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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Weihnachten, 27.12.2015

Flucht nach Ägypten
Predigt zu Matthäus 2:13-23, verfasst von Eberhard Geisler

 Liebe Gemeinde!

13 Als aber die Weisen aus dem Morgenland hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten

15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«

16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.

17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht :

18 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«

19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten

20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.

21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.

22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land

23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.[1]

 

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Als aber die Weisen aus dem Morgenland hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen. Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten

Der Grenzposten am Nildelta ließ sie durch. Ob mit Wissen der übergeordneten Behörden, ob aus Mitleid, wusste Josef nicht zu sagen. Er hatte ihnen etwas von dem Weihrauch angeboten, das einer der Weisen dagelassen hatte. Aber oft genug nahmen sie die Geschenke und wiesen die Leute dann trotzdem ab. Das hier war gut gegangen. Etliche andere waren mit ihnen über die Grenze gekommen. Auch sie hatten Kinder und hatten Angst vor Herodes.

Der Gouverneur im Land Goschen war mit ihrer Ankunft einverstanden. Obwohl er wusste, wie sie in Israel über Ägypten redeten: das Land der Sklaverei und Knechtschaft, das Reich des Todes und der Gottlosigkeit. Naja, lass sie schwätzen. Sind einfache Leute. Er wies ihnen eine Bleibe zu. Am Fluss. Und die Flucht war beendet. Dachten sie. Maria war erschöpft. Viel zu früh nach der Entbindung waren sie auf die Reise gegangen. Hochgefährlich war das. Zum Glück vertrug sie es überraschend gut.

Aber als sie zu ihrer Bleibe kamen, war die Enttäuschung groß. Anstelle der Tür war da nur ein verkohltes Loch. Es roch noch nach Rauch. Irgend jemand hatte das Haus angezündet. Weil er neben sich solche nicht haben wollte, die Ägypten bloß als Reich der Sklaverei und Finsternis betrachteten, in ihren Heiligen Schriften hieß es immer nur „das Ungeheuer“. Was wollten sie dann ausgerechnet hier?

Josef musste weiter. Ägypten war kein guter Ort, er hatte es geahnt. Trotz des Traums. Also weiter? In die Gegend von Kyrene in Libyen, aus dem dem Kindlein einst der kommen sollte, der ihm das Kreuz tragen hilft. Das konnte Josef noch nicht ahnen. Aber er zog weiter und nahm mit sich das Kindlein und seine Mutter.

Der Grenzposten in Libyen war schon anders. Einen hohen Zaun hatte man in aller Eile errichtet. Und drohte auf jeden zu schießen, der zu nahe herankam. Nun ging es nicht vor und nicht zurück. Jenseits des Zaunes lockte Ruhe. Aber wie hinüberkommen. Josef ließ das Kind und Maria rasten und ging umher, um Erkundigungen einzuziehen. Natürlich wusste der Gastwirt Leute, die abends kommen würden und sich hier auskannten. Die Schleichwege kannten, Schmuggelpfade. Grenzen werden von Regierungen gezogen, aber die Menschen leben immer auf beiden Seiten.

Er gab den Schmugglern den Rest der Myrrhe. Eine hoch wertvolle Arznei. Und sie taten ganze Arbeit. Bei Neumond, kurz vor Mitternacht ging es im Sternenlicht durch die Wüste. Maria und das Kind waren voller atemloser Angst, aber die Begleiter schienen ihrer Sache sicher zu sein.

Eine fremdartige Hafenstadt lag voraus. Gegen morgen waren die Begleiter plötzlich weg. Und die drei wankten in die Stadt. Hungrig. durstig. Staubig. Soldaten überall, die sie kritisch beäugten. Das Land war im Krieg. Kein Gouverneur. Niemand wusste, wer im Augenblick eigentlich regiert. Ihr müsst hier weg, raunte ihnen ein Einheimischer zu. Morgen seid ihr mausetot.

Josef rannte zum Hafen. Gab es vielleicht ein Schiff, das sie von hier wegbringen konnte? Ein Handelsschiff? Pilger? Irgend­etwas? Maria mit dem Kind folgte in einigem Abstand. Sie konnte doch hier nicht alleine sein.

Ein phönizischer Seemann sah Josefs Not und winkte ihn heran. Ja, es gäbe ein Schiff. Er könnte mitfahren.

Als er den Fahrpreis nannte wurde Josef schwarz vor Augen. Nein, das geht nicht, wir haben nichts. Der Phönizier zuckte mit den Achseln. Dann seid ihr morgen mausetot, griente er.

Josef zog den Beutel mit dem Gold hervor, den der zweite Weise ihnen gegeben hatte. Das genügte gerade für die Überfahrt. Irgendwie würde es schon weitergehen.

Es wurde Josef noch einmal schwarz vor Augen, als er das „Schiff“ sah: eine Schaluppe bestenfalls, alt und zweifelhaft. Immerhin musste der ehemalige Seemann sein eigenes Leben dem Boot ja auch anvertrauen. Es würde schon irgendwie gutgehen.

Bei Sonnenaufgang, hieß es, fahre man los. Im Morgengrauen kamen die beiden zum Boot. Es war in beängstigender Weise überladen. Viele Menschen. Zu viele. Der Phönizier setzte achselzuckend die Segel. Sie mussten stehen, sie waren zu spät gekommen, um sich irgendwo noch setzen zu können. Maria wurde übel. Die Fahrt nahm kein Ende.

Am zweiten Tag eröffnete der Phönizier Josef, dass er die drei nicht weiter mitnehme. „Wo wollen sie mich denn absetzen?“, fragte Josef fassungslos. „Absetzen?!“, mit einem kollernden Gelächter blickte der Mann über das Wasser. „Du hast doch noch Geld, oder?“ Der Mann war doch nicht etwa fähig, die Passagiere einen nach dem anderen über Bord zu werfen?

Das kalte Lächeln des Seemanns belehrte ihn eines besseren. „Weihrauch“ sagte Josef. „Weihrauch?!“ Der Mann explodierte förmlich vor hässlichem, lautem Lachen. „Du bist mir ein Händler und Schmuggler! Weihrauch, hier?!“ Josef holte das kleine Bündel aus seiner Tasche. Der Mann prüfte, lachte noch einmal, betrachtete Josef wie ein Naturwunder von einem Idioten, schüttelte den Kopf.

Am dritten Tag brach Streit aus zwischen den Mitfahrern. Junge Leute aus dem Osten, andere aus dem tiefen Süden, an ihrer dunklen Hautfarbe zu erkennen. Irgend etwas brachte sie gegeneinander auf. Es gab Wortwechsel, Handgemenge. Ein Messer blitzte auf. Jemand wurde über Bord geworfen. Als alle nach dieser Seite rannten, um nach ihm zu schauen, legte sie das Boot beängstigend schief. Josef sah noch eine felsige Küste im Hintergrund, dann versuchte er noch auszumachen, wo Maria eigentlich sei und das Kind, als das Boot umschlug.

Er schrie. Maria! Mirjam! Jesus, Jesulein! Überall trieben Menschen, die sich an Holzteilen festhielten. Das Bott trieb kieloben und bot Halt. Aber es war kalt.

Mittags erst kam ein Boot. Von den Ijjim, den Inseln, wie man in Israel die Länder auf der anderen Seite nannte. Männer mit ganz fremder Sprache. Aus Lampedusa waren sie.

Im Flüchtlingsaufnahmelager gab es Ärger. Reisepass? Foto? Diese Worte hatte Josef noch nie gehört. Das Kind schlief nicht, denn das Licht war furchtbar grell. Das Gedränge war entsetzlich. Und Gestank überall.

Sie bekamen eine Art Papyrus in die Hand und wurden erneut auf ein Schiff geladen. Kopfschüttelnde Soldaten, oder was es war, nahmen sie in Empfang und brachten sie in eine Art großer Kutsche, lang wie ein Drache, die sich dröhnend in Bewegung setzte. Maria sah nur noch übermüdet und apathisch aus ihren Augen, das Kind schrie noch nicht einmal mehr.

Man fuhr lange. Über ein großes Gebirge. Eine fremdartige Welt umgab sie. In einer großen Halle, größer als der Tempelvorhof in Jerusalem, mussten sie aussteigen. Josef verstand kein Wort. Nur durch Gesten wurde ihm klargemacht, man werde sie zu einer Bleibe bringen, wo sie endlich schlafen könnten.

Er musste an das Bild der ersten Bleibe in Ägypten denken. Würde sich jetzt jemand finden, der sich ihrer erbarmte? Endlich jemand, der sie aufnahm? Oder sollte diese Odyssee ewig weitergehen?

Diese Frage geht an uns.

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.[2]

Amen

 

 

[1] eigentlich III, 1. So. nach Weihnachten

[2] Apc. 3,20



Pfarrer Eberhard Geisler
Schlangenbad-Bärstadt
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