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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahrsabend / Silvester, 31.12.2015

Predigt zu Römer 8:31b-39, verfasst von Hilmar Menke



Rückblick auf ein Jahr - und wenn der Zeitpunkt auch noch so willkürlich erscheint - der Jahreswechsel entwickelt doch so etwas wie ein Eigenleben; unterstützt sicher durch die Jahresrückblicke in der Zeitung und im Fernsehen - ganz direkt manchmal als solche angekündigt und geplant, oft auch nur indirekt, wenn Menschen Gelegenheit bekommen, von dem zu reden, zu schreiben, was sie bewegt hat.

Nehmen wir doch einmal an, der Abschnitt im Römerbrief wäre so etwas wie ein Jahresrückblick: So toll kann das Jahr nicht gewesen sein - nicht für Paulus, nicht für die Christen in Rom und anderswo im Römischen Reich:
- beschuldigt sind sie worden und verurteilt, ja verdammt.

Das kommt mir doch bekannt vor, davon könnte ich auch ein Lied singen, von der Kirche, die angeblich zu politisch ist - oder zu unpolitisch  - je nach Standort; die von Gestern ist und sich auf das Morgen nicht einstellen kann - oder die jedem Modetrent hinterherläuft; die sich zuwenig auf die Verkündigung und die Seelsorge konzentriert - oder sich zu wenig der Bedürftigen Menschen und ihrer Bedürfnisse annimmt ...
(Fortsetzung möglich!)

Von "Trübsal" schreibt der Apostel und von Angst - auch davon ließe sich manches finden in diesem Jahr - unterschiedlich schwer und unterschiedlich viel im Leben jedes Einzelnen: Trauer um nahestehende Menschen, die starben; um verpaßte Chancen und zerbrochene Beziehungen; um Verschuldetes und Versäumtes ... von Ängsten, ob sie sich nun bewahrheiteten oder als grundlos erwiesen; von durchwachten Nächten und schweren Wegen; von der Angst vor dem, was die Zukunft bringt...

An Hunger und Blöße, an Verfolgung gar, Gefahr und Schwert werden die wenigstens von uns zu denken haben, wenn es um ihr eigenes Leben geht - aber, die Massen von Flüchtenden und Schutzsuchenden in unserem Land haben das, was wir oft als fernstehenden empfinden, uns ganz nahe gebracht - die Kriege und Bürgerkriege, den Terror, der  zum Alltag so vieler gehört - die Naturkatastrophe, die viele Tausende Leben zerstört und noch viel mehr Menschen um Obdach und Arbeit, um Angehörige und Freunde gebracht hat....

Aber: "den ganzen Tag getötet" um Christi willen und "geachtet wie Schlachtschafe" - dieses Gefühl kenne ich nicht und kann es mir auch nicht vorstellen bei einem oder einer von uns ...

Jahresrückblick mit Paulus - nicht gerade ein Vergnügen! "Und wo bleibt das Positive?" - so sehr mich diese Frage, die ja eigentlich eine Anklage ist, auch manchmal nervt - hier möchte ich sie selber stellen - gab es denn gar nichts Gutes, gar nichts Schönes?

Habe ich nicht Freundschaft erlebt und Treue, ja Liebe - wohltuende Nähe - Hilfe, wenn ich sie brauchte - ist mir nicht vergeben worden, wenn ich versagt habe, so daß ein neuer Anfang möglich war - hat es nicht Erfolge gegeben, ist mir nichts manches gelungen, vielleicht gar gegen meine Befürchtungen - habe ich nicht neue Menschen kennengelernt, die mein Leben bereichern, nicht Bilder gesehen, Musik gehört, die das Leben schöner machten; Filme gesehen und Bücher gelesen, die mich zum Lachen brachten - oder zum Weinen (auch das kann ja gut sein!) - habe ich nicht Trost gefunden, Kraft bekommen ...

So lang die Liste der "Trübsale" auch werden mag - so lang kann auch diese Aufzählung werden.

Ja, und das alles kommt auch bei Paulus vor - in seinem "Jahresrückblick" - nicht so in den Einzelheiten, nicht so unvollständig vollständig wie in meiner Aufzählung - und gerade deswegen wohl wirklich "vollständig":

"Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?" - das sieht nur aus wie eine Frage - Im Klartext heißt das: Gott ist für uns - alles mag gegen uns stehen, nichts kann wirklich gegen uns sein:
Nichts, was geschaffen ist ("keine Kreatur" schreibt der Apostel), auch kein Mensch und sei er auch noch so gewaltig, so mächtig - und seien auch die "wider uns" noch so viele und wir so wenige - kein Geschöpf kann wirklich gegen uns sein;  gegen uns sein kann auch keine anonyme Gewalt, keine unsagbare Macht des Bösen - erst recht nicht die Macht der Verhältnisse oder was es da immer zu nennen gibt - nicht einmal die nichtirdischen Mächte ("Engel" nennt sie Paulus und meint doch wohl eher "Teufel") -

nicht das, was war, und nicht das, was ist, und nicht das, was sein wird - nicht das Leben, das ich geführt habe, nicht das Leben, das vor mir liegt - nichts kann gegen uns sein - nicht einmal der Tod!
"Wo bleibt das Positive?" - eine falsche Forderung - eher wäre schon die Frage berechtigt, wo den das Negative bleibt, von dem die Rede war...

Und auch diese Frage wird beantwortet: Das Negative, das Böse, das Schwere, das Unerträgliche und Unerklärliche, Trübsal, Angst, Gefahr, Schwert, Hunger, Blöße samt all den Mächten, die sie verursachen bleiben bei Gott, angenommen, auf sich genommen von dem Sohn, der nicht verschont wurde, sondern für uns alle dahingegeben - wie sollte Gott uns mit ihm nicht all das nehmen?
Das Kind in der Krippe, das wir gefeiert haben in der vergangenen Woche, wird der Mann am Kreuz - der, von dem der Profet sagt: "Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen ... Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt" (Jes. 53, 4f).

Den Ermordeten hat Gott zu neuem Leben erweckt "und dem Tode die Macht genommen" - in das Leben, das wahre Leben, ist er uns vorausgegangen und sitzt zur Rechten Gottes. Er vertritt uns auch dort, so wie er uns vertreten hat im Leben und im Sterben.

Von seiner Liebe kann uns nichts und niemand trennen, weil er diese Liebe ganz allein schenkt,  ganz frei, ganz unabhängig von allen Verhältnissen und allen möglichen Einflüssen; unfrei und abhängig nur davon, daß er selbst sich festgelegt hat auf diese Liebe zu uns Menschen, sich selber gebunden an seine Liebe.

"Ich bin gewiß", schreibt Paulus, d.h.: Ich weiß, daß es so ist - das alles ist nicht Wunschdenken oder Fantasie, nicht Vermutung oder Hoffnung, sondern Gewißheit.

In all dem Schlimmen, das ihm, Paulus, und mehr noch manchen Christen anderswo geschehen ist, in all dem vermag Paulus die Liebe Gottes durchscheinen zu sehen.
In der selben Gewißheit sieht er auch der Zukunft entgegen: So wenig irgend etwas oder irgend jemand ihn von Gottes Liebe - oder besser : Gottes Liebe, Jesus Christus, von ihm zu trennen vermochte, so wenig wird das auch in der Zukunft möglich sein.
Ich habe versucht, Spuren der Liebe aufzuzeigen in der Zeit, die hinter uns liegt - ich bin sicher, es wird uns auch gelingen, die Spuren dieser Liebe im Neuen Jahr zu entdecken, wenn wir uns die Augen öffnen lassen und sie offen behalten - uns nicht blenden lassen von all dem, was uns in seinen Bann ziehen will in dieser Welt, wenn wir uns nicht blind machen lassen von all dem, was unsere Augen mit Tränen füllen kann.

 



Superintendent i.R. Hilmar Menke
21781 Cadenberge
E-Mail: hhfjmenke@aol.com

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