebensperspektive waren. Für sie war er ein Hoffnungsträger, für sie war er Licht, oder, wie es im Johannes-Evangelium heißt, für sie war er „Weg, Wahrheit und Leben“ (Joh 14,6). Aus dieser Erfahrung erwuchs ihnen – ich kann es hier nur kurz andeuten - „die Freude im Herrn“. Sie erwuchs aus der Begegnung mit dem Leben Jesu, das ein einziges Güte-Zeichen war. Ein Güte-Zeichen, das mehr war, als nur auf die Gabe dieses einzigartigen Menschen, des Jesus von Nazaret, hinzuweisen. Er war ein Güte-Zeichen, das auf Gott, auf Gottes Güte und Nähe zu uns Menschen verwies.

Die Aufforderung des Paulus, uns im Herrn zu freuen, hängt mit der Erfahrung der Güte Gottes zusammen. Nur, wo und wie können wir sie heute erfahren? Hier haben sich heute die Bedingungen, sie zu erfahren, gegenüber früher verändert. In Worten lässt sich – wie heute am 4. Advent – leicht von der Güte Gottes reden. Aber was bringt uns das? Heute, denke ich, erschließt sich uns die Erfahrung Gottes eher, indem wir und wenn wir aus der Grundhaltung der Güte, der Verantwortung für andere, der Solidarität mit anderen und der Offenheit ihnen gegenüber unser Leben gestalten. Selten fordern uns dazu die gesellschaftlichen Verhältnisse so intensiv heraus wie heute. Wir sollen Güte-Zeichen an den Tag legen. Es mag Jahrzehnte gegeben haben, in denen es ausreichte, irgendwie mit der christlichen Tradition mitzulaufen, irgendwie mit dazuzugehören. Heute ist von uns ein anderer Blick, ein Blick auf die konkrete Wirklichkeit, auf die Realität des Lebens gefordert. Gefordert ist von uns das Güte-Zeichen gelebter Güte.

Die vielen Spendenaktionen und Spendenaufrufe der adventlich-vorweihnachtlichen Zeit richten sich an unsere Güte, an unsere Bereitschaft, anderen zu helfen. Da sind wir ansprechbar. Wie aber steht es um unsere Gefühlslage, wenn wir an die Flüchtlinge denken, die in so großer Zahl in den EU-Raum und in unser Land, in unsere Gemeinden, in leerstehende Wohnungen mitten in unserer Lebenswelt drängen? Bei abstrakten Spendenaufrufen sind wir ansprechbar, da haben wir ein Herz. Aber bei der Unterbringung konkreter Flüchtlinge in der Nähe unseres Lebensraums? Bekommen wir da Rhythmusstörungen? Wenn sie uns so auf die Pelle rücken? Das gehe doch zu weit. Wir wollen lieber unsere Ruhe. Nicht wenige stehen auf, sie fühlen sich von Flüchtlingen anderer Sprache, anderer Länder, anderer Kulturen bedrängt. Ängste werden wach, Ängste um die eigene kulturelle Identität, man sieht das „christliche Abendland“ in Gefahr. Wie verlaufen die Gespräche darüber in den eigenen vier Wänden? Wie zeigen wir uns da voreinander? Verängstigt? Besorgt? Verunsichert?

Bleibt da Raum für Gedanken, für Taten der Güte? Für eine Güte, die die Grenzen des eigenen Denkens übersteigt? Die sich fremden Gesichtern und Geschichten stellt? Die in den Fremden Menschen erkennt, die unsere Hilfe, unseren freundlichen Blick, unseren Gruß brauchen und mehr? Die sogar umgekehrt in der menschlichen Begegnung unser Leben bereichern können? Wir spüren es, wir sind aufgefordert, uns von den Fesseln unserer Vorurteile, unserer Ängste zu lösen und in uns die Schätze und Ressourcen unserer eigenen Güte zu heben, die in uns schlummern.

Sorgt euch nicht, sagt Paulus den Philippern. Er spricht vom Frieden Gottes, der unsere Vorstellungen übersteigt. Er spricht von einem Frieden, der unser Leben, unser Denken schützen wird, der unserem Leben Bestand geben wird. Dieser Friede ist auch angesichts unserer heutigen Herausforderungen möglich. Er kommt nur nicht von allein, er wächst und breitet sich aus im Maß unserer Güte, zu der uns letztlich unser Herz drängt. Wir selbst sollen Güte-Zeichen setzen, und andere tun es auf ihre Weise auch. So gibt es Hoffnungszeichen in diesen Tagen, die im weitesten Sinn von der gestaltenden Kraft der Güte, des gegenseitigen Verstehens, des gemeinsamen Bemühens ausgehen. Denken wir nur an die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz vor einer Woche, bei der es zum ersten Mal gelungen ist, die Obergrenze von zwei Grad globaler Erwärmung in einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen zu verankern. Oder denken wir – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – an die diplomatischen Bemühungen, die in diesen Tagen kurz vor dem Abschluss stehen, zwischen den verfeindeten Gruppen in Libyen zu vermitteln, damit dort das Land nicht gänzlich verfällt und zur Beute des IS werde.

„Eure Güte werde allen Menschen bekannt.“ Es geht um unsere Güte-Zeichen. Eine aktuelle Aufforderung an uns an diesem 4. Advent, wie sie aktueller kaum sein könnte.

 



Prof. em. Dr. Stefan Knobloch
94036 Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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